Tag 3 - Harte Schläge (1)

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Peter

Es war kurz vor Mittag. Peter hatte sich mit Roland aus der Daten-Forensik zum Mittagessen verabredet. Dieser hatte praktischerweise ebenfalls nahe der Innenstadt seinen Dienstsitz. In der Real-Welt. Sich physisch zu treffen und auszutauschen, wusste er speziell mit Kollegen zu schätzen. Dabei erhielt er häufig eine offenere und ehrlichere Meinung als bei einem Chat in der VR, bei dem man immer von Avataren repräsentiert wurde. Außerdem war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie hier von einer KI beobachtet wurden. Letzteres gab den Ausschlag. Roland hatte heute Morgen angedeutet, dass er seine Analyseergebnisse der Presse-KI beunruhigend fand. Daher hatten sie sich im Sky-Café am Stachus verabredet. Die Viertelstunde Fußmarsch vom Odeonsplatz würde ihm guttun, denn er arbeitete daran, seine Pfunde in den Griff zu bekommen – ohne explizit Sport zu treiben.

Als er seine Dienststelle verließ, war es weiterhin schwülwarm, aber es blies ein kräftiger Wind und die Sonne wurde verdeckt. Finstere Wolken zogen zusammen mit den Drohnenschwärmen über ihn hinweg. Für das kurze Stück sollte das Wetter halten. Zurück konnte er ein Robo-Taxi nehmen. Die Münchener U-Bahn war 2072, pünktlich zum hundertjährigen Jubiläum, außer Betrieb gegangen, da die meisten Menschen ausschließlich von zuhause arbeiteten. Und Dank perfekten VR-Erlebnissen kamen auch kaum noch Touristen in die Stadt. Zügig lief er die Brienner Straße mit ihren alten Bauten entlang. Als er am Denkmal der Opfer des Nationalsozialismus mit seiner ewigbrennenden Flamme abbog, blendete sich ein rotes Warndreieck in sein Sichtfeld ein.

»Achtung, Hagelschlag! Begeben Sie sich SOFORT in einen geschützten Bereich! Lebensgefahr!« Der Text wurde in rot-pulsierenden Lettern eingeblendet. Ein Pfeil zeigte auf die andere Straßenseite mit dem Hinweis, dass die nächste Schutzzone fünfhundert Meter entfernt war. Mist, er hätte ein Robo-Taxi nehmen sollen.

Damit sprintete er los. Leider hatte er keine brauchbare Kondition, aber die Strecke sollte zu schaffen sein. Sein Ziel war laut Anzeige ein historisches Gebäude an der Ecke zum Oskar-von-Miller-Ring. Auf Autos musste er zum Glück nicht achten, bis auf ein paar Taxen war hier am Boden nichts mehr los. Während er sich der Bürofassade näherte, prasselten die ersten kleinen Hagelkörner nieder und bildeten einen weißen Teppich. Er sah, dass die Drohnen sich in Schutzhangars in den oberen Stockwerken zurückzogen. Sie schienen von den Gebäuden wie fette dunkle Nebelfinger aufgesaugt zu werden. Nochmals beschleunigte er seine Schritte und bekam bereits nach hundert Metern Seitenstechen. Die Körner wurden dicker und piksten wie Nadelstiche auf Kopf und Händen. Mann, das würde knapp werden.

Und es kam, wie es kommen musste: In der Eile übersah er unter dem weißen Kugelteppich einen Bordstein. Sein rechter Fuß blieb hängen und der linke knickte ein. Mit einem kurzen Schrei schlugen Knie und Handballen auf das Pflaster. Brennender Schmerz zog sich wie Feuer über die abgeschürften Stellen. Die Hagelkörner hatten den Sturz gedämpft. Fluchend rappelte er sich auf. Das Missgeschick hatte ihn lebenswichtige Sekunden gekostet. Erneut sprintete er weiter zur rettenden Schutzzone. Zack. Ein massiver Brocken knallte schmerzhaft auf seine Schulter. Vor ihm krachten erste, tischtennisballgroße Kugeln auf den Boden.

Noch hundert Meter. Seine Lungen brannten und er hatte das Gefühl, man hätte ihm ein Messer in die Seite gerammt. Zack, zack. Zwei harte Eisbrocken hämmerten wie Stahlkugeln auf seinen Rücken und ließen ihn straucheln. Die Hagelkörner hatten inzwischen Tennisballgröße. Zack – zack, zack. Dumpfe Schläge prasselten auf ihn ein, während er seine Arme schützend über den Kopf hielt. Das würde üble Prellungen geben.

Zwanzig Meter. Weitere Kugeln schlugen auf ihn ein. Halbblind stolperte er erneut, schien eine Sekunde in der Luft zu schweben, dann krachte er ungebremst mit dem Oberkörper auf harten Beton.

Schlagartig wurde es still.

Mit seinem letzten Sturz hatte er es unter die Überdachung am Zielgebäude geschafft. Oh, Mann. Er war komplett fertig, kroch vorwärts und ließ sich mit dem Rücken an der Wand nieder. Seine Arme und Kreuz waren vom Hagel sicherlich grün und blau geschlagen. Das Seitenstechen sowie Knie und Handballen brannten wie Feuer. Draußen prasselten die Hagelkörner als undurchdringlicher Schauer herunter. Eine Sekunde später und ...

𝗙𝗔𝗞𝗘 𝗣𝗔𝗥𝗔𝗗𝗢𝗫 - Fake News war gestern ✔️Where stories live. Discover now