Pfui Spinne - Warum kann es nicht ein gemütliches Versteck sein?

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25. August 1885, irgendwo in den französischen Alpen

Raiks Knochen knackten unangenehm, ehe sie sich verweichten und umformten. Die längliche Wolfsschnauze zog sich zurück und die viel zu vielen Zähne verschwanden aus seinem Maul ... Jetzt Mund. Einen Augenblick später hatte er das Gefühl, wieder auf zwei Beinen stehen zu können. Während er sich zu einer normalen, menschlichen Haltung aufrappelte, verschwand auch das meiste Fell zog sich in jede einzelne Pore seiner Haut zurück bis er nackt war, wie Gott ihn geschaffen hatte. Um das unangenehme Gefühl, loser Zähne aus seinem Mund zu bekommen, spuckte Raik auf den nadeligen Waldboden aus und fuhr mit der Zunge seinen Kiefer ab. Nur zur Sicherheit. Alles war da, wo es sein sollte.

Erst dann ließ Raik den Blick nach links zwischen die krüppeligen Kiefern gleiten. Überall Kiefern. Wie langweilig. Aber so kurz vor der Baumgrenze gab es außer ein paar struppiger Sträucher und jede Menge Gras nicht mehr viel, was wuchs. Immerhin musste da hinten irgendwo Lillian sein – er hatte ihren süßlichen Vampirgeruch im Vorbeirennen gewittert.


Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis er ihren Schemen unter den Schatten der Bäume ausmachen konnte. Grüßend hob er die Hand. „Du bist früh dran!" Jetzt konnte er auch ihre Kleidung sehen und ein anzügliches Grinsen huschte über sein Gesicht. „Ich mag es, wenn du Hosen trägst."

Lillian rollte die Augen und musterte ihn überdeutlich von oben bis unten. „Und ich mag es, wenn du wenigstens irgendetwas trägst!"

Raik lachte, hob die Hände und drehte sich powackelnd einmal um sich selbst. "Nichts, wofür ich mich schäme."

Ihr Blick klebte an ihm und eine zufriedene Wärme machte sich in seinem Inneren breit.

Doch dann wandte sie sich ab und kramte in ihrer Tasche. „Musst du auch nicht. Aber es ist ablenkend." Zielsicher warf sie ihm ein zusammengerolltes Hemd und eine kurze Hose zu, die sie im Zweifel immer für ihn dabei hatte. „Und wir haben einen Auftrag."

Raik lächelte. Auf sie war verlass. „Du bist so verantwortungsvoll." Er sprach es aus, als wäre es eine Beleidigung, während er brav die Sachen anzog. „Wo ist eigentlich diese Hütte? Ich dachte, sie wär' hier?"

Lillian schüttelte den Kopf. „Wie orientierst du dich eigentlich? Du hast die Karte doch auch gesehen!"

Raik zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Ich suche mir eine Landmarke und dann..."

„Herr, erbarme dich", seufzte die Vampirin und begann, Richtung Norden zu stapfen. „Wir müssen noch gut einen Kilometer weiter."



Obwohl sie nicht lange unterwegs waren, wurde die Landschaft zusehends karger. Immer weniger Nadelbäume kräpelten entlang des grasbewachsenen Weges vor sich hin. Stattdessen wurde der Boden felsiger und der Wind rauer. Raik fröstelte. Kaum zu glauben, wie kalt es hier im August schon war. Vorgestern war er noch in Annecy und hatte gedacht, die Sonne würde ihn bei lebendigen Leib braten. Aber immerhin waren sie endlich da. Die Hütte lag direkt vor ihnen.

Allerdings sah es nicht so aus, als wäre kürzlich jemand hier gewesen. An manchen Stellen hatte das Holz genug Moos angesetzt, dass die ersten Triebe junger Bäume und Sträucher darauf wuchsen. Der erste Versuch der Natur, sich ihr Reich zurückzuerobern. „Sicher, dass Monsieur Dupont hier lebt?", fragte Raik skeptisch.

Auch Lillian sah sehr unbegeistert aus, während sie ihren Ring am Finger drehte, als würde sie überlegen, den magischen Talisman jetzt abzulegen oder erst später. Doch dann ließ sie ihn wieder los und zuckte die Achseln. „Das ist die letzte Ortsangabe, die der Orden kennt, bevor der Kontakt abbrach."

Und jetzt war es an ihnen, sicherzustellen, dass es Monsieur Gerard Dupont und seinen Forschungsergebnissen noch gut ging. Raik wusste das. Immerhin hatte er diesmal den Auftrag gelesen.

Trotzdem war er sich ziemlich sicher, dass es Monsieur Dupont nicht mehr gut ging. Zum einen, weil die Hütte so gottverlassen aussah. Zum anderen, weil der Orden sie geschickt hatte. Lillian und er wären nicht geschickt worden, wenn man nicht mit Problemen rechnen würde.

