Kein Empfang

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I v y

»Verdammte Scheiße!«

Mein Fluchen schlägt einen Schneehasen, der einige Meter von mir entfernt hoppelt, in die Flucht. Frustriert schnaube ich auf und versuche mein Gleichgewicht zu halten, während ich mein Smartphone in alle Richtungen hebe und dabei hoffe, dass ein Balken erscheint.

Nur ist das Glück heute nicht auf meiner Seite. Oder besser gesagt, seit einigen Wochen nicht.

Dabei dachte ich, dass dieser Backwettbewerb genau das richtige für mich ist. Nicht nur, dass ich auf andere Gedanken kommen könnte, sondern ich habe es endlich geschafft ein wenig Raum zwischen mir und jemanden zu schaffen. Auch wenn es bloß für einige Tage ist, so bin ich froh, dass ich ihm nicht auch über die Feiertage unter die Augen treten muss. Es ist schon genug, dass ich ihn fast jede Woche bei meiner besten Freundin sehen muss.

Meine Füße werden immer schwerer, während ich mich durch diesen meterhohen Schnee kämpfe und mir gleichzeitig der Schweiß von der Stirn tropft.

Wer hätte gedacht, dass ich im kalten Alaska wie ein Schwein schwitzen könnte?

Eigentlich wollte ich nur einen Spaziergang durch den Wald machen. Diese wundervolle Idylle bewundern, während alles glitzert und funkelt und vielleicht ein Reh oder ein anderes Tier beobachten. Einfach nur abschalten. Jedoch konnte ich nicht ahnen, dass es eine halbe Stunde später anfängt zu schneien und ich mich dabei verlaufe. Nicht einmal meine Spuren sind noch zu sehen, was ich leider viel zu spät erkannt habe.

»Wieso funktionierst du nicht? Ich zahle doch dafür! Ich werde hier draußen noch erfrieren!«

Mein Herz klopft wie verrückt, während ich meinen Blick hektisch durch die Landschaft streife.

Zu meiner beschissenen Laune mischt sich noch Panik ein. Abscheuliche Szenarien tauchen vor meinem inneren Auge auf und hektisch versuche ich, weiterzugehen. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich mich weiter von meiner Hütte entferne. Denn keine davon endet mit einem Happy End.

»Ich werde mich bei meinem Anbieter beschweren!«, rufe ich laut aus, bevor ich mein Telefon umständlich in die Jackentasche verstaue und für einen kurzen Moment mein Kopf in den Nacken fallen lasse.

Einen Moment. Ich brauche nur einen kurzen Moment. Vielleicht klärt sich mein Verstand oder mir fällt was ein, wie ich von hier auf wundersamer weise verschwinden könnte.

Kurz richte ich meinen Blick gegen den Himmel und stelle schockiert fest, dass ich mich schnell beeilen sollte. Die Sonne geht gleich unter und wenn ich nicht bald einen Unterschlupf finde, werde ich hier zu einem Eiszapfen.

Wer weiß, ob sie mich in diesem Wetter finden könnten oder vielleicht doch erst im Frühling, wenn ich wieder auftaue?

»Ich komme nie wieder hierher. Mir egal, ob sie den besten Backwettbewerb veranstalten oder es eine wunderschöne Gegend ist. Das tue ich mir kein zweites Mal an.«

Was will ich denn hier? Außer mich umbringen zu wollen? Gar nichts. Ich hätte auf meinen Bruder hören sollen, als er mir versucht hat, diese ganze Reise auszureden. Mein Orientierungssinn ist gleich null. Aber ich dachte, dass ich das hinbekomme. Wirklich.

»Wenn ich das überlebe, dann darf niemand davon erfahren. Niemals. Das bleibt mein kleines Geheimnis«, murmle ich leise vor mich hin.

Wenn mich jetzt jemand beobachten würde, würden sie mich eindeutig als Verrückte abstempeln. Was macht auch eine kleine blonde Frau, eingewickelt in allem möglichen, hier draußen im Wald und führt Selbstgespräche?

Normalerweise bin ich eher ein ruhig und entspannter Mensch, aber seit dieser Vollidiot in mein Leben getreten ist, funktioniert nichts mehr. Als wäre ich verflucht! Das ist alles seine Schuld!

