17. Befragung Teil 1

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Sie erinnerte sich an ein Gespräch vor einigen Tagen. Mit klopfendem Herzen und der Panik nahe, berichtete sie den Polizisten davon. Die Finger hielt sie um das Wasserglas geschlungen, als könnte es ihr Halt geben. Doch es war viel zu glatt, zu kalt und zu leicht, um ihr eine Stütze zu sein. Die Ereignisse zu dramatisch. Sie hatten sich in ihr Gehirn gebrannt und gleichzeitig erschien ihr das alles so surreal. Stattdessen konnte sie durch das Glas hindurch direkt auf ihre Finger schauen. Auf ihren Ehering, was sie unwillkürlich aufschluchzen ließ.

Dennoch holte sie zitternd Luft, um die Ereignisse mit ihren Worten in die Realität zu holen, obwohl sie das nicht wollte.

Ihr Blick war auf die Polizeibeamten gerichtet, die ihr in dem kalten Raum gegenübersaßen. Sie wusste, dass das Gepräch aufgezeichnet wurde. Ihr war bewusst, dass dadurch jedes Zeichen der Schwäche nachgewiesen werden konnte. Doch diese Blöße würde sie sich nicht geben. Zusammenbrechen konnte sie später. Immerhin war sie nicht Schuld. Sie wusste das. Und, vielleicht noch wichtiger, auch die Polizisten wussten das. Doch sie bräuchten ihre Aussage zu den Verdächtigen, die sie vielleicht auf eine richtige Spur führen würden. Hoffentlich.

Vor ihrem inneren Auge sah sie sich auf der Liege im Garten sonnen, als Dieter, einer ihrer Gärtner, auf sie zugekommen war. Sie war sich der Heiserkeit in ihrer Stimme zu bewusst, als sie anfing zu erzählen.

***

„Verzeihen Sie die Störung, aber ich habe ein wichtiges Anliegen!" Der grauhaarige Gärtner in der grünen Kleidung hatte die Sonne verdeckt.

Jeden anderen hätte Emma sofort wieder weggeschickt, doch nicht Dieter. Er war schon so lange hier angestellt, wie sie in diesem Haus lebte. Und auch schon, als Jan noch ein Kind gewesen war. Da sie ihn so lange kannte, erkannte sie den ersten Unterton in seinen Worten sofort. Mit einer geschmeidigen Bewegung setzte sie sich auf und sah in an.

„Was ist los?"

Dieter, der sonst nicht auf den Mund gefallen war, druckste nun herum. Da sie dachte, es würde ihm so leichterfallen, wandte sie ihre blauen Augen von ihm ab und betrachtete die Fische im Teich, die ihre Kreise zogen.

„Nun, ich frage es nicht gern, aber ...", er holte Luft, steiß sie wieder aus und kurz fragte Emma sich, ob er sich etwas Mut angetrunken hatte. Dabei war Alkohol während der Arbeitszeit nicht gestattet. „Ich bräuchte mehr Geld. Meine Frau ist...", wieder brach er ab. Und auch sein Blick ließ sie los, richtete sich auf die Bäume hinter ihr. „Sie kann nicht mehr arbeiten. Deswegen ... ist es möglich, für dieselbe Arbeit etwas mehr Geld zu bekommen?" Dieter knetete sich die Hände und musste die Worte sichtlich dazu zwingen, sich den Weg über seine Lippen zu bahnen.

Er brauchte nicht mehr zu sagen, Emma verstand, was er sagen wollte. Immerhin hatte sie früher auch in ärmlichen Verhältnissen gelebt. Das war der Grund, warum sie ihren heutigen Reichtum in vollen Zügen genoss und ihn niemals mehr missen wollte. Dieter jedoch war auf das Geld angewiesen, jetzt mehr denn je.

„Ich werde mit Jan darüber reden. Allein entscheiden kann ich das nicht. Immerhin ist es unser beider Geld." Das klang viel Negativer, als sie es beabsichtigt hatte. Deswegen fügte sie noch schnell hinzu: „Mir fiele aber kein Grund ein, der dagegen spricht. Immerhin hast du immer gute Arbeit geleistet."

Dieter hatte sich bedankt, sich umgedreht und seine Arbeit wieder aufgenommen. Sie hatte sich wieder in die Sonne gelegt. Ihr Mann war noch unterwegs und so könnte sie ihn frühestens heute Abend darauf ansprechen.

Emma hielt ihr Versprechen. Gemeinsam mit ihrem Mann saß sie an der langen weißen Tafel, während Helen gerade das Essen auftrug. Es roch köstlich und sah genauso lecker aus. Wildgulasch mit Klößen. Wenn auch nicht unbedingt ein typisches Essen für ihre Schicht, so war es doch schon immer Emma Lieblingsessen gewesen. Schon damals bei ihrer Oma. Auch wenn sich in ihrem Leben seit ihrer Kindheit viel geändert hatte, das war gleich geblieben.

