Kapitel 17 - Gefangen

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Voller Verwirrung blickte Rabenband auf. Laute Hufschläge drangen ins Lager, als presche eine ganze Herde in den Felsenkessel. Nervös erhob er sich und spähte nach draußen. Nach mehr oder weniger erfolglosem Schwimmtraining, waren sie ins Lager zurückgekehrt, um sich auszuruhen. Außer Nordwind und Luftzug war es keinem der Pferde gelungen, mehr als ein paar unbeholfene Schwimmzüge zu absolvieren.
„Was geht hier vor?" Aufgebrachtes Wiehern Nachtstrahls drang an Rabenbands nervös zuckende Ohren. Der Schüler riss die Augen auf, als Ampferherde-Geruch ihm in die Nüstern strömte. Feindselig baute sich die Bergherde vor einer erstaunlich großen Gruppe der Ampferherde auf, die in das Lager trabten. Was um alles in der Welt hatten sie hier verloren? Wollten sie angreifen? So kurz nach der gemeinsamen Reise zum Sonnenkristall? Doch die Pferde wirkten alles andere als angriffslustig. Mit stumpfen Pelzen und hängenden Köpfen blieben sie in der Mitte des Lagers stehen. Rabenband stellte fest, dass einige böse aussehende Bisswunden mit sich trugen. Suchend sah er sich um. Was Streuselband unter ihnen? Aber einzige ihm bekannte Pferd war Sauerband, der gescheckte Schüler, mit dem er sich auf dem großen Herdentreffen unterhalten hatte.
„Was beim Sonnenkristall habt ihr hier verloren?" Wütend schnaubend trat Nachtstrahl vor. Die Pferde der Ampferherde hatte sich inzwischen Kreisförmig um 2 Stuten mit Fohlen aufgestellt. Ein schlanker, brauner Hengst mit blauen Augen trat vor und senkte ehrerbietig den Kopf vor dem Anführer der Bergherde. „Wir sind hier, um um eure Obhut zu bitten."
Verwirrt riss Rabenband den Schädel hoch. Was was geschehen und wo waren die anderen Mitglieder der Herde. Am meisten wunderte ihn, dass weder Flammenstrahl noch Flimmermähne unter ihnen waren. Und Streuselband fehlt. Düstere Sorge um die weiße Schülerin fraß sich unter seinen Pelz wie lästige Parasiten.
„Wie kannst du es wagen, das von uns zu verlangen, Glanzauge?" Die Dunkelfuchsstute Farnrost wölbte drohend den Hals vor dem Hengst, der das Wort ergriffen hatte. Dieser senkte müde den Blick. Sein Fell wirkte stumpf und ein tiefer Kratzer zog sich quer über seine Stirn. „Die Salzherde hat unser Lager übernommen."
Erstauntes Gemurmel brandete auf. Die Mitglieder der Bergherde wechselten unruhige Blicke.
„Wo ist Flammenstrahl?", fragte Nachtstrahl. Die Wut über das unbefugte Eindringen in sein Lager war gewichen, dennoch schwang tiefes Misstrauen in seiner Stimme mit.
„Er und die anderen waren noch nicht von der Mission zurück, als die Salzherde angriff", antwortete eine helle Stute mit rötlicher Mähne. Scharf atmete Rabenband die trockene Luft ein. bedeutete das etwa, dass Streuselband Teil der Mission gewesen war? Tiefe Ehrfurcht vor dieser Ehre ergriff ihn.
Nachdenklich murmelte Nachtstrahl seiner zweiten Anführerin Farnrost etwas zu. Dann wandte er sich wieder der Ampferherde zu und verkündete: „Vorerst werden wir euch aufnehmen. Ich werde eine Patrouille aussenden, die Flammenstrahl und die anderen suchen soll. Sobald wir sie gefunden haben, sehen wir weiter."
Aufgebrachtes Gemurmel brach unter seiner Herde aus. „Und was ist, wenn die Salzherde in der Zwischenzeit und angreift?", fragte Sommerlicht mit sorgenvollem Blick auf Rotfohlen, der mit gespitzten Ohren die Ampferherde musterte.