Mein Neffe hat mich vor einigen Tagen gefragt, ob ich nicht artig war und ich vielleicht deshalb so viel Pech im Leben habe, weil mich der Weihnachtsmann bestraft. Mein Blick unbezahlbar, während mein Bruder und seine Frau nur gelacht haben. Ich fand das jedoch nicht unbedingt witzig.

Plötzlich bleibe ich stehen und richte meine Augen auf etwas Dunkles, dass irgendwie nicht hierher passt. Mehrere Male blinzle ich, als würde ich mich vergewissern wollen, ob das nicht nur eine Halluzination ist. Auch nachdem ich mich durch die Jacke gezwickt habe, bleibt diese kleine Holzhütte in meinem Blickfeld. Ich kann nicht fassen, dass ich gerettet bin!

Erleichterung macht sich in mir breit und ich könnte vor Freude in die Luft springen. »Ja! Ich werde noch nicht sterben!«

Mit einer neuen Kraft gleite ich durch den Schnee und komme meiner Rettung immer näher. Mein ganzer Körper kribbelt, als das Adrenalin durch meine Adern fließt und mich immer schneller werden lässt. Ich werde doch nicht vom Pech verfolgt, denke ich mir nur und schüttle schmunzelnd den Kopf.

Sobald ich die winzige Veranda erreiche, auf der sogar ein alter Schaukelstuhl steht, atme ich tief durch und gebe meinen Lungen die Luft, die sie dringend benötigen. Für mich hat sich mein Sprint durch den glitzernden Pulver wie Minuten angefühlt, aber mein Herz, das wie verrückt gegen meine Brust hämmert, lässt mich das Gegenteil erahnen.

Vorsichtig nähere ich mich der Tür und strecke langsam meine Hand aus. Innerlich bete ich, dass sie offen ist und ich nicht einbrechen muss. Auch wenn ich dafür einen plausiblen Grund hätte, würde ich ungern das Eigentum von jemandem anderem beschädigen.

Ein knarzendes Geräusch erfüllt die Stille um mich herum, als sich die Holztür einen Spalt öffnet. Laut kreische ich auf, und vertreibe noch die letzten Tiere, die in der Nähe waren, bevor ich mit einem Ruck in der Hütte stehe und mich mit neugierigem Blick umschaue.

Mein Mund öffnet sich, während ich das Innere bestaune. Überall kann ich die holzigen Akzente sehen, die mit roten Stoffen kombiniert wurden. Die Vorhänge, wie auch die Kissen oder das Tischtuch sind in verschiedenen Rottönen versehen. Die kleine Couch ist in der Mitte platziert, direkt vor einem Kamin, der aussieht, als wäre er gerade noch vor einigen Stunden benutzt worden. Und doch kann ich niemanden sehen, was mich daraus schließen lässt, dass ich allein hier bin.

»Hallo?«, rufe ich noch sicherheitshalber durch den Raum.

Stille.

Achselzuckend ziehe ich langsam meine Jacke aus und bemerke, dass meine gesamte Kleidung nass ist. Bevor ich mir noch eine Lungenentzündung hole, entledige ich mich auch meiner anderen Kleidung, bevor ich die Kuscheldecke vom Sofa nehme und mich darin einwickle.

Ein himmlischer Duft dringt in meine Nase, sodass ich wohlig aufseufzen muss. Irgendwie riecht sie vertraut und doch fremd. Nach Wald und Zimt.

Kurz schüttle ich meinen Kopf und setze mich vor den Kamin und versuche ein Feuer zu machen, damit ich es hier schön warm habe. Außerdem muss ich meine Sachen irgendwie trocknen.

Plötzlich erklingt ein Räuspern hinter mir, weshalb ich erschrocken zusammenzucke. Ein Schrei entkommt aus meinem Mund und als ich mich ruckartig umdrehe, halte ich in der Bewegung inne.

Nein! Das kann nicht sein! Bitte, das muss ein schlechter Scherz sein. Das Universum hat echt keinen Sinn für Humor! Nein, nein, nein!

»Ivy? Was machst du denn hier?«

Niemand geringeres als Declan Miller steht vor mir. Der Mann, der mich auf diese Reise gezwungen hat, weil ich unbedingt Abstand brauchte.

Verdammte Scheiße. Lass es nur eine blöde Halluzination sein!

Zufällig Eingeschneit | ✔Where stories live. Discover now