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,,SOPHIAA!!!", weckt mich die Stimme von Kevin, meinem Stiefvater. Er haut gegen meine Tür. ,,Scheiße, ich hab' gestern vergessen wieder auszuschließen, das gibt Ärger...", fluche ich. ,,Ja?", frage ich vorsichtig. ,,MACH' SOFORT DIE SCHEIß TÜR AUF!", befiehlt er. Ich tapse zur Tür. Einatmen, ausatmen. Dann drehe ich den Schlüssel um. Sofort geht die Tür mit einem Ruck auf. ,,Das hat Konsequenzen!", murmelt er.

~20 Minuten später~

Ich gehe vorsichtig die Treppe runter. Vorbei an Bierflaschen, Schnapsgläsern, Pizzakartons uns sonstigem Zeug. ,,Bring mir nach der Schule Alk!", kommt es aus dem Wohnzimmer. ,,Sonst bereust du es, wenn du wieder mit leeren Händen vor mir stehst!", fügt er hinzu. Er schnappt sich die Fernbedienung. Auf RTL läuft gerade eine Zaubershow. "Ehrlich Brothers- live!"
steht in der Programmliste. ,,Cool.", kommt es mir über die Lippen. ,,BITTE WAS?", lallt Kevin. ,,Die verarschen Leute und solche wie du finden das auch noch toll!", er schaltet das Fernsehen aus. Ich rolle mit den Augen. ,,Haben wir was zu meckern!?", er schaut mich eindringlich an. Ich schüttel den Kopf. ,,Komm her du Misststück!!!", schreit er. Ich renne los. Aus der Haustür und dann aus der Einfahrt. Nach einer Weile verlangsame ich mich. ,,Puh, gerade nochmal Glück gehabt!", murmele ich. Dann gehe ich zum Bahnhof.
Es ist noch nicht viel los. Kein Wunder. Ich bin eine der wenigen, die mit dem Zug zur Schule kommen. ,,Information zu: RB54 nach Bünde. Verbindung fällt aufgrund Technicher Komplikationen aus.", kommt es von dem Lautsprecher neben mir. ,,Nee, oder?", seufze ich genervt. Dann mache ich mich auf den Weg. Zu Fuß zur Schule laufen bin ich bereits gewohnt, so oft wie die Bahn streikt. Nur der Weg zu Fuß dauert 1 Stunde, was heißt, dass ich 100 prozentig zu spät bin. Alle anderen rufen ihre Eltern an, die sie dann zur Schule fahren können. Bei mir ist das anders. Ganz anders. Kevin ist nicht ansatzweise dazu in der Lage überhaupt aus dem Haus zu kommen und Mama? Mama verließ mich vor 4 Jahren. Seitdem habe ich kein Wort mehr von ihr gehört. Auch kein Lebenszeichen. Ich weiß weder, ob sie noch lebt, oder wo sie ist. Bevor Mama uns verließ, war Kevin noch nett zu mir. Seitdem sie fort ist trinkt er, lädt Freunde zu sich ein, schaut nur Fernsehen und wird oft handgreiflich und gewalttätig. Es ist ein Wunder, wenn ich mal nach Hause kommen würde und er mich nicht beleidigt oder schlägt. Ich bin bereits seit 45 Minuten unterwegs und gerade am Bahnhof angekommen, wo ich eigentlich hätte aussteigen sollen. Jaja, hätte, hätte, Fahradkette. Ich schaue auf die Uhr. ,,Shit, die erste Stunde beginnt!", fluche ich. Dann renne ich die letzten 15 Minuten. Vorbei an Geschäften, Menschen, die mich komisch angucken und schließlich erreiche ich das Schulgelände. In schnellen Schritten gehe ich zum Klassenraum. Dann atme ich erleichtert auf. Der Lehrer ist zum Glück noch nicht da. ,,Wahrscheinlich muss er erst eine rauchen.", murmele ich. ,,Hm?", Emma schaut fragend zu mir rüber. ,,Ach, nichts.", ich muss mir ein grinsen verkneifen. ,,Warum bist du so spät?", fragt sie mich. Ich muss kurz durchatmen. ,,Der Zug kam nicht und da musste ich improvisieren.", erkläre ich. Sie mustert mich verwirrt. ,,Du hättest doch einfach deinen Stiefvater anrufen können.", sagt sie. Shit. Wie soll ich ihr erklären, dass das nicht geht? Dass er sein Gehirn weggetrunken und geraucht hat? Dass er immer aggressiv und gewalttätig wird? Dass er nichtmal aus dem Haus kommt? Shit. ,,Ehm, ja ehm. D-der ist krank.", lüge ich. ,,Aha, ja dann gute Besserung an ihn.", sie dreht sich von mir weg und holt ihre Sachen raus. Ich nicke nur stumm. Verdammt, bin ich schlecht im Lügen! Ich hole auch meine Sachen raus. Wir haben Mathe. Eines meiner Lieblingsfächer. Emma schaut mich etwas verwirrt, aber doch auch genervt an. ,,Magst du Mathe so sehr?", stöhnt sie und verdreht leicht die Augen. Ich nicke nur. ,,Und wieso?", hakt sie nach. ,,Naja, in Mathe steht man immer vor einem Problem. Aber man findet irgendwie immer eine Lösung. Auch, wenn es lange dauert und schwierig ist. Am Ekde findet man eine Lösung.", erkläre ich. ,,Im echten Leben gibt es für vieles keine Lösung.", füge ich hinzu. So wie die Geldprobleme, die Kevin hat, aber ich abbezahlen muss. Solche, wie den Hunger, den ich habe, weil Kevin all das Geld nur für Alkohol, Zigaretten und Fast Food ausgibt. Solche Probleme... ,,Ach solche. ", kommt es von Emma. Ich schaue sie geschockt an. Habe ich das gerade laut gesagt? ,, Du meinst solche, wie der Klimawandel und so.", sie lacht etwas. Sie mag Biologie und alles, was mit der Natur zu tun hat. Ich lächele nur und nicke. Dann atme ich erleichtert auf. In dem Moment kommt der Lehrer rein. ,,Guten Morgen Klasse!", sagt er euphorisch. Wie kann man so früh morgens so viel Energie haben? Naja, egal.

Der ganze Schultag fliegt an mir vorbei wie eine sanfte Wolke. Es gibt keine weiteren Vorfälle mehr. Es klingelt. Alle Schüler stürmen aus dem Gebäude raus. Sie werden abgeholt oder Fahren mit dem Bus, oder laufen, weil sie nicht weit von hier wohnen. Nur ich muss weiter weg. War klar. Ich laufe durch die Stadt. Mein Bauch macht sich plötzlich bemerkbar. ,,Man, habe ich Hunger.", jammere ich. Ich greife in meine Jackentasche. Zum Vorschein kommen 2 zwei Euro Münzen. ,,4 Euro?", ich bin erstaunt. Stimmt, davon sollte ich Kevin Alkohol kaufen. Aber ich habe einen solchen Hunger! Ich bin hin und her gerissen und weiß nicht, was ich jetzt tun soll. ,,Also: Wenn ich mir jetzt ein Brötchen davon kaufe bin ich satt, also zufrieden und, wenn ich jetzt auf das Essen verzichte und den Alkohohl für Kevin kaufe, ist er glücklich und kann mir nichts tun (hoffentlich). Nur dann bin ich hungrig.", murmele ich.
Ich schaue mich um. Plötzlich kommt eine Person zum Vorschein. Eine Person, die ich eigentlich nie wieder sehen will. Das kann doch nicht wahr sein!

Familie Mit HindernissenWhere stories live. Discover now