⁴|Vierschanzentournee [Lellinger]

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„Na gut. Wenn ich heute gewinne, dann sag ich es ihm", warf Andreas ein, während die deutschen Skispringer sich bereits dehnten. Ihm war bewusst, dass er gestern schon die Qualifikation gewonnen hatte, aber ein richtiges Springen der Vierschanzentournee zu gewinnen war noch einmal etwas anderes. So empfand er es zumindest. Bisher hatte er in seiner gesamten Karriere erst zwei Mal überhaupt auf dem Podest bei der Vierschanzentournee gestanden. Außerdem gab es dann noch Stefan Kraft, der als Favorit für den goldenen Adler galt. Sowieso hielt Andi es für sehr unrealistisch, zwei Mal hintereinander zu gewinnen – auch wenn sein Team Kollege in Klingenthal anderes bewiesen hatte.
„Wenn du meinst", Philipp Raimund versteckte sein Grinsen in dem er sich im richtigen Moment auf sein Bein nach vorne lehnte. Auch er wusste um die Form seines Kameraden. Er hielt es für durch aus möglich, dass dieser heute gewinnen konnte – auch wenn er selbst gerne auf dem Podest landen würde. Außerdem wollte er sich nicht weiter diese heimliche Schmachterei anschauen. Wie auf Eierschalen tiegerten sie um einander herum und versuchten allen um sie herum weiß zu machen, dass sie ja nur gute Freunde waren. Jeder Blinde sah, dass es absolut nicht der Fall war. Aber so war es eben, wenn einer zu unsicher und der andere zu schüchtern war. Insgeheim hoffte Philipp wirklich, dass seine beiden Teamkollegen sich zusammenreißen würden und endlich einmal in Ruhe mit einander sprechen würden. Wenn es sein musste, würde er sogar persönlich dafür sorgen, dass keiner auf die Idee kam, die beiden zu stören. Denn es war nicht das erste Mal, dass Andreas über seine Gefühle sprechen wollte. Wann immer die beiden einen vermeindlich ruhigen Moment gefunden hatten, war immer irgendetwas dazwischen gekommen. Weshalb Andi nun auf den ‚perfekten Moment' wartete – den es aus Philipps Sicht überhaupt gar nicht gab. Wenn er danach suchte, würde er immer etwas finden, dass den Moment nicht perfekt machte. Innerlich verdrehte der Oberstdorfer die Augen.
„Aber was mach ich, wenn er mich nicht mag?", fragte Andi leise, während sein Blick zu den anderen drei Springern wanderte, die sich auf der gegenüberliegenden Seite der Halle dehnten. Sein Blick musste nicht lange suchen, um den Grund für seine Sorgen zu finden. Der Ältere unterhielt sich gerade lachend mit Karl über irgendetwas und es störte Andi, dass er dieser Unterhaltung nicht zuhören konnte. Es störte ihn sowieso, dass er Spaß hatte, ohne dass er selbst dabei war. Normalerweise wärmten sie sich immer gemeinsam auf.
„Ich störe ja nur ungern", Justin, der verletzt nicht an der Tournee teilnehmen konnte, gesellte sich zu den beiden Springern, „Aber ich glaube nicht, dass du dir darüber Sorgen machen musst."
Breit grinste er den Ruhpoldinger an.
„Du darfst gar nichts sagen! Du hast uns ja nicht einmal gesagt, dass du eine Freundin hast", maulte Philipp den Älteren an. Das war ein Thema, über das sie ewig streiten würden. Justin hob abwehrend die Hände.
„Ich hab aber auch nie gesagt, dass ich keine hab. Aber genug zu meiner Beziehung. Es geht hier schließlich um Andi's... Ja, was genau ist er eigentlich?", erkundigt er sich.
„Ich-"
„Wer hat welche Beziehung? Andi? Seit wann das?", Pius, der der Unterhaltung offenbar gefolgt war und nun neben Justin auftauchte, wirkte verundert.
„Ach so ein Quatsch. Ich hab keine Beziehung", murrte der Ruhpoldinger und sah die beiden Jüngeren streng an. Aber keiner von den beiden dachte auch nur daran das auszuplaudern, was sowieso das ganze Team bereits wusste.
„Beziehung? Worüber redet ihr?", nun stießen auch Karl und direkt hinter ihm Stephan dazu. Andi musste sich ein Seufzen verkneifen und verdrehte nur die Augen. Zum Glück erlöste ihn Stefan Horngacher in dem Moment von diesem Gespräch.

Andi konnte es kaum glauben. Er hatte nicht nur sein Duell gewonnen, sondern er führte auch nach dem ersten Durchgang. Besser konnte es gerade wirklich nicht laufen. Auch wenn ihm Kobayashi und Kraft echt dicht auf den Fersen waren. Gerade hatten sich wieder alle im Mannschaftscontainer versammelt, da der zweite Durchgang in wenigen Minuten starten würde. Abgesehen von Stephan, der gleich wieder nach oben musste, würden sie alle noch eine Weile hier bleiben können. Auch Justin hatte sich wieder zu ihnen gesellt und unterhielt sich angeregt mit Philipp. Andi verdrehte die Augen. Hatte der Junge denn nichts besseres zu tun? Sich den Wettkampf anzuschauen zum Beispiel.
„Viel Glück", brachte Andi noch hervor, bevor Stephan den Container verließ. Dieser hatte es offenbar nicht mehr gehört, denn die Tür ging ohne eine Rekation hinter ihm zu.
„Viel Glück", äfften Justin und Philipp den Älteren nach und das Team-Küken wackelte dabei sogar mit den Augenbrauen. Die beiden hatten echt nerven. Karl, der auf die Bank neben seine Sachen gesetzt hatte, kringelte sich schon fast vor Lachen, statt dem Ruhpoldinger zu helfen. Hilflos schweifte Andis Blick durch den Raum und blieb am Ältesten kleben. Pius sah nur verständnislos zwischen den drei jüngeren Springern und dem Oberstdorfer, der nun fast zu Boden ging, hin und her. Irgendetwas musste er auf jeden Fall verpasst haben.

more than a world || Skijumping OneshotsWhere stories live. Discover now