Das Essen dampfte auf den Tellern und Helen verließ den Raum, nachdem sie beiden eingeschenkt hatte.

„Es gibt da etwas, das ich dich fragen muss. Es geht um Dieter." Emma griff nach ihrem Glas, trank einen Schluck und wartete auf die Reaktion.

Er sah sie an. „Dann Mal los." Wenn sie allein waren, ließ er oft seine Fassade des reichen Firmeninhabers fallen. So gefiel er ihr fast besser. Jan lehnte sich zurück, als sie ihm von seiner Bitte erzählte.

„Es ist ihm nicht leicht gefallen, nachzufragen. Ich glaube, seine Frau ist krank." Sie sagte es vorsichtig, wollte sie doch keine falschen Gerüchte in Umlauf bringen und doch gleichzeitig die Dringlichkeit von Dieters Bitte unterstreichen.

Ihr Mann sah sie eine Weile einfach an und setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. Er nahm einen Bissen des Essens und kaute langsam, sie wusste, das half ihm beim Nachdenken. Nachdem er geschluckt hatte, sagte er: „Und dann kommen alle und wollen mehr Geld. Was soll ich dann machen? Irgendwann haben wir kein Geld mehr, weil wir zu viel für unsere Angestellten ausgeben! Wir bezahlen sie jetzt schon besser, als es üblich ist. Auf deinen Wunsch hin."

Fast hatte sie diese Reaktion erwartet, erhofft hatte sie sich eine andere. Doch Emma wusste, dass Jan seinen Standpunkt zu dem Thema klargemacht hatte. Ihn umzustimmen wäre schwer, wenn nicht unmöglich. Auf jeden Fall wäre es nicht möglich, ohne Unruhe zu stiften.

Also ging Emma am nächsten Tag zu Dieter und musste ihn enttäuschen. Es fiel ihr mindestens genauso schwer, wie es Dieter am Vortag schwergefallen war, sie nach mehr Gehalt zu fragen.

Natürlich hätte Emma ihm das Geld einfach geben können. Doch hinter dem Rücken ihres Mannes etwas machen, das wollte sie nicht.

***

„Und Sie sind nun der Auffassung, das wäre ein ausreichendes Motiv?" Der junge Polizist lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er musterte Emma skeptisch.

„Immerhin braucht er Geld. Und er wusste, wann die Feier stattfinden sollte, davon gehe ich nun einfach Mal aus." Seine Kollegin sah in missbilligend an, bevor sie sich wieder Emma zuwandte. „Wurden die Einladungen denn nicht überprüft?"

Im Nachhinein hätte Emma sich dafür glatt, trotz der obszönen Ausdrucksweise, in den Arsch beißen können. Dass sie keine genaue Gästeliste geführt oder die Einladungskarten beim Eintritt mit den Gästen abgeglichen hatten. Doch außer diesem Kreis, und vielleicht ihren Angestellten, wusste schließlich niemand von der Feier. Warum hätten sie also irgendjemanden, der an diesem Abend da war, genauer überprüfen sollen? Sie schüttelte als Antwort auf die Frage den Kopf.

„Bitte antworten Sie in Worten. Ihr Kopfschütteln kann man auf der Tonaufzeichnung nicht sehen." Jetzt sah auch die Frau leicht genervt aus, wenn auch nur kurz, bevor sie es wieder hinter ihrer professionellen Fassade versteckte.

„Nein, warum hätten wir genauer sein sollen? Uns ist niemand Fremdes aufgefallen. Und wir...", wieder hielt sie gezwungenermaßen kurz inne, als ihre Stimme brach. Das Bild, es ging ihr nicht mehr aus dem Kopf, wie der Täter mit dem Messer... Sie räusperte sich. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass so etwas geschieht." Und Bianca hatte die Gäste begrüßt. Da sie wegwollte, hatte sie sich bestimmt nicht länger als nötig mit jedem Gast aufhalten wollen.

„Nun gut, dann benötigen wir einmal Dieters vollständigen Namen, sein Geburtsdatum und seine Adresse. Dasselbe Spielchen wie bei Ihnen." Ihr Kollege machte sich Notizen, als Emma die Personalien nannte.

„Sie sagten, Sie hätten drei Leute im Sinn, die ein Motiv haben. Welcher ist der Nächste?" Der Blick der Polizisten ruhte ruhig auf ihr. Emma ließ das Glas los.

Teure RacheWhere stories live. Discover now