Ich hasse Abschiede

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Stumm sitze ich vor meinem Computer und schaue auf die rot leuchtende Tastatur, wo nur all zu oft meine Finger über die verschiedenen Tasten gleiten. Ein leises Klacken ergibt sich dann immer aus dieser Bewegung, das mit jedem Ton einen Buchstaben in einen meiner vielen Entwürfe druckt. Entwürfe, die es eigentlich doch eh nicht wert sind. Entwürfe, die am liebsten jeder lesen soll und die doch unter Verschluss bleiben müssen. Zumindest manche von ihnen, so wie der Neuste, den ich gerade mit dem Klacken meiner geliebt und zugleich verhassten Schreibhilfe schmücke.

Es ist ein Schriftstück voller belangloser Anreihungen von Wörtern, in denen ich mich krampfhaft zu erklären versuche. Die Worte sollen den Leuten beibringen wieso ich diesen Weg gehe und was mich dazu gebracht hat diesen Pfad einst anzusteuern. Sie sollen wissen was sie angerichtet haben, aber auch wissen wie wichtig sie mir sind. Jeder soll über sein Handeln nachdenken und zurückschauen, wie ich es viel zu oft getan habe. Nicht weil ich es wollte, sondern weil ich dazu gezwungen wurde. All die Erinnerungen, die Träume... Nichts davon wollte ich haben und doch hatte ich alles. 

Am liebsten würde ich sie dafür büßen lassen. Jeden einzelnen. Alle sollen sie wissen, was wahrer Schmerz ist. Was es bedeutet nichts zu haben und doch alles zu verlieren. Wie es ist sich immer wieder selbst neu zu erfinden, damit man sich nicht selbst verliert. Ein Leben voller Paradoxe. Ein Leben, das nicht gelebt, sondern nur erhalten wird. 

Ein Überleben, statt leben. 

Das sollen sie wissen. Sie sollen endlich verstehen was ich ihnen immer versucht habe mitzuteilen. Was sie überhört und übersehen haben, um nicht Teil des Problems zu sein, während sie mitten im Zentrum dessen stehen. Es muss gesagt werden, was ich so lange geschrien habe. Manchmal stumm, manchmal voller Kraft. 

Allerdings finde ich keine Worte, die meinen Leidensweg beschreiben können. Darum starre ich seit Stunden auf dieses Worddokument, ohne großen Fortschritt. Alles was ich aufschreibe klingt zu lasch und gleichzeitig doch wie eine Übertreibung. Nichts klingt wie das was in meinem Kopf zu hören ist. Kein Wort beschreibt die Bilder vor meinen Augen. Fehlende Silben, für die Tränen, die kalt über meine heißen roten Wangen laufen. Wenn ich könnte würde ich das salzige Wasser auf meiner Haut nutzen um zu schreiben. Vielleicht würde ich dadurch mein gewünschtes Ergebnis erzielen. Wenn die Kristalle voller Trauer auf Papier tanzen und meine Geschichte erzählen.

Wäre es doch nur so einfach. Ein einziges Mal in meinem Leben. Ein erstes und letztes Mal...

Wahrscheinlich würden sie es aber selbst dann nicht verstehen. Zu oft lief mir diese kostbare Tinte aus meinen geschwollenen Augen. Oft genug wurde ich dabei gesehen. Viel zu oft dabei ignoriert. Darum überhaupt sitze ich hier und versuche mit meiner Tastatur zu schreiben was ich all die Jahre niemandem näher bringen konnte. 

Dabei hasse ich Abschiede so sehr.

Ich mag das Ende nicht, egal um was es geht. Sei es ein Puzzle, das sein letztes Teil bekommen soll. Ein Buch, dessen letzte Seite gelesen wird. Musik, die ihre letzten Sekunden abspielt. Ein Ende ist so absolut. So Vollständig und unumkehrbar. Darum müssen sie auch so gut überlegt sein. Eine Fähigkeit die ich nicht besitze. Ich fühle nur unbestimmte Dinge. Alles und nichts. Nie was Halbes, aber auch kein Ganzes. Meine Gefühle sind chaotische Pfeile die kein Ziel haben. Die ohne Richtlinie in das Unbestimmte abgeschossen werden. Sie legen einen Weg zurück von denen keiner weiß wie lang er ist. Nicht einmal sie selbst.

Darum verlieren sich die meisten unterwegs, was sich in langer stille äußert. So wie gerade. Während ich auf den Bildschirm, ja schon fast durch ihn hindurch starre, trocknen langsam die Tränen auf meiner Haut und das Wimmern verstummt. Das Klacken hat schon lange aufgehört, der Atem ebenso kaum hörbar. Fast so, als würde er ausbleiben, so wie mein Herz, das nur ganz schwach schlägt. Wie schön das doch wäre, könnte es nur so einfach sein...

