Tag 7 - Strahlende Begegnungen (2)

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Jacques

Als sie morgens kurz nach Sonnenaufgang lautstark von einem Wächter geweckt wurden und hinaustraten, musste Jacques schlucken. An einer der offenen Seiten zwischen den langen Gebäuden stakste ein Roboter in der Form eines überdimensionalen Mistkäfers auf sechs Beinen über die Steine. Komplett in Sandfarbe gehalten, handelte es sich eindeutig um ein militärisches Modell. Es war etwa hüfthoch und aus seinem länglichen Kopf ragten zwei schwenkbare Schnellfeuergewehre anstelle von Mandibeln heraus. Auf der Stirn pulsierte ein rundes rötliches Licht, das die Einsatzbereitschaft signalisierte. So viel zum Thema, es gäbe hier keine Roboter. Und zu seinem Plan, die Wachen einfach zu überrennen.

Stunden später brannte ihm die Sonne auf seinen Rücken. Wie lange konnte er diese Tortur überleben? Von den eintönigen Schlägen mit dem Hammer auf harten Felsen breitete sich ein stechender Schmerz in seiner Schulter aus. Der Metallkopf des Arbeitsgeräts schien inzwischen Tonnen zu wiegen.

»Fifteen minutos. Break!«, kam die Ansage der Wache. Ihre Mittagspause.

Müde schleppten sie sich in den Schatten an der Abbruchkante, die hinter ihnen in die Höhe ragte wie ein mehrstöckiger Wohnblock. Sein Blick blieb an den Baracken hängen. Dort kamen weitere Transporter und Busse vorgefahren. Wo wollten die all die Menschen unterbringen? Dann fiel ihm auf, dass größere