„Solange die Ampferherde in unserem Lager bleibt, werden sie auf unserer Seite stehen." Eindringlich sah Nachtstrahl Glanzauge und die übrigen an, die schwach nickten. Der Rappe ignorierte weitere Einwände seiner Herde und richtete seinen Blick auf Krautfell. „Kümmere dich um die Wunden, Hummelband und Lärchenband können dir dabei behilflich sein." Zustimmend wiehernd trabte der Heiler los, um sich die Verletzungen der Ampferherde anzusehen. Langsam und unwillig folgte Lärchenband ihm. Rabenband warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. Er selbst war froh, nicht ebenfalls für diese Aufgabe ausgewählt worden zu sein.
„Rabenband!", rief Farnrost ihn in diesem Moment zu sich. „Du kommst mit mir, Wüste und Sturm. Wir suchen Flammenstrahl."
Ein heißes Kribbeln stieg in Rabenbands Hufen auf, als er sich gemeinsam mit seiner Tutorin zu der zweiten Anführerin und dem jungen Kämpfer Sturm gesellte. Er hoffte sehr, dass es ihnen gelingen würde, Flammenstrahl und die anderen - vor allem Streuselband - ausfindig zu machen. Beim Gedanken daran, die Schülerin wiederzusehen musste er vor Aufregung kurz nach Luft schnappen.
„Alles in Ordnung, Rabenband?" Besorgt wedelte Wüstes Schweif in seine Richtung.
„J ... Ja", stotterte Rabenband ertappt und starrte auf den felsigen Boden. „Ich hoffe, wir finden die anderen."
Farnrost nickte. „Eine ganze Herde ohne ihren Anführer im Lager zu haben behagt mir ganz und gar nicht. Hoffentlich haben sie die Salzherde nicht zu uns geführt. Wer weiß, wozu sie in der Lage ist."
Angsterfüllt schnaubend wechselte Rabenband einen Blick mit Sturm. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Würde die Salzherde wirklich versuchen, auch das Gebiet der Bergherde einzunehmen. Ein eiskalter Schauer wanderte seinen Rücken hinab, als er sich vorstellte, wie er und seine Gefährten heimatlos durch die Lande wanderten.
„Kommt, lasst uns zuerst beim Lager der Ampferherde nachsehen, vielleicht finden wir eine Geruchsspur, der wir folgen konnten", schlug Farnrost vor, ehe sie sich mit einem letzten grimmigen Blick auf die Ampferherde, die sich inzwischen auf dem gesamten Lagerplatz verteilt hatte, los trabte. Die anderen drei Pferde folgten ihr schweigend einen Pfad in die Schlucht hinab, der sie unmittelbar an die Grenze zum Gebiet der Ampferherde führte.
Den ganzen Weg über kreisten Rabenbands Gedanken um die vergangenen Ereignisse. War die Salzherde wirklich so stark, dass sie eine gesamte Herde aus ihrem Gebiet verjagt hatte? Oder war es doch nur ein Vorwand der Ampferherde, die Bergherde auszuspionieren und zu stürzen. Hatte Nachtstrahl vorschnell gehandelt, indem er die fremden Pferde bei sich aufgenommen hatte? Andererseits - was hätte er sonst tun sollen? Er konnte unmöglich eine Herde verletzter Pferde sich selbst überlassen.
„Pass doch auf!", wieherte Sturm auf, als Rabenband gegen sein Hinterteil prallte.
„Tut mir leid", murmelte er abwesend und blickte sich um. Sie hatten die Grenze erreicht und traten ohne zu zögern aus dem Schutz der schattigen Schlucht hervor und auf das offene Geländer der Ampferherde.
„Achtet auf jede Veränderung!", ordnete Farnrost mit einem Zucken ihres linken Ohres an, ehe die rötliche Stute antrabte. Die übrigen drei folgten ihr.
„Das ist eine gute Gelegenheit, deine Witterungsfähigkeiten zu verbessern", raunte Wüste ihrem Schüler Rabenband zu. Dieser nickte und reckte die Nase in die Luft. Es war windstill, dennoch konnte er den schwachen Geruch der Ampferherde wahrnehmen. Einige Pferdeäpfel verwiesen auf eine kürzlich passierende Gruppe.
