Tag 6 - Risiken für Machtgelüste (2)

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Jacques

Die algerischen Männer um ihn herum im Transporter schienen sich mit ihrer Situation abgefunden zu haben. Ihre leeren Blicke sprachen Bände. Vermutlich hatten sie auf ihrer Reise in die gigantischen Migrantenlager, die rund um Oran entstanden waren, Ähnliches erlebt.

Es rumpelte, als der Laster durch ein Schlagloch fuhr und Jacques warf es schmerzhaft auf den Metallboden. Wo waren Lucas und Kara? Und wohin brachte man ihn? Auf den Bänken saßen nur männliche Migranten in abgerissenen Klamotten. Ihm hing das letzte Bild des Grenzers nach, der ihn mit einem Tritt ausgeknockt hatte. Hoffentlich hatte der seine Liebste nicht ...

»Hey!«, versuchte er die Aufmerksamkeit zu erhalten. »Wisst ihr, wohin die uns bringen?«

Ein paar teilnahmslose Blicke wanderten zu ihm herab.

»Wohin schon?«, meinte ein Typ mit zerzaustem Bart neben ihm. »Stecken uns in irgendein Lager, so wie drüben. Was sonst?«

Seines Wissens nach, gab es in der ZEU keine staatlich organisierten Internierungslager. Nur wilde Camps und neu bevölkerte Geisterstädte am Ufer. Von dort schob man die Migranten unregelmäßig ab und verfrachtete sie irgendwo an die nordafrikanische Küste. Erstaufnahmeeinrichtungen, wie die, in die man ihn damals gesteckt hatte, gab es nicht mehr.

»Nein«, Jacques schüttelte bestimmt den Kopf, »so etwas gibt es hier in der ZEU nicht.«

Der Kerl zuckte mit den Schultern und meinte nur: »Inşallah ...«

„Habt ihr gesehen, was mit den Frauen und Kindern passiert ist?", versuchte er es erneut.

Wieder erntete er nur Schulterzucken und Schweigen.

„Hey! Was ist mit euch! Euch kann doch nicht egal sein, was mit euren Familien passiert!"

„Ey, Mann", es war der Bärtige, der ihn ansprach. „Natürlich ist das niemandem egal. Aber unsere Familien konnten wir nicht mitnehmen. Zu teuer. Ich denke, das gilt für alle hier. Ich will erstmal Arbeit finden und vielleicht können sie irgendwann später nachkommen."

Erst jetzt schaute sich Jacques in Ruhe die Gesichter an. Sie kamen ihm alle vage bekannt vor. Vermutlich hatte er sie vorhin in den Dünen getroffen. Außerdem waren sie alle sehr jung. Die meisten unter zwanzig, nach seiner Einschätzung.

„Aber hast du gesehen, was sie mit den Frauen und Kindern gemacht haben? Da waren doch noch mehr dabei", bohrte er nach.

Der Angesprochene hob die Schultern. „Ich denke, die sind im anderen Transporter."

Damit blieb ihm nur zu hoffen, dass sie in einem Lager in seiner Nähe untergebracht würden. Zum Glück befanden sie sich nach wie vor in der ZEU. Einem Rechtsstaat, der jeden Bürger genaustens überwachte. Kara und er waren hier registriert, auch wenn sie keine ZEU-Identität hatten. So brutal die Grenzschützer gewesen sind, sie mussten sich an geltendes Recht halten. Dass in der ZEU Menschen untertauchten, war so gut wie unmöglich. Er erinnerte sich noch schmerzhaft an seine erste Odyssee auf der Suche nach Kara. Sowie daran, wie viel Aufwand selbst ein einflussreicher Perversling wie Theo Mäuser hatte treiben müssen, nur damit sie nicht in der ZEU registriert wurde. Nur so hätte dieser sie als Sklavin halten und später gefahrlos töten können. Personen verschwanden hier nicht einfach so.

Vermutlich würde man sie direkt mit einem Schiff nach Algerien abschieben. Spätestens dort sollte er Lucas und Kara wiederfinden können.

Eine Weile später, vielleicht eine halbe Stunde, endete das Gerumpel und ihr Transporter hielt mit knirschenden Reifen. Das Zuschlagen von Autotüren und dumpfe Rufe drangen zu ihm. Außen näherten sich Schritte. Die rückwärtigen Türen öffneten sich mit einem Quietschen. Grelle Sonne brachte seine Augen zum Tränen.

𝗙𝗔𝗞𝗘 𝗣𝗔𝗥𝗔𝗗𝗢𝗫 - Fake News war gestern ✔️Where stories live. Discover now