Tag 1 (11)

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›Ich wette, du traust dich nicht‹ schien mir wie eine Erfindung von Kimmi und mein erster Gedanke war, ob Cody verlangen würde, dass ich einen Jungen küsste. Dann fiel mir ein, dass er der einzige Junge weit und breit war und sich bestimmt Aufregenderes vorstellen konnte als einen Kuss von der langweiligen Elsie Bairns.


»Ich bringe es dir bei, wenn du magst.«

Ich nickte.

»Sag mir ein Wort. Irgendeins.« Sein erwartungsvoller Blick begegnete meinem und ich konnte an nichts mehr denken, jedenfalls an nichts, was nicht superpeinlich gewesen wäre.

Hastig sah ich weg. »Lass mich überlegen ...«

»Überlegen gilt nicht.« Ein schwarzer Minivan versuchte im zähen Verkehr auf unsere Spur zu wechseln und Cody befahl: »Lies mir das Kennzeichen vor.«

Gehorsam suchte ich nach der Nummerntafel und erkannte das Blau Wyomings mit dem schwarzen Cowboy auf seinem bockenden Pferd. »1-76CH«, las ich ab.

»Gut und jetzt sag mir das erste Wort mit ›Ch‹, das dir einfällt. Denk nicht nach!«, ermahnte mich Cody, als ich zögerte.

»Cherry.« Kirsche.

»Natürlich«, merkte er belustigt an. Er schien zu überlegen. »Okay. Ich wette, du traust dich nicht ... Steak mit Kirschen zu essen. Oder Kirschsuppe.«

Verblüfft sah ich ihn an. »Woher um Himmels willen soll ich Kirschsuppe nehmen?«

Er zuckte die Schultern. »Du musst wenigstens danach fragen. Das nächste Mal, wenn wir stehen bleiben, egal wo.« Seine Augen funkelten. »Traust du dich?«

Ich bejahte nach einigem Zögern. Das Spiel sah scheinbar vor, dass ich mich zum Affen machen würde, aber etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Wenigstens müsste ich nicht in meiner Unterwäsche herumlaufen wie bei Kimmis Lieblingsspiel ›Wahrheit oder Pflicht‹. Wir waren nicht so eng befreundet, dass sie mich je zu ihren Pyjamapartys eingeladen hätte, aber ich hatte genug aufgeschnappt, um zu wissen, wie das Spiel ging. Marah Jennings, Kimmis beste Freundin, trug seit einer besonders legendären Pyjamaparty den Spitznamen ›Tiger‹: wegen der Tigerfellstreifen auf ihrem Tanga.

Ein wenig wurmte mich, dass mich Kimmi nie eingeladen hatte. Es wäre für sie keine große Sache gewesen – sie wohnte nur zwei Straßen weiter, ich hätte mit dem Rad hinfahren können. Marah Jennings' Haus lag am anderen Ende von Maple Falls. Ich wusste, dass mich Kimmi bloß dann zum Shoppen einlud, wenn Marah keine Zeit hatte. Ich war die ›Freundin auf der Ersatzbank‹, wie es Mum einmal treffend formuliert hatte.

Damals hatte ich Kimmi verteidigt. Der Grund war, dass ich auch lieber mit Marah als mit mir befreundet gewesen wäre. Marah war Captain des Cheerleading-Squads, hatte platinblonde Haare und dazu noch reiche Eltern, die sogar Leute aus der Filmbranche kannten und legendäre Poolpartys veranstalteten.

Mein Dad grillte einmal im Jahr, am vierten Juli, in unserem Garten. Statt Filmproduzenten lud er seine Trucker-Kollegen von Eshton ein. Wir hatten auch keinen Pool, obwohl einer der Trucker an einem besonders heißen Unabhängigkeitstag schon mal versucht hatte, die Gäste mit dem Gartenschlauch abzuspritzen.

Ich hatte mit sechzehn eine Sweet-Sixteen-Party veranstalten dürfen, natürlich auch im Garten, weil Mum nichts davon hielt, für teures Geld ein Restaurant zu mieten. Die Gästeliste umfasste sechzehn High-School-Kids und – auf Mums ausdrücklichen Wunsch – meine Tante Lynn aus Kearney und meine Cousinen Lauryn, sieben Jahre alt, und Ashley, vier.

Von den Mitschülern war die Hälfte nicht gekommen. Ein paar der übrigen wohnten so wie Cody in der Nachbarschaft und ich vermutete, dass ihnen bloß keine Ausrede eingefallen war oder dass sie befürchtet hatten, ich würde sie sehen, wenn sie die Zeit lieber in ihren Zimmern verbrachten.

Mein Geburtstagsgeschenk, eine Woche vor der Party, war Vassar gewesen.

»Ist das ihr Ernst?«, hatte sich Kimmi beim Shoppen empört. »Sie glauben wohl, du wirst zwölf! Jedes Mädchen will mit sechzehn ein Auto. Sie könnten dir wenigstens Geld dafür geben.« Kimmi war eine von denen gewesen, die nicht zur Party kommen würden und den Klamotten nach zu schließen, die sie mich hatte anprobieren lassen, hatte sie eher an eine Gala in Hollywood als an ein Grillfest im Garten gedacht. »Wozu braucht ihr überhaupt noch eine Katze? Ihr habt doch schon zwei!«

Die Party war erwartungsgemäß ein Reinfall geworden. Lauryn hatte mir Kirschohrringe verpasst, die ich unter Androhung eines Schreianfalls nicht abnehmen durfte und Ashley hatte Vassar mit ihrer Zudringlichkeit so verängstigt, dass ich meine arme Prinzessin zuletzt aus Mrs Rileys Kirschbaum hatte retten müssen. Tante Lynn hatte meine Gäste als Gratis-Babysitter zu gewinnen versucht und mich dauernd »Helen« genannt, obwohl das Mums Name war. Und die Palette der Geschenke hatte von einer Luftpumpe für mein Fahrrad über Lauryns halb geschmolzenen Schokoriegel bis zu gar nichts von Cody gereicht, der mit leeren Händen und einem verlegenen Grinsen aufgetaucht war.

Ich tröstete mich mit dem Wissen, dass man nach dem sechzehnten Geburtstag nie wieder dazu verdonnert werden konnte, eine Party zu schmeißen.

So in Gedanken versunken erschrak ich, als der Ford plötzlich stehen blieb. Verdutzt und auch ein wenig alarmiert reckte ich den Hals, bis ich hinter uns das graue Band der I-80 erspähte. Wir waren auf einem Parkplatz, den hohe Pinien säumten. Das Betonhäuschen zur Linken konnte eine Touristeninformation sein.

»Ich brauche zehn Minuten Pause«, sagte Cody. »Ist das für dich okay?«

Ich nickte und wandte mich hastig ab – hoffte, dass er nicht in meinem Gesicht lesen konnte, was ich dachte. Ich wollte nicht sauer auf ihn sein, schon gar nicht wegen etwas, das länger als ein Jahr zurücklag. Es war nett von ihm gewesen überhaupt zur Party zu kommen. Er konnte nichts dafür, dass mein Herz schneller schlug, wenn er mich nur ansah.

KirschkernküsseWhere stories live. Discover now