Prolog

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Frankreich, nahe Lion, 1. Dezember 2099

Langsam schlich Arac durch den feuchten Wald und folgte dem grün leuchtenden Pfeil auf den Erdboden. Seine Schritte wurden von den Nadeln der jungen Fichten auf dem Waldboden gedämpft. Der Geruch von frischer Erde und Moder hing in der Luft. Die dicht stehenden Nadelbäume boten seinem Trupp optimale Deckung. Er hielt seine MG5-Maschinenpistole schussbereit, auch wenn sie hier noch keinen Ärger zu erwarten hatten. Hinter sich hörte er das Atmen und die leisen Bewegungen von Maroni, dem erfahrensten seiner vier Begleiter. Sie hatten Funkstille vereinbart, um sich nicht zu verraten.

»500 Meter bis zur Grenze des Zielobjekts«, zeigte die freischwebende Anzeige seines taktischen Headsets. Es überlagerte die Realität mit hilfreichen Hinweisen. Bisher kein Feindkontakt. Die Brille würde Maschinen oder menschliche Körper entdeckten, falls diese ihm entgingen.

»50 Meter.« Der Wald endete wie abgeschnitten vor einer betonierten Straße. In den Pfützen spiegelte sich das kalte Licht der LED-Straßenbeleuchtung. Sie erhellte einen vier Schritt hohen Zaun aus massiven Gitterelementen mit einer Krone aus gewickeltem Klingendraht.

Ein olivgrüner Militärjeep bog um die Ecke und hielt auf sie zu. Sein Puls schnellte in die Höhe. Er ließ sich auf den Boden fallen und nahm die Maschinenpistole in den Anschlag. Die Reifen des Fahrzeugs zerteilten platschend die Pfützen. Dann zog es harmlos surrend davon. Erst jetzt stieß er seinen angehaltenen Atem aus. Eine Minute später und man hätte sie direkt aufgegriffen, noch bevor ihre eigentliche Mission anlief.

Nochmals hielt Arac inne. Alle 250 Meter waren jeweils ein Paar Überwachungskameras auf die Umgebung ausgerichtet. Ohne die Augen von der Straße zu lassen, holte er ein anachronistisch wirkendes Kästchen aus seinem Rucksack. Sein Auftraggeber hatte es ihm zusammen mit seiner Bezahlung in einer abgeranzten Kneipe in Lion über den Tisch geschoben. Mit dem Daumen klappte er einen mechanischen Schalter um und platzierte es am Fuß einer der Büsche. Ab diesem Moment sollte die Sicherheits-KI, eine künstliche Intelligenz, die den Bereich überwachte, nur noch einen leeren Weg sehen. Zumindest, sofern diese uralt erscheinende Technik funktionierte.

Einen halben Kilometer hinter dem Zaun erhob sich die Kuppel eines zwei Stockwerke hohen Gebäudes. Weißer Dampf stieg aus Abzugsrohren in den klaren Nachthimmel.

Mit einem Wink gab er seinen vier Begleitern zu verstehen, dass die Luft rein war und es weiterging. Geduckt näherten sie sich im Laufschritt dem Begrenzungszaun. Schwarz-gelbe Schilder mit einem grinsenden Totenkopf wiesen auf die radioaktive Gefahr hin. Maroni holte einen Power-Cutter aus seiner Tasche und zerschnitt die massiven Gitterelemente der Umzäunung wie Butter. Keine zehn Sekunden später hoben sie das schwere runde Teilstück aus der Begrenzung. Mit einem minimalen Klirren legten sie es auf den Betonboden ab. Kein Alarm. Sie rannten geduckt in Richtung der mit grellen Scheinwerfern beleuchteten Kraftwerksanlage.

Es handelte sich um ein neueres SMR-Atomkraftwerk, einen Small-Modular-Reactor. Die stromhungrige Meute an Drohnen und Hochleistungsrechenzentren der ZEU, der Zentralen Europäischen Union, war unersättlich. Aber auch ein »kleines« Kraftwerk konnte ordentlich krachen, falls die Kühlung ausfiel. Das war der Sinn ihres Auftrags. Zu diesem Zeitpunkt plante er, bereits weit entfernt zu sein.

Alle kannten ihre jeweiligen Zielorte auf dem Gelände und sprinteten wortlos los. Den Ablauf hatten sie vorab minutiös geplant. Aracs Herz hämmerte, während er über den flachen Rasen rannte und der Vorgabe seiner taktischen Anzeige folgte. Aufgepeitscht vom Adrenalin des Kampfeinsatzes nahm er seine Umgebung in jedem Detail wahr: Die Feuchtigkeit in der Nachtluft, die trappelnden Schritte seiner Kameraden, das Brummen der Turbinen.

Ein rotes Viereck flackerte in seinem Sichtfeld auf. Aus Reflex hob er die MP5, zielte grob in die entsprechende Richtung und drückte den Abzug. Seine MP war mit der Brille gekoppelt, sodass die Maschinenpistole die Schüsse erst auslöste, sobald diese ihr Ziel sicher trafen. Das harte Hämmern der Waffe schüttelte seinen Arm. In der Entfernung stoben Funken auf. Zu hören waren dank des Schalldämpfers nur ein kaum hörbares Rattern und metallisches Krachen, als seine panzerbrechenden Patronen den mechanischen Gegner durchsiebten.

Den Angreifer, eine moderne Militärdrohne, wie ihm die taktische Brille mitteilte, hatte er rechtzeitig ausgeschaltet. Ansonsten wäre er jetzt tot. Ohne innezuhalten, rannte er weiter.

Zwanzig Meter. Noch zehn. Noch fünf. Ziel erreicht. Schwer atmend hockte er sich vor eine unscheinbare Betonwand. Dahinter war eines der vier redundanten Kühlsysteme verbaut. Der Rucksack glitt von seiner Schulter und er holte den vorbereiteten Pack C6-Plastiksprengstoff heraus. Das reichte garantiert, um die Mauer sowie die dahinterliegende Maschinerie zu erledigen.

In diesem Moment drang ein Sirren in seine Wahrnehmung. Eine Drohne? Warum hatte ihn die verfluchte Brille nicht gewarnt? Mit einem Ruck riss er sein MG herum. Zu spät. Die Wucht der Einschläge großkalibriger Projektile warf ihn gegen die Wand. Blendender Schmerz durchdrang seinen Oberkörper und entrang ihm einen Schrei. Rote und schwarze Flecken flackerten durch sein Sichtfeld. Mit zitternden Fingern tastete er nach dem Timer des Sprengstoffs. Sie glitten ab, ohne den Schalter umzulegen. Taubheit schwappte durch seine Glieder und verdrängte den Schmerz.

Während er hinabglitt in die gnädige Finsternis des Vergessens, erkannte er die über ihm schwebende Militärdrohne, die ihm aufgelauert hatte. Eine tödliche Falle. Und er war mitten hineingetappt.

 Und er war mitten hineingetappt

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