Kapitel 1

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"Ein Hoch auf das Brautpaar!" rief der Trauzeuge im schwarzen Anzug und hob sein Glas, sodass er fast den teuren Whiskey darin verschüttete. Er ist offensichtlich schon etwas angeheitert. Naja, vielleicht auch mehr als das. Ein Wunder, dass er es geschafft hat auf den Stuhl zu steigen, auf dem er stand. Er schwanke ein wenig.

Ich schoss ein paar Bilder von ihm wie er redete, nun versuchte von dem Stuhl hinunterzusteigen und anschließend auf dem Boden ausrutscht. Der Länge nach küsst sein Gesicht den Boden und ich muss mir das Lachen unterdrücken, während ich ein weiteres Bild davon machte. Ob ich das Bild später dem Brautpaar zukommen lasse, war dann auch wieder so eine Sache. Vielleicht, wenn sie es selbst lustig finden.

Aber es wäre eher eine Bloßstellung an den Trauzeugen der sich nun aufrichtetet und das Glas in seiner Hand suchte. Das Glas war zersprungen, als es auf dem Boden landete, und die Flüssigkeit hatte sich auf dem Boden und auf seinem Anzug verteilt. Die Braut lachte und der Bräutigam eilte zu seinem besten Freund, wie ich im Laufe des Abends verstanden hatte, um ihm aufzuhelfen. Ich machte ein paar Bilder von der lachenden Braut und wendete mich dann wieder den Gästen zu.

Es war eine Hochzeit zwischen einem wohlhabenden Firmenerben und einem jungen Model.

Es war einer der großen Jobs, die wir bekamen. Eine riesige Hochzeit mit um die 200 Personen. Nicolas schwirrten ebenfalls in der Menge herum.

Es war schon nach Mitternacht, mal sehen, wie lange wir noch hierblieben. Wir würden bis zwei Uhr morgens bleiben und bald nach Hause fahren. Der Trauzeuge stand mittlerweile wieder und jemand schenkte ihm ein Glas Wasser ein, dass er herunter kippte, so wie ich eine Rum-Cola-Mische an einem entspannten Samstagabend. Er schien zu merken, dass es kein Alkohol war, denn er warf dem Bräutigam einen enttäuschten Blick zu als dieser ihm ein weiteres Glas Wasser einschenkte und ihn dazu brachte es zu schlucken.

***

"Hast du ein paar gute Bilder bekommen?" fragte Nicolas mich, als wir schließlich gemeinsam im Auto saßen. Ich fuhr ihn nach Hause.

"Ich mache nur gute Bilder. Hast du mal zu mir gesagt." entgegnete ich lächelnd. Das war eine Lüge. Ich schoss hunderte von Bildern und war nur mit einem kleinen Teil davon wirklich zufrieden. Dazu war ich einfach zu perfektionistisch.

"Mach das Fenster auf. Hier stinkts nach Selbstlob." meinte Nicolas daraufhin und lachte.

Wir sind beste Freunde seit wir uns kennen. Seine Mum lebte in der Wohnung gegenüber von der meiner Eltern und wir sind seit wir denken können befreundet. Mein Dad hat uns beide zur Fotographie gebracht. Für Nicolas ist es ein Job und mir mich eine Leidenschaft.

Nicolas liebte Natur und Tierfotographie. Ich war eher der Typ für Menschen. Und für Städte. Dass wir diese unterschiedlichen Interessen haben, war Zufall. Dementsprechend weit konnten wir auch unser Angebot an Shootings ausdehnen.
"Grüß Kate schön, wenn sie noch wach ist." sagte ich noch zu ihm als er die Autotür meines Mercedes öffnete und ausstieg.
"Es ist Samstag. Natürlich ist sie noch wach. Nach Mitternacht hat sie doch die besten Ideen." Nicolas grinste stolz.

Kate war Nicolas Verlobte. Die beiden wollten in drei Monaten im Sommer heiraten. Das würde eine der wenigen Hochzeiten werden auf der ich nicht als Fotograph anwesend sein werde. Nicolas hatte darauf bestanden. Das letzte Mal, dass ich nicht als Fotograph auf einer Hochzeit war, war die Hochzeit meiner jüngeren Schwester vor 2 Jahren. Dieses Mal war ich als Trauzeuge auf der Hochzeit von Nicolas dort.

Die beiden waren seit über 6 Jahren ein Paar und letztes Jahr hat Nicolas sich auch endlich getraut und Kate gefragt, ob sie ihn heiraten wolle. Kate war Autorin und arbeitete nebenbei als Lektorin. Sie arbeitet bei einem mittelgroßen Verlag hier in der Stadt. Aktuell arbeitete sie zusätzlich an einer Fortsetzung ihrer Buchreihe. Nicolas erzählt mir manchmal davon, dass sie mitten in der Nacht aufstand und die Ideen, die ihr kommen aufschreibt. Sie würde sie sonst wieder vergessen, sagt sie immer.

Die beiden hatten anfängliche Schwierigkeiten, aber jetzt waren sie ein Herz und eine Seele.

