𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟏

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Die Abendsonne taucht das Zimmer in ihre letzten warmen Strahlen, die durch das mittelgroße Fenster fallen. Das warme Orange spiegelt sich im ruhigen Wasser in meinem Glas, welches ich durstig austrinke. Auf der Arbeit im Restaurant hatte ich kaum die Gelegenheit zu trinken, was ich in den letzten Stunden des Tages versuche nachzuholen. Neben mir liegen Schlaftabletten, die nicht mir gehören. Es ist bereits des Öfteren vorgekommen, dass ich mich gedanklich dazu verleitet habe, sie einzunehmen, um meine Schlafprobleme endlich zu überwinden. Jede einzelne Nacht mit einer Angst im Bett zu liegen, ich würde wieder die Wut meines Vaters zu spüren bekommen, schenkt mir keine ruhige Nacht und einen ruhigen Schlaf schon gar nicht. Während ich seine Abwesenheit genieße, verabscheue ich seine Anwesenheit. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn und ich hasse ihn am meisten dafür, dass er nie da ist und wenn er mal da ist, richtet er nichts anderes als Schaden an. Wer weiß wo er gerade steckt während seine Frau mit einer ernsten psychischen Krankheit ihr Schlafzimmer nicht verlässt und gerade durch Medikamente am Schlafen ist. Mit einem leisen Seufzen entsorge ich die zwei leeren Alkoholflaschen, die mein Vater heute gesoffen hat. Der Geruch in der Küche ist erdrückend, weshalb ich laut ausatmend das kleine Fenster oberhalb des Spülbeckens öffne. Aus dem kleinen Schrank unterhalb des kleinen Spülbeckens mit der schiefen Schranktür, hole ich die kleine abgenutzte Pfanne raus, um meine Lieblingsramen zuzubereiten.

Wir haben eine kleine Küche doch außer mir kocht kaum jemand hier. Ich habe schon immer von einer großen Küche geträumt, wo ich mich ausprobieren kann. Der Kühlschrank beinhaltet mal wieder nichts, was mich sättigen wird und wir haben bereits nach 18:00 Uhr. Ich fülle die Pfanne mit Wasser und stelle sie auf die kleine Herdplatte ab, die ich gestern geputzt habe. Wenn ich Glück habe, wird das Gas direkt angehen doch zu meinem Pech muss ich mit einem Feuerzeug nachhelfen. Feuer. Ein Trigger aus meiner Kindheit, als mein Vater mir immer wieder mit dem Feuerzeug meine Haare angezündet hat. Und als ob sein Hass gegen meine Locken nicht ausgereicht hat, hat er jedes Mal angedroht, meinen kompletten Körper anzünden. Ich hatte das Gefühl, dass meine Mutter Spaß daran hatte, mir am darauffolgenden Tag die Haare schulterlang zu schneiden. Sie hätte ständig ein übel gesinntes Lächeln auf den Lippen getragen, welche Grund für das Erbeben meiner Seele wurde. Aber ich möchte es ihr nicht Übel nehmen, ich möchte Verständnis zeigen, da sie selber geplagt von Problemen und Verlusten ist. Erst ihr Vater, dann ihre Mutter und vor einem Jahr ihr zweijähriger Sohn. Mein Bruder. Ich möchte emphatisch handeln, die Empathie zeigen, die ich mein ganzes Leben lang missen musste, auch wenn es mir sehr schwerfällt. Die Schulzeit war für mich die schönste Zeit meines Lebens gewesen. Ich durfte lernen, die Menschen ließen mich in Ruhe. Keine Gewalt. Kein psychischer Terror.

Alles lief gut, bis ich kurz vor meinen Abiturprüfungen von meinem Vater aus der Schule geholt wurde. Ich werde nie vergessen, wie er mich über den Schulhof an den Haaren zum Auto gezogen hat. Wir hätten angeblich kein Geld für Bildung, ich solle arbeiten gehen. Geld nach Hause bringen damit er noch mehr Geld für Alkohol ausgeben kann, für die Frauen ausgeben kann, mit denen er sich heimlich trifft. Meine Vergangenheit verfolgt mich bis heute und ich verfluche sie dafür, dass sie meine Zukunft so schnell beeinflussen konnte. Kein Abschluss, keine Freunde, ein anstrengender Job und zerbrochene Träume. Und vielleicht ist einer der bittersten Gedanken an meinen Vater und die Vergangenheit diese, dass er mich als kleines Kind dazu immer gezwungen hat, ihn Onkel zu nennen, damit die jungen Frauen mit denen er sich getroffen hat, seiner vorgespielten Person Glaubwürdigkeit schenkten. Nicht ein Mal meine Gesundheit meint es gut mit mir aber so ist mein Leben. Zumindest habe ich mir das immer eingeredet. Nach drei Versuchen stelle ich erleichtert den Deckel auf die Pfanne ab, um das Köcheln des Wassers zu beschleunigen, während mein Magen bereits zu knurren beginnt. Ich habe es auf die harte Weise lernen müssen und dementsprechend hat sich mein heutiger Charakter geformt. Wie gerne hätte ich die Chance, mein Abschluss nachzuholen, wie gerne würde ich mich für den Studiengang bewerben, welches ich schon von Kind an Träume. Psychologie.