„Du hast nicht zufällig auch einen Dolch für mich dabei?" Es fühlte sich einfach besser an, so einen Ort nicht mit leeren Händen zu betreten.

Augenrollend griff Lillian wieder in ihre Tasche. Einen Moment später hielt er ein großes Küchenmesser in den Händen, während sie ihren eigenen Dolch zog, den sie bisher in einer ledernen Scheide an ihrem Gürtel getragen hatte. Er war so lang wie ihr Unterarm.

Raik starrte erst seine kleine Klinge an und dann ihre. „Das ist unfair!", empörte er sich. „Ich will auch so einen haben!"

„Kss", murrte die Vampirin und machte eine scheuchende Handbewegung. „Trag deine Sachen selbst. Dann kannst du haben, was du willst." Mit diesen Worten ging sie an Raik vorbei und trat zielsicher auf den grün verwucherten Eingang der Hütte zu.

Noch bevor sie die Tür berührte, schwang sie von allein nach innen auf. Der beißende Gestank von Tod, Fäulnis und Verwesung schlug ihnen entgegen.

Raik würgte und sogar Lillian verzog angeekelt das Gesicht.

„Also das ist kein ein gutes Zeichen", knurrte er, um einiges angespannter als er noch vor wenigen Augenblicken gewesen war.

„Nein", antwortete Lillian knapp, während sie einmal mehr in ihrem scheinbar nimmervollen Beutelchen kramte und einen Moment später eine kleine Öllampe hervorzauberte. Was schleppte die Frau eigentlich alles mit sich herum?

Aber Raik war nicht undankbar. So dunkel, wie es da drin war, würden sie das Licht dringend brauchen. Also lehnte er sich an den schiefen Türrahmen und wartete darauf, dass Lillian die kleine Funzel zum Brennen brachte.

„Glaubst du-" Raik stockte, als er spürte, wie die magische-künstliche Wärme, die Lillian normalerweise abstrahlte, verschwand. Ihr Geruch veränderte sich, wurde ein wenig süßlicher, kurz vor unangenehm nach Fäulnis riechend. Sogar der leichte Rotton ihrer sonst blassen Haut war verschwunden.

Sie hatte ihren Maskeraden-Ring abgenommen und offenbarte damit nun all die kleinen Dinge, die ihr Vampirdasein für jeden, der Bescheid wusste, unverkennbar machten. Selbst normalen Menschen waren diese Merkmale unangenehm. Umso nützlicher war dieser kleine, mächtige Talisman.

Doch der Preis für diese Maskerade war hoch, denn der magische Ring versteckte zwar ihr Vampir-Dasein aber er machte auch ihre Sinne schwach und ihre Reflexe langsam. Trotzdem nahm Lillian diese Fessel nur ab, wenn sie an einem Auftrag arbeitete.

So vorbereitet trat die Vampirin nun an ihn vorbei in das stinkende, schummerige Halbdunkel der Hütte und hob ihre kleine, brennende Funzel, um das Innere mehr auszuleuchten.

Raik wünschte sich, sie hätte es nicht getan. „Bä-irr-ks-", artikulierte er sich unsachgemäß. Zu mehr war er beim Anblick der Leiche und deren aufgerissenen Brustkorb nicht fähig. Das Blut an den Wänden und die Gedärme, die noch im Raum verteilt lagen, machten es nicht besser. Das war wohl Gerard Dupont gewesen. Was den armen Kerl wohl so zugerichtet hatte? Und vor allem: War es noch hier?

„Warum kann es nicht mal ein gemütliches Versteck sein?", murrte Raik und unterdrückte einen erneuten Würgereiz, den er wegen des faulenden Geruchs nicht loswurde. „Mit weichen Couchen und Keksen auf dem Tisch?"

„Weil diese Art von Aufträge an die Knappen und Ritter des Ordens wandern, aber nicht an den Jäger-Pöbel", antwortete Lillian mit monotoner Stimme. Offenbar hatte sie das Atmen abgestellt. Manchmal beneidete er sie um diese Fähigkeit.

Innerlich seufzte Raik schicksalsergeben. Was muss, das muss. Und so stieß er sich vom Türrahmen ab und folgte seiner Partnerin möglichst flach atmend in die Hütte.

Aufmerksam suchte Raik nach Auffälligkeiten. Doch außer zwei Türen zu angrenzenden Räumen und einen undefinierbaren, Schatten, der schneller in die Dunkelheit flüchtete, als er ihn erkennen konnte, war da nichts.

Dann fiel die Tür hinter ihm zurück ins Schloss. Es klickte. Abgeschlossen. Etwas huschte wieder in der Dunkelheit. Raik stöhnte. „Ich hasse Hexer."

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