5 | Dynamik

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Nach mehrmaligem Blinzeln öffne ich noch immer nicht gänzlich meine Augen. Zu groß ist meine Furcht, was Mara zu meiner ersten Zwischenstation sagen könnte, auch wenn sie meinte, dass sie nicht enttäuscht sein würde.

»Joe?«, fragt sie behutsam nach mir und legt eine Hand auf meine.

Mit Sicherheit wird sie meine extreme Anspannung spüren. Mein ganzer Körper scheint unter Strom zu stehen. Obwohl es sicherlich eine der harmlosesten Haltestellen war, ist es dennoch anstrengend für mich gewesen. Langsam streichelt sie über meinen Handrücken.

»Es ist alles gut«, sagt sie, was mich nun dazu veranlasst, die Augen zu öffnen.

Genau so wie es sich angefühlt hat, wird es auch bloß eine kurze Zeit gewesen sein, die ich in meiner Erinnerung gewesen bin. Die Sonne scheint noch immer auf uns herab und lässt das Blau des Wassers um uns herum glitzern.

»Möchtest du davon erzählen oder lieber erst einmal deine Ruhe haben?«

»Habe ich laut gesprochen?«, frage ich neugierig nach, ohne auf ihre Frage einzugehen.

»Ich bin nicht enttäuscht und ich habe – so weit ich weiß – nicht mit meinen Augen gerollt und gelacht sowieso nicht«, teilt sie mir mit, wodurch ich meine Antwort erhalte.

Ein Ruck geht durch mich hindurch – jedoch kein schmerzvoller. Mein Körper hatte lediglich keine Zeit, sich auf die Umstellung vorzubereiten. Von der enormen Anspannung zum Fallenlassen. Sie ist so gut – zu gut für mich.

»Also findest du es nicht schlimm, dass ich noch nicht einmal die Schwelle des Jahres passiert habe?«

»Überhaupt nicht«, antwortet sie unmittelbar, als wäre alles andere verwerflich. »Das ist auch ganz menschlich.«

»Und war das so ... äh ... Also habe ich das ... hm.« Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden.

»Sag es einfach frei raus.«

»War das richtig so?«

»Ach Joe, es gibt kein falsch oder richtig dabei.« Sie kommt zu mir heran und nimmt mich in den Arm. »Es ist dein Weg, bei dem es darauf ankommt, was dir hilft.«

»Also war es so in Ordnung?«, frage ich in ihre Haare.

»Aber natürlich.« Sie drückt mich noch einmal fester. »Schritt für Schritt. Immer ein wenig weiter, was hältst du davon?«

»Das klingt gut.« Ich lege meinen Kopf auf ihrer Schulter ab und bemerke, wie müde ich gerade werde. »Vielleicht können wir heute Abend noch eine weitere Station besuchen.«

»Ja, aber lieber langsamer als zu schnell, okay?«, meint sie, woraufhin ich ihr zunicke.

Wir bleiben noch etwas hier draußen, legen uns jeder auf eine Seite des U-Sofas. Mara widmet sich ihrem Kreuzworträtselheft und ich hänge mit meinen Gedanken bei den Gesprächen mit meinem ehemaligen Therapeuten Herrn Droste.

Auch wenn ich nicht alles bearbeiten konnte, hat er mir wirklich einiges in unserer Zeit beibringen können. Und gerade habe ich das Gefühl, dass so manches nachfruchtet. Es ist nur so ein Gefühl, was ich noch nicht ganz greifen kann, aber es keimt neue Hoffnung in mir auf.

Ich bin nicht nur der Mann mit Schmerz und Kummer. Ich bin Joe mit vielen Anteilen, einer davon ist dieser Teil der Vergangenheit. Das habe ich schon gelernt. Zumindest rational weiß ich darum Bescheid.

Nachdem ich mich etwas auf die Seite gedreht habe, stütze ich mich auf meinen linken Arm ab und schaue sie – Mara – an. Vielleicht schaffe ich es ja wirklich, meine Grenzen zu erweitern. Mit ihr. Stück für Stück.

ZwischenimpressionenWhere stories live. Discover now