„Das müssen die Pferde gewesen sein, die jetzt in unserem Lager sind", murmelte Rabenband. Er erkannte sogar einige Gerüche wieder. Sauerband und ein weiteres junges Pferd hoben sich etwas vom Rest der Düfte ab. Stolz stellte Rabenband fest, wie gut er sich überlagernde Gerüche mittlerweile auseinander halten konnte.
„Hier entlang." Farnrost führte ihre Pferde über einen Hügel, hinter dem das Lager der Ampferherde liegen musste. Instinktiv verlangsamte Rabenband seinen Lauf. Er war sich nicht sicher, ob er unbedingt wissen musste, was sich dort im Lager abspielte. Da trug bereits eine leichte Windböhe den unverkennbar fischigen Geruch der Salzherde zu ihnen hinüber. Wüste rümpfte die Nüstern und Sturm scharrte wütend am Boden. „Unfassbar, dass sie es gewagt haben, eine gesamte Herde aus ihrem Territorium zu vertreiben", knurrte der weiße Hengst zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor."
Nachdenklich schlug Farnrost mit dem Schweif. „Sie müssen den Schutz der Nacht genutzt haben, um sich unbemerkt anzuschleichen. Ohne ihren Anführer muss die Ampferherde schutzlos ausgeliefert gewesen sein."
„Hinterhältiges Pack", entfuhr es Sturm, der kurz erbost auf die Hinterbeine stieg. „Wenn die auch nur auf die Idee kommen, in die Berge einzufallen, können sie was erleben!"
„Ruhig", ermahnte Farnrost den übermütigen, jungen Kämpfer. „Lasst uns so nah wie möglich an das Lager herangehen und nach Geruchsspuren von Flammenstrahl und dem Rest der vermissten Pferde suchen."
Nickend setzte sich Wüste in Bewegung. Auf leichten Hufen glitt die Patrouille den Hang hinab und pirschte sich an den Lagerwall an, der aus einigen Brombeerhecken und vertrockneten Farnbüscheln bestand.
Plötzlich knickte Rabenbands linkes Hinterbein um. Es war, als hätte die Erde einfach so unter ihm nachgegeben und ihn in die Tiefe gesogen. Vor Schmerz stieß er ein schrilles Wiehern aus. Kurz wurde ihm Schwarz vor Augen, dann realisierte er, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Panisch drehte er den Kopf. Mit weit aufgerissenen Augen stellte er fest, dass er in ein Kaninchenloch getreten war.
„Rabenband!" Besorgt wandte sich seine Tutorin Wüste zu ihm um.
„Ich ... Ich stecke fest", gab der Rappe wimmernd zu, während er immer energischer versuchte, sein Hinterbein aus dem Loch zu zerren. Den dumpfen Schmerz, der seinen Körper hinaufzusteigen schien, versuchte er mit zusammengebissenen Zähnen zu ignorieren.
„Weg hier!", wieherte die zweite Anführerin ihren Pferden mit einem Mal zu. Ihr Schweif war aufgestellt und sie sah nervös um sich. „Sie haben uns entdeckt!"
Jetzt sah Rabenband es auch. Drei prunkvolle Pferde preschten im vollen Galopp aus dem Lager heraus und direkt auf die Patrouille zu. Noch energischer riss er an seinem gefangenen Bein, doch er hatte keine Chance. Je mehr er daran zog, desto stärker schien es sich zu verdrehen. Ein stechender Krampf jagte sein Bein hinauf und ließ ihn schmerzverzerrt aufkeuchen.
„Was habt ihr hier verloren?!", schnaubte der dunkelgrau gemusterte Hengst an der Spitze des Trios. An seiner Seite war ein Dunkelbrauner mit breiter Blesse und ein windschnittiger Rappe. Beide wölbten drohend die Hälse, als sie vor der Bergherde Halt machten.