Selbst Spotify hat sich der Ruhe angeschlossen und sein letztes Lied der Playlist gespielt. Damit trat die Leere ein, die all die Gefühle verdrängte. Wieder eines dieser Paradoxe. Wie kann Leere etwas füllen?

Ist es das, was alle als Wahnsinn beschreiben? Wahnsinn ist immer das Gleiche zu tun, aber ein anderes Ergebnis zu erwarten. Ein Spruch, den ich irgendwo mal aufgeschnappt habe, der wohl ziemlich treffend meinen Zustand bezeichnet. Ich bin wahnsinnig. Immer wieder sitze ich an meinem Laptop, starte ein Dokument, weine, tobe, schreie, schluchze und verstumme. Jedes Mal schreibe und schreibe ich, ohne Erfolg. Ich komme nie zu einem dieser unschönen Enden.

Es ist nie genug, nie ausreichend. 

Wahrscheinlich auch, weil ich kein Ende will. Keinen Abschied. Es ist viel mehr so, dass ich mich dazu gezwungen fühle. Auch ein innerer Wunsch, aber nur weil keine Hoffnung übrig bleibt. Die Angst vor dem täglichen Schmerz, der am nächsten Tag wartet. Sie quält mich. Aber sie tut es nur, weil ich ihr nicht ausweichen kann. Weil es kein Ende geben darf. Noch nicht. Das könnte ich meinem kleinen Bruder nicht antun, der gerade versucht sein Leben auf die Reihe zu kriegen. Und meiner Schwester, die plötzlich vor einem riesigen Problem stehen würde. Vor einer Wohnung die nicht alleine bezahlbar ist, mit einer kranken Katze und einem eigenen Leidensweg.

Ich kann und darf nicht gehen, ehe meine Liebsten sicher sind. Bis sie einen Platz auf der Welt gefunden haben. Eigen -und bodenständig leben können. Wenn die Probleme klein genug sind. Erst dann kann ich gehen. Dann kann ich endlich weg von all dem Schmerz. Von dem Leid. Von den Sorgen, die mich erdrücken und mir meine Luft rauben, mir jedoch aber genug lassen, um nicht daran zu ersticken. Von der Angst, die mich antreibt und aufhält. Erst dann kann ich loslassen, um festzuhalten. An dem Ende, das ich so sehr hasse.

Darum also schließe ich das Dokument wieder, mache Spotify auf und suche meine geliebte Playlist raus. Sie heißt "Replay", weil sie Zeitlos ist. Alles in ihr kann ich immer und jederzeit hören, egal wie es mir geht und was ich fühle. Alle Lieder sind herzlich willkommen und immer richtig. Manchmal perfekt passend. Wie gerade, nachdem ich den Schuffle-Button gedrückt habe, weil ich mich zwischen der guten Musik eh nicht entscheiden könnte und ich den Aufwand sowieso nicht betreiben muss. 

Es läuft der Song "deah bed". Bittertraurig, wie ich es gerade bin.

Ab da merke ich auch wie ich immer schwerer werde. Wie meine Kraft mich wieder einmal verlässt und die getrockneten Tränen mich zu Bett bringen versuchen. Ich werde sie ihre Arbeit vollrichten lassen und mich auf den Weg machen. In mein kuscheliges Reich aus Kuscheltieren, Kissen und Decken. Der einzige Ort wo alles gut ist. Wo sich mal ein positives Gefühl über mich schleicht. Ein weiches warmes, das mich wieder Feuchtigkeit im Auge spüren lässt. Ich liebe es hier zu liegen. Ich liebe so vieles. So vieles weswegen ich gerne bleiben würde. Wenn ich könnte würde ich es mitnehmen. Meine Geschichten, meine Träume und Wünsche. Meine unzähligen Poster von Kpopidols, meine Figuren und meine Spiele. Meine Katze, die sich zu mir kuschelt, wann immer ich meinen Tränen erliege. Zumindest meistens, außer natürlich heute. Aber das macht nichts. Bei ihr bin ich mir sicher, dass sie mich lieb hat. Und selbst wenn nicht würde das eh keine Rolle spielen. Genauso wenig wie das sie nicht bei mir liegt, da der Schlaf mich früher holen kommt als erwartet.

Er nimmt mich an die Hand, in das andere Land voller Albträume, das trotzdem nicht annähernd so schlimm ist, wie das Leben im wachen Zustand. Egal wie viel schlimme Dinge mir meine Fantasie in der Nacht zeigt. Nichts ist schlimmer als die Realität. Darum war ich froh meine Augen schließen zu können, auch wenn die Angst mich eng begleitete. Aber alles war besser als in der echten Welt zu leiden. Die Angst vor ihr war so viel größer. Die Angst vor dem Morgen, wo alles weitergehen wird. 

Zumindest noch ein bisschen.

Nur noch ein bisschen...

HopelessWhere stories live. Discover now