Tag 6 - Risiken für Machtgelüste (3)

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Peter

Sein Flugtaxi, ein schlankes VTOL mit Dutzenden Elektrodüsen in seinen Stummelflügeln, landete sanft auf dem großen Platz vor der hölzernen Kirche. Die Flügeltür öffnete sich und Peter stieg aus dem klimatisierten Inneren in die Gluthölle eines normalen südspanischen Nachmittags. Heißer Staub und vertrocknete Pflanzenreste wehten über den Dorfplatz. Die Farbe des Kirchturmes sowie der umgebenden Häuser blätterte ab. Kaputte Fensterscheiben und windschiefe, halbgeöffnete Türen verstärkten den abweisenden Eindruck dieses toten Ortes. Die einzigen Geräusche kamen von den zerrissenen Planen der Gewächshäuser, die wie weiße Leichentücher im lauen Wind flatterten.

Hatte er sich geirrt?

»Hallo?«, rief er. »Ist jemand hier?«

Keine Antwort. Schulterzuckend sah er sich um und wanderte mit knirschenden Schritten zur hölzernen Kirche. Das war das einzige Gebäude, das einen halbwegs intakten Eindruck hinterließ. Quietschend zog er die Balken der schweren Flügeltür so weit auf, dass er in das Innere hindurchtreten konnte. Im Lichtkeil tanzten Staubkörner und verstärkten den scharfen Kontrast zwischen Licht und Schatten.

»Peter!« Eine Silhouette kam aus der Finsternis auf ihn zugestürmt und warf sich ihm um den Hals. Warme Lippen pressten sich auf die seinen.

»Camila?«

Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Lichtverhältnisse, während er erleichtert seine Freundin umarmte. Aus schmalen, mit Vorhängen verhüllten Fenstern stachen einzelne Sonnenflecken in das Kirchenschiff. Dort stapelten sich Säcke mit Saatgut, grünen Pflanzen in kleinen Kübeln, Bottiche mit Wasser sowie Kisten voller Energieriegel, Erstehilfepacks und technischer Ausrüstung, die er nicht zuordnen konnte. Er löste sich von ihr und schaute sich in Ruhe um.

»Wow. Gebetet wird hier wohl nicht mehr.«

»Doch«, kam die Stimme von Alejandro aus einer finsteren Ecke, »falls gar nichts mehr hilft, auch das.«

»Aber bisher war das noch nicht notwendig«, ergänzte Olivia die gemeinsam mit ihm ein paar Setzlinge in Töpfe steckte.

Nachdem sich Peters erste Überraschung gelegt und sie sich begrüßt hatten, erzählten die drei ihn von ihrer Flucht. Sie waren deutlich vor ihm im Wasser und vor den Brandbomben abgetaucht. Später konnten sie sich an Land retten. Die ehemalige Comunidad des Pärchens war für sie, wie er vermutet hatte, der perfekte Rückzugsort. Vor vier Jahren hatten sie hier eine Art handwerkliche Gärtnerei für Bio-Gemüse betrieben. Damals existierte hier kaum Technik, keine Cloud, keine KIs und war daher schwer für ihn, als Ermittler, zu überwachen gewesen. Ihre Notunterkunft hier in der Kirche, erläuterten sie ihm, hatten sie sich schon vor drei Jahren aufgebaut, nachdem sie diese Einrichtung zugunsten der wachsenden Migrantenstadt aufgegeben hatten. Das neue Projekt verschlang ihre gesamten Ersparnisse und ohne einen reichen Sponsor, wie damals Diego, konnten sie nicht beides aufrechterhalten. Sie waren weiterhin die Eigentümer dieses Geländes und wollten sich einen Rückzugsort sichern, falls es mit Cabo del Gata irgendwann nicht mehr weiterginge. So wie jetzt.

Später saßen sie bei einem frisch gekochten Chilli-sin-Carne an einem leicht schief stehenden Tisch. Ausführlich erläuterte Peter ihnen seine Idee und den Plan. Sein Ziel war nicht nur, Mäuser vom Thron zu stoßen, sondern direkt mit allen korrumpierten Media-KIs aufzuräumen. Das sah er als ihre einzige Chance, aus diesem Schlamassel mit heiler Haut herauszukommen und wieder ein normales Leben zu führen.

»Du bist total durchgeknallt«, kommentierte Camila sein Vorhaben. »Wie soll das gehen?«

»Keine Ahnung.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir bräuchten jemanden, der sich damit besser auskennt als ich – oder ihr. Einen Kontakt zu einem Professor vom CERN vor Ort wollte mir Roland noch übermitteln. Das wäre nur ein erster Schritt. Wir bräuchten weitere Mitstreiter, die unsere Sache unterstützen. Experten, die den Quantenrechner entsprechend ... keine Ahnung ... programmieren oder so und mit der ZEU-Cloud zu verbinden.«

»Jeanne«, sagte Olivia deutlich.

Verwundert drehte er sich zu ihr um und schaute sie an.

»Sowie Naïn und Loris«, fuhr sie fort. »Das sind die drei damaligen Start-up-Gründer und Freunde von Diego, die ihm bei der Entwicklung des KI-Virus geholfen hatten. In diesem Fall geht es natürlich nicht um einen Virus, der würde uns am Ende nichts helfen, aber das Trio sollte über die notwendige Expertise verfügen. Für eine gute Sache – und das ist sie unzweifelhaft – würden die sich bestimmt bereit erklären, zumindest mit ihrem Know-how zu unterstützen. Diego können wir ja leider nicht mehr fragen.«

Das war neu für Peter. Dass der Elektronik-Hacker nicht allein gearbeitet hatte, war ihm damals klar gewesen, die anderen Gründer waren nicht in Erscheinung getreten. Die Ermittlungen wurden am Ende eingestellt, sodass es keine weiteren Nachforschungen gab.

»Und wie können wir die erreichen?«, fragte Camila. »Ein Chat über die VR empfiehlt sich nicht, falls wir von deinen Kollegen observiert werden.«

»... oder von deinen«, warf er ein.

»Jaja, okay. Aber dein Gespräch mit Roland war bereits ein Risiko. Und einer einfachen Textnachricht werden die nicht glauben.«

»Ich denke, ich hätte einen simplen Vorschlag«, meinte Olivia. »Ihr klappert die drei persönlich ab. Ich kann euch ein paar Fakten nennen, mit denen ihr belegen könnt, dass Freunde von Diego euch schicken. Dann werden die sich das zumindest anhören.«

»Ihr kommt nicht mit?«, fragte er und konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Das würde es deutlich einfacher machen.«

»Tut mir leid«, antwortete jetzt Alejandro. »Wir haben es schon Camila erklärt: Wir wollen den Migranten hier vor Ort helfen. Man hat hier unsere Freunde und Nachbarn in irgendein Übergangslager verschleppt. Irgendwo in der Steppe im Hinterland von Almería. Wenn man uns ins Gefängnis steckt, ist damit niemandem geholfen. Daher machen wir uns auf die Suche nach ihnen.«

»Außerdem«, fügte Olivia hinzu, »rechne ich euch keine großen Chancen aus, wenn ich ehrlich bin. Aber wie gesagt: Wir haben hier nach wie vor eine eigene Aufgabe.« Sie machte eine kurze Pause. »Falls ihr möchtet, übernachtet gerne hier. Morgen Früh sieht die Welt sicherlich schon besser aus und ihr könnt mit frischen Kräften starten.«

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Sein Körper benötigte dringend Ruhe und Erholung. Auch Camila gähnte lautstark.

 Auch Camila gähnte lautstark

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