Schattenglut - PictureAward2023

14.

Müde schaufelte Lenny sich ihr Müsli in den Mund. Neben ihr ging Alice wie ein Mähdrescher auf ihr Frühstück los und redete dabei mit vollem Mund. "Ich würde zur Polizei gehen. Wir haben sein Gesicht gesehen. Ich erinnere mich noch genau an jedes Detail. Es wäre dumm, das nicht zu tun."

Lenny schüttelte den Kopf. Sie hatte das Gefühl in dieser Sache, von Alice abgesehen, niemandem vertrauen zu können. "Ich will einfach nicht." murmelte sie. "Die Polizisten würden uns sowieso nicht glauben. Außerdem kann er Messer zum schweben bringen und so. Ich glaube nicht, dass normale Menschen ihm gewachsen wären." 

Alice legte ihren Löffel beiseite. "Aber du kannst solche Dinge auch. Es war wirklich gruselig mitanzusehen, wie du diesen Typen verprügelt hast."

"Es tat weh." erinnerte Lenny sie. "Und es hat gerade mal fünf Minuten gehalten, wenn nicht sogar weniger." 

"Genau! Deshalb musst du auch trainieren. Oder was auch immer man in solchen Fällen eben tut." Lenny drehte nachdenklich ihre Schale hin und her. Sie hatte nicht einmal die Hälfte des Müslis darin gegessen. Alice hatte nicht ganz Unrecht. Selbst wenn Eras nicht mehr auftauchen würde, wäre es besser für sie vor Schmerzattacken oder ähnlichem geschützt zu sein. 

"Wir könnten den Wald verwenden." überlegte Lenny. "Dort kann ich mich am besten konzentrieren." Alice' Gesicht hellte sich auf. Sie wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Melody hereinkam. Sie hielt eine zusammengerollte Zeitung in der einen, und eine Tasse Kaffee in der anderen Hand. 

"Guten Morgen, Ladys. Habt ihr es schon gehört?" fragte sie. "Irgendeine verrückte Brandstifterbande hat diese protzige Villa in der Nähe abgefackelt. "eine Bande?" wiederholte Lenny. 

"Ja. Die Nachbarn haben gesagt, dass sie viel zu schnell heruntergebrannt ist. Sie wurde entweder von mehreren Punkten gleichzeitig angezündet oder...", Melody lachte. "Das Feuer war magisch." Lenny lief es kalt den Rücken herunter und Rang sich ein Lächeln ab. 

Melody nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und stellte die Tasse auf den Tisch. "Deine Mutter hat angerufen, Alice. Sie möchte dass du die nächste Nacht Zuhause verbringst." Alice nickte. "Macht ich. Und danke nochmal, dass ich überhaupt so spontan dableiben durfte. 

Melody winkte ab. "Kein Problem. Aber jetzt solltet ihr euch beeilen. Es ist Dienstag, und wenn ich mich recht erinnere, habt ihr in der ersten Stunde Mathe." 

Der Schulhof war fast komplett leer, als Lenny und Alice durch das Eingangstor hasteten. "Warte!" keuchte Alice. "Ich bin nicht so schnell wie du." gerade als es läutete stürmten sie in den Klassenraum. Ihr Mathelehrer, Mr. Brown warf ihnen einen tadelnden Blick zu und begann die Stunde gleich damit Alice auszufragen. 

Erleichtert, dass sie nicht drangenommen worden war, setzte Lenny sich auf ihren Platz und versuchte die Geräusche auf eine erträgliche Lautstärke zu bringen. Erstaunlicherweise verging die Stunde wie im Flug und es gab keine größeren Unterbrechungen, wie sonst in Mathe. 

In der Zwischenstunde wartete Lenny darauf, dass der andere Lehrer hereinkam, als Neo sich auf ihren Tisch setzte. "Gehörst du nicht in die Psychiatrie?" fragte sie beiläufig, fast so, als würde sie über das Wetter reden. Lenny konnte beinahe spüren, wie Alice das Mädchen mit ihren Blicken durchbohrte. 

Neo beugte sich vertraulich vor. "Ich will ja nur das Beste für dich. Diese Wahnvorstellungen können ganz schön gefährlich werden." Lenny antwortete nicht, sondern warf Elena, die am anderen Ende des Raumes saß, einen anklagenden Blick zu. Sie errötete und sah auf ihren Schoß. Schämte sie sich etwa? 

Lenny drehte sich zurück zu Neo. "Was auch immer sie dir erzählt hat, es ist nicht wahr." begann sie, doch Neo schnitt ihr das Wort ab. "Dann stimmt es also, dass sie bei dir war!" rief sie triumphierend. "Und dass du ihr komisches Zeug erzählt hast." Lenny wollte zu einer Antwort ansetzen, doch die Tür des Klassenraumes öffnete sich. "Wir reden später." zischte Neo.