Meine letzte Beziehung war hingegen schon etwas länger her. Das lag nicht daran, dass ich nicht bei den Frauen ankam oder ich mich nicht traute jemanden anzusprechen. Ganz im Gegenteil. In der Zeit, in der ich in Clubs ein und aus ging, hatte ich mehr als einmal am nächsten Morgen Zettel mit Telefonnummern in der Jackentasche. Auch wenn ich bei einer Frau übernachtet hatte. Wie die Damen an meine Jacke kamen, war mir immer schon ein Rätsel gewesen.

Es war eher so, dass ich gerade kein Interesse an einer Beziehung hatte oder gar ans Heiraten dachte. Ich kam gerade gut allein zurecht, der Job läuft gut und eine Frau in meinen Leben würde nur mich und meine Gedanken durcheinanderbringen. Ich könnte mich gar nicht auf meine Arbeit konzentrieren, wenn sie mir die ganze Zeit im Kopf herumschwirren würde. Das kenne ich nur zu gut von meiner Ex Miranda. Vielleicht lag es damals daran, dass ich nur ein notgeiler junger Typ frisch vom College gewesen war, was mittlerweile anders war, aber trotzdem suchte ich nicht nach einer Beziehung. Vielleicht irgendwann mal aber noch nicht jetzt.

Kaum kam ich zuhause an miaute mir Shorty entgegen. Ich sah sie erst als ich das Licht im Flur meiner Wohnung anschaltete und fast auf sie trat. Die Wohnung war nicht gerade groß, aber auch nicht sehr klein. Ich hatte 3 Zimmer, eine Küche und ein anständiges Bad. Mehr brauchte ich nicht. Genug Platz für mich und meine beiden Katzen Shorty und Cloud.

Shorty stand auf der kleinen Kommode im Flur wo ich normalerweise meinen kleinen Rucksack absetzte, die Kamera ablegte und die Schlüssel an ihren Platz legte, bevor ich mir die Schuhe auszog.

"Du kleiner Streuner. Wo hast du denn Cloud gelassen?" fragte ich Shorty und strich ihr über ihr graues Köpfchen. Sie schmiegte sich in meine Hand und miaute wie als würde sie mir antworten. Katzen konnten das nicht, aber manchmal hatte ich das Gefühl sie verstand mich dennoch. Ich war zwar noch nicht fertig mit meiner Streicheleinheit, aber Shorty sprang dennoch von der Kommode hinunter und lief ins Wohnzimmer. Ich war mir sicher, dass Cloud die alte Schlafmütze mitten auf meinem Bett schlief und ich mich gleich an den Rand des Bettes quetschen durfte. Ein Lächeln umspielte meine Lippen.

Ich hatte eine Routine nach jedem Job.

Sie bestand daraus, dass ich meine Kamera aus ihrer Tasche nahm, in die Lücke zwischen Drucker und Bildschirm auf meinen Schreibtisch legte und außerdem den Akku tauschte. Den leeren schloss ich ans Stromnetz damit er morgen wieder vollgeladen war.

Anschließend ging ich in mein Schlafzimmer, zog den dunkelgrauen Anzug aus, den ich immer trug, wenn ich auf einer Hochzeit war und hang alles geordnet auf. Ja ich war nur der Fotograph, aber es war ein festlicher Anlass. Da wollte ich nicht wie der letzte Honk rumlaufen. Auch ich hatte meinen Anstand. Wenn ich auf Partys und Festivals war, trug ich immer unser T-Shirt, auf dem unser Name, E-Mail und Adresse standen aber nicht auf Hochzeiten. Ein schwarzes Shirt mit der Aufschrift „Hinter mir seid ihr sicher" war auf einer Hochzeit eher unangemessen.

Das Hemd, dass ich trug, würde ich waschen und bügeln, den Rest zum Auslüften weghängen und morgen schauen, ob ich irgendwo Flecken hatte. Aber vorerst faltete ich es gründlich zusammen. Mein Großvater hatte mir mal gezeigt, wie man ein Hemd so ordentlich zusammenfaltete, dass es perfekt auf ein DIN-A4-Blatt passte.

Duschen würde ich morgen. Heute reichte es erst einmal, wenn ich nur schnell das Haarspray auswusch und dann ins Bett ging. Ich hatte mir heute Morgen bevor ich zur Hochzeit gefahren war, schon Kleidung für morgen rausgelegt. Das musste ich also nicht mehr machen. Auch wenn es mittlerweile halb 4 Uhr am Morgen war, checkte ich noch einmal meine Mails auf dem Handy und ging anschließend ins Bett.

Ich sollte mit meiner Vermutung recht behalten.

Cloud hatte sich ausgiebig auf meinem Bett ausgestreckt, sofern es ihr bei ihrer kleinen Größe möglich war. Sie war wach und schaute mich aus ihren blauen Augen an.

"Jetzt runter mit dir." ich nahm sie hoch und streichelte sie kurz bevor ich sie auf den Boden setzte. Doch bevor ich es schaffte, selbst ins Bett zu gehen sprang sie bereits wieder auf mein Bett. Dieses Mal zum Glück etwas weiter links, sodass ich die rechte Seite meines großen Bettes für mich allein hatte.

Die Linsen des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt