Epilog

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Ich würde euch gerne erzählen, dass ich mich nach Reeces Tod nicht verändert habe. Dass ich dieselbe Emma geblieben bin und versucht habe das Leben in vollen Zügen zu genießen; dass ich Freunde gefunden und mich neu verliebt habe.

Aber das wäre alles eine Lüge. Wie lebt man weiter, wenn einem das genommen wird, was man am meisten geliebt hat? Kann man überhaupt weiterleben?

Reece hätte vermutlich gewollt, dass ich mein Leben so lebe, wie ich es gelebt habe, bevor ich nach Amerika geflogen bin - doch das konnte ich nicht mehr.

Ich bin nicht wie Reece. Aber dennoch gebe ich mir alle Mühe so zu werden. Ich möchte so bescheiden und gleichzeitig so glücklich leben, wie Reece es getan hat. Ich möchte die kleinen Dinge im Leben betrachten und mich an ihnen erfreuen.

Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mindestens einmal an ihn denke. Kein Tag, an dem ich nicht sein freches Grinsen und die Grübchen vor mir sehe - die leuchtenden, lebensfrohen Augen – und sie schmerzlich vermisse.

Kurz nach seinem Tod ist es besonders schlimm gewesen. Ich habe jeden Tag und jede Nacht geweint. Bei jedem noch so leisen Geräusch bin ich zusammengezuckt und habe gehofft, dass er es ist. Dass er doch noch lebt und all das bloß ein blöder Scherz war. Natürlich blieben diese Hoffnungen unerfüllt. Und irgendwann musste ich zurück nach Deutschland.

Einerseits hat sich das verdammt scheiße angefühlt, alles hinter sich zu lassen und zu sehen wie nur Trümmer hinter einem stehen, aber andererseits war ich glücklich zurück zu können. Aus dem Land heraus zu kommen mit dem ich so viele negative Dinge verbinde und endlich meine Eltern wiedersehe.

Meine Eltern wollten immer, dass etwas Anständiges aus mir wird. Nicht irgendeine Erzieherin oder Verkäuferin - sie wollten, dass ich studieren gehe und einen gut bezahlten Beruf erlerne, der in der Gesellschaft angesehen ist. Ich habe nie wirklich Lust darauf gehabt, denn - sind wir ehrlich - ich bin einfach nicht der Mensch fürs Lernen. Hefte, Bücher und stickige Klassenräume sind nichts für mich.

Dabei weiß ich heute, dass nicht alles was Eltern sagen Gold wert ist, denn jeder Beruf an sich ist wertvoll. Jeder Mensch, egal welchen Beruf er erlernt, ist wichtig für die Gesellschaft. Stellt euch mal vor, es gäbe keine Müllmänner - wohin würde der ganze Abfall verschwinden? - oder keine LKW-Fahrer - hätten wir dann noch Lebensmittel oder Rohstoffe, die wir doch so dringend brauchen? Man kann sich zu jedem einzelnen Beruf solch eine Frage stellen. Denn im Endeffekt sind es diese Menschen, die unsere Gesellschaft zum Laufen bringen.

Eigentlich hatte ich vor es dennoch zu tun - studieren, meine ich - nachdem ich meinen Abschluss in der Tasche hatte. Nicht weil ich heiß darauf war und meinen Traumberuf erlernen wollte, sondern einfach nur, weil ich immer getan habe, was meine Eltern von mir verlangt haben. Denn im Endeffekt wollten sie ja immer nur das Beste für mich. Das wusste ich und das wollte ich ihnen zeigen.

Ich habe es versucht - habe ernsthaft versucht mich zu interessieren für den Studiengang, für den ich mich letzten Endes interessiert habe. Doch leider habe ich schnell gemerkt, dass ich unglücklich mit meiner Entscheidung gewesen bin und habe schließlich abgebrochen. Ich habe nicht nur mein Studium aufgegeben, sondern auch mich, bin in ein schwarzes, tiefes Loch gefallen, das versucht hat mich einzusaugen. Ich verfiel in Selbstmitleid. Zuerst habe ich gedacht, dass ich Hilfe brauche - dass ich eine Hand brauche, die mich aus diesem Loch zieht. Doch irgendwann ist mir aufgefallen, dass mich niemand herausziehen kann, wenn ich nicht herausgezogen werden möchte.

Bis heute habe ich meinen Eltern nicht die ganze Wahrheit über meinen Aufenthalt in Amerika geschildert. Versteht mich nicht falsch, ich liebe meine Eltern, aber ich konnte einfach nicht. Ich wollte mit keinem darüber reden. Sie haben oft nachgefragt, wollten genaueres wissen, aber ich habe einfach abgeblockt. Genauso wenig wollte ich ihnen erzählen was genau zwischen Max, Larissa, Jule und mir vorgefallen ist. Nach stundenlangen Gesprächen, die irgendwann auch zu Streitereien geführt haben, haben sie endlich aufgegeben. Und ich hatte mein komplettes soziales Leben aufgegeben. In der Schule redete ich mit keinem mehr, ich schottete mich komplett ab. Von allem und jedem. Ich wurde wie Reece. Diese Erkenntnis war wohl das Traurigste, was mir je bewusst wurde. Ich habe mich oft gefragt, ob er sich so gefühlt hat. Ob er glücklich war mit seinem Leben, so wie es verlaufen ist.

A Story of Broken HeartsWhere stories live. Discover now