Kupfergipfel Soldat Paul

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Zu einer anderen Zeit, unter anderen Umständen, hätte ich innegehalten und den dicken Schneeflocken bei ihrem wirbelnden Tanz zugesehen. Doch jetzt kam es mir so vor, als wollten sie mich verhöhnen, meine Wangen absichtlich verbrennen, meine Wimpern und Bartstoppeln verkleben.

Der Weg war felsig und steil, und der Schnee knirschte unter meinen Stiefeln in den Steigeisen. Ich zog den Kopf ein und starrte auf den Boden. Jeden Schritt setzte ich mit Vorsicht, denn der Untergrund konnte von jetzt auf gleich unter meinen Füßen nachgeben. In den Tiefen des Schnees verbarg sich wer weiß was, lockeres Geröll, eine Spalte oder eine dünne Eisschicht – ein falscher Tritt konnte den Tod bedeuten.

Der schwere Rucksack mit Munition, Proviant, Schaufel und Kletterseil drückte mich nach unten. Ich umklammerte die Lederriemen, biss die Zähne zusammen und zog den Rotz hoch. Die Behälter für die Schneebrille und für die Gasmaske baumelten an meinem Gürtel und schlugen klappernd gegeneinander. Wie dumm von mir, die Brille nicht gleich aufgesetzt zu haben. Jetzt hatte ich dazu keine Zeit mehr, denn Feldwebel Ahrend trieb uns erbarmungslos voran.

Die schneidende Kälte drang durch Mantel und Schal sogar bis unter meinen Pullover, und trotzdem stand mir der Schweiß auf der Stirn. Gegen den Schnee anzukämpfen erforderte eine ungeheuerliche Kraft. Meine Konzentration schwand, meine Knie zitterten, die Schritte wurden unvorsichtig. Dennoch musste ich durchhalten. Wir mussten weiter hinauf, das Gelände nach potenziellen Lawinen zu untersuchen, welche die Eisstadt unter sich begraben konnten. Hinter jeder Biegung des Weges konnte der Feind lauern. Die Anspannung zerriss mich fast.

Mein Gewehr, ein Mauser 98, hatte ich fest umklammert. In den mit Kaninchenfell gefütterten Handschuhen spürte ich die Kälte des Stahls zum Glück nicht. Am Ende des Gewehrlaufes hatte ich das Bajonett befestigt.

Sollte der Feind hinter einem Felsen oder hinter dem Gebüsch hervorspringen, dann würde er am eigenen Leib spüren, was es hieß, einem Pionier der Hochgebirgskompanie zu begegnen. Denn gut kämpfen konnten wir auch. Allerdings waren die Ostianer in dieser unwirtlichen Gegend genauso arme Teufel wie wir. Genau genommen waren sie sogar unsere Brüder.

Ich musste anhalten, um zu verschnaufen. Dabei drückte ich die freie Hand gegen meine Rippen und kämpfte gegen das Seitenstechen an.

Kurz ließ ich meine Wut auf Hauptmann von Griesheim hochkochen, der uns auf diese unmenschliche Expedition geschickt hatte. Wir waren nichts weiter als seine Schachfiguren, und das ließ er uns mit seinem kalten Grinsen und seiner gekünstelten Art immer wieder spüren. »Hoffmann, bedenken Sie doch, wie privilegiert Sie sind, an der Seite von Ahrend solche, sagen wir, herausfordernden Unternehmungen durchzuführen. Wirklich, es ist fast, als würden Sie sich beschweren, weil ich Sie vor der Monotonie des Alltags bewahre!«

Vor mir stapfte unbeirrt der Feldwebel weiter. Seine Schritte sahen unbeholfen aus, während er sich durch die kniehohe Schneedecke kämpfte. Sein grauer Mantel hob sich kaum von der Nebelsuppe um uns herum ab.

Ich ließ meinen Blick nach oben schweifen, zum Berggipfel, den wir heute noch erreichen mussten, und der zwischen Wolken, Schnee und Nebel nur zu erahnen war. Unter diesen Wetterbedingungen und mit dem Feind im Rücken erschien mir unser Vorhaben unmöglich.

Beim nächsten Schritt knackte es. Eine Eisplatte, ungefähr einen halben Meter im Durchmesser, bröckelte nach unten weg und riss den umliegenden Schnee mit sich wie in einen Trichter. Vor mir hatte sich eine Gletscherspalte aufgetan, etwa drei Meter lang und einen Meter breit, steil nach unten abfallend, wer weiß wie tief.

Mit dem Stiefel tastete ich den Spaltenrand ab. Das Steigeisen klirrte dabei leise. Ich ging in die Hocke, zog meine Lampe aus der Manteltasche und leuchtete hinein. Die verschiedenen Schnee- und Eisschichten schimmerten türkis im Schein des Lichtes und wurden nach unten hin immer dunkler, dazwischen glänzten Millionen von silbrigen Schneekristallen. Der Wind heulte mir um die Ohren wie ein verwundetes Tier.

Allianz im Eis - Die Wächter des NoindaithWhere stories live. Discover now