Ich habe es heimlich versucht, mich wieder an eine Schule angemeldet um mein Abitur nachzuholen, doch meine Mutter hat es herausgefunden und mich an meinen Vater verpetzt. Als er mich am Abend geschlagen hat, hat sie nur zugesehen und ihren Tee getrunken. Ich verstehe es nicht und ich habe keine Kraft mehr. Er wusste ganz genau was er mir antut und das schlimmste für mich war jedes Mal, dass meine Mutter Freude empfunden hat, als ich vor ihren Augen geschlagen wurde.Wenn ich darüber nachdenke, realisiere ich immer wieder, wie traurig mein Leben eigentlich doch ist. Zwischen den Zeilen meiner Lieblingsbücher kann ich mich fallen lassen, zwar für einen Moment doch das genügt mir nicht, was ich mir aber nicht eingestehen will. Es ist schade, dass ich jedes Mal nur heimlich meiner Leidenschaft nachgehen kann, immer mit der Angst leben muss, erwischt zu werden und meine Lieblingsexemplare zu verlieren. Aktuell habe ich kein Bedürfnis zu lesen und diese Phasen sind die schwersten in meinem Leben, wenn selbst das, was mir am meisten Freude bereitet, meiner Monotonie nicht entgegen kommen kann. Ich füge die Ramen dazu, spüre vereinzelnde heiße Tropfen auf meiner Hand als ich die Nudeln dazu gebe und hole aus der Schublade gleich rechts von dem Herd eine Gabel raus. Von der scharfen Kimchi Soße füge ich jedes Mal nur die Hälfte dazu, damit mir noch die andere Hälfte für ein weiteres Mal reicht, bevor ich mir wieder eine neue Packung kaufe.

Geduldig warte ich, bis die Nudeln sich im kochenden Wasser lösen, rühre vorsichtig kurz mit der Gabel und lege sie anschließend auf den Teller ab, welchen ich aus meinem Zimmer geholt habe. Ich bunkere meine Besteck und Teller gerne in meinem Zimmer, jedes Mal die scheinbar sauberen Teller zu reinigen ist mir eine Verschwendung des Wassers. Während ich auf der Arbeit bin weiß ich nicht, was hier passiert. Dabei schießen mir aus dem Augenwinkel die Rechnungen vom letzten Monat ins Blickfeld. Ich habe sie gerade noch so bezahlen können, wie es im kommenden Monat aussieht, will ich mir nicht vorstellen. Angespannt schließe ich kurz die Augen. Ich brauche Geld. Würde dieses Geld sinnvoll genutzt werden, würde ich mir nicht einen derartigen Stress machen. Aber zu wissen, dass dieses Geld in Cafés und im Kasino verschwendet wird, macht mich wütend. Manchmal überlege ich einfach abzuhauen. Zu verschwinden und nie wieder meinen Vater sehen zu müssen. Soll er doch selber zusehen, wie er sich und seine Frau ernähret. Rechnungen zahlt und für die Miete aufkommt. Die vergangenen drei Mieten müssen noch bezahlt werden, ich hoffe ich bekomme das Geld ende der Woche zusammen. Dabei habe ich es satt, mich um den Dreck hier zu kümmern. Ich habe es satt, als Gegenleistung Traumatas verpasst zu bekommen. Manchmal frage ich mich, wieso ich das alles noch tue.

Doch dann fällt mir meine Mutter ein, wie sie an dem einen Abend mich angefleht hat, sie nicht alleine zu lassen. Ich habe sie so oft vor dem Sterben gesehen, weil mein Vater sie wieder ein Mal verprügelt hat, doch habe mir jedes Mal gewünscht, an ihrer Stelle zu sterben. Wir sind die zwei Lasten, in seinem Leben, wie er uns immer betitelt. Aber sag Baba, wie können wir dir zu Last fallen, wenn nicht du es bist, der sich um uns kümmert? In Monotonie zu ertrinken ist das eine, nicht mehr aus ihr herauszukommen ist die größte Angst, die ich habe. Dabei sehne ich mich doch nur nach der Freiheit und nach etwas emotionaler Wärme. Aber noch weniger verstehe ich, wie ich dann zu meinem Namen gekommen bin. Wie kann es sein, dass ich nach einem Lichtkranz benannt wurde, wenn ich scheinbar nur Dunkelheit und Unruhe in das Leben meines Vaters gebracht habe? Dabei bin ich kein schlechter Mensch. Tue niemanden Schlechtes und wünsche niemanden Unheil doch ...
»Eyla!«, reißt mich ein lautes Gebrüll aus meinen Gedanken, die Wohnungstür knallt gegen die Wand, welche schon Spuren enthält während der Geruch von Alkohol bereits in meine vibrierenden Nasenflügel angelangt ist. Sofort binde ich meine frisch gewaschenen Locken zusammen und drehe meinen Kopf bebend zum Türrahmen, als eine geballte Faust gegen die geschlossene Küchentür hämmert. Die Angst ruft schon schwarze Punkte in meinem Blickfeld hervor. Die Krämpfe in meinem Magen beginnen sofort mich zu attackieren. Mein Vater ist da. Er ist betrunken und hämmert weiter gegen die Küchentür. Er wird sie zerstören und ich weiß, dass er es nicht nur bei der Tür belassen wird.

Wenn wir den Tod nicht riskieren was ist dann der Sinn des Lebens?

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Hiermit spreche ich eine Trigger-Warnung - erneut - für das gesamte Buch aus.

Das erste Kapitel ist kurz, dient jedoch zum Einstieg und wird natürlich mit kommenden Kapiteln länger.

Was denkt ihr bisher von der Geschichte?
Wie findet das erste Kapitel?

𝐃𝐢𝐞 𝐙𝐮𝐤𝐮𝐧𝐟𝐭 𝐥𝐢𝐞𝐠𝐭 𝐢𝐧 𝐝𝐞𝐫 𝐕𝐞𝐫𝐠𝐚𝐧𝐠𝐞𝐧𝐡𝐞𝐢𝐭Where stories live. Discover now