„Lasst mich zurück", zischte Rabenband seinen Herdengefährten zu. Auch wenn ihm die Vorstellung eiskalte Schauer über das Fell fahren ließ, alleine hier mit diesen fremden Pferden zurückzubleiben, wollte er die anderen nicht in Gefahr bringen.
Farnrost sah ihn aus tiefen Augen an. Sie musste den glasigen Schmerz, der sich in den seinen widerspiegelte, erkannt haben, denn sie zischte Wüste zu: „Lauf so schnell du kannst ins Lager und hole Krautfell und noch ein paar starke Kämpfer!"
„Nichts da!" Der Dunkelgraue Schecke stellte sich Wüste in den Weg, als sie mit wehender Mähne über die Felder davonpreschen wollte. Einen Moment gelang es ihm, die Stute in Schach zu halten, doch dann schlüpfte sie plötzlich in Windeseile an ihm vorbei.
„Halt sie auf, Nebel!", befahl der Dunkelgraue dem schlanken Rappen, der Wüste in vollem Lauf verfolgte und einige Galoppsprünge später zu Boden Rang. Tatenlos musste Rabenband dabei zusehen, wie seine Tutorin mit einem dumpfen Schlag auf dem harten Boden aufkam und sich daraufhin nicht mehr rührte. Wenige Herzschläge später waren sie umzingelt. Farnrost wurde von dem Braunen mit der Blesse am Boden festgenagelt, während Sturm verzweifelt versuchte, sich aus dem Griff des Dunkelgrauen zu winden. Immer mehr Pferde der Salzherde strömten aus dem Lager und kreisten die Bergherde aufgebracht tänzelnd ein.
„Eine schwache Gruppe, um das Lager eurer Freunde zurückzuerobern", hämisch lachend trat eine kleine, hellgraue Stute vor.
„Die Ampferherde ist nicht mit uns befreundet", zischte Farnrost ihr erbost zu. Mit einem Heftigen Tritt gegen den Bauch des Braunen, gelang es ihr, sich wieder aufzurichten. Auge um Auge baute sie sich vor der Stute auf. „Hast du hier das Sagen?", fragte sie mit spöttischem Unterton.
„Mein Name ist Seestern. Ich bin dir Anführerin der Salzherde", erwiderte die Graue und senkte den Kopf vor Farnrost.
„Was wollt hier hier auf den Feldern?", harkte diese keine Spur freundlicher nach.
„Nun, wir dachten uns, es kann nicht schaden, unser Territorium ein wenig zu erweitern. Das siehst du doch auch so, oder Farnrost?" Seestern richtete ihre Ohrspitzen nach vorne.
Keuchend schnappte Rabenband, der noch immer eingeklemmt am Boden lag, nach Luft. Konnte es sein, dass sie von ihrem Angriff auf die Ampferherde wusste?
„Woher weißt du meinen Namen", knurrte die zweite Anführerin der Bergherde mit zusammengekniffenen Augen.
Doch Seestern zuckte nur überheblich die Schultern. „Ich habe da so meine Quellen", gab sie zurück, ehe sie ihren Kriegern ein stummes Zeichen gab. Ohne weitere Worte zerrten sie Farnrost und Sturm ins Lager. Erleichtert stellte Rabenband fest, dass Wüste mittlerweile auch wieder auf den Beinen war und von Nebel hinter den anderen hergeführt wurde.
„Grabt den Kleinen aus und bringt ihn dann zu den anderen", befahl Seestern einem hellgrau gesprenkeltem Hengst, der sich gemeinsam mit einem etwas jüngeren Grauen mit weißer Mähne Rabenbands Bein zuwandte. Er nahm noch wahr, wie der Schmerz immer dumpfer und pochender wurde, als die beiden mit ihren Hufen in der Erde kratzten, dann wurde ihm plötzlich ganz heiß. Sein Umfeld verschwamm vor seinen Augen, bis er schließlich von einer undurchdringbaren Schwärze verschluckt wurde. Alles schien sich zu drehen und sein Bewusstsein schwand. Das letzte, woran er dachte, war die Frage, was die Salzherde mit ihnen vorhatte - und ob sie Streuselband und den anderen das gleiche angetan hatten.

RivalenWhere stories live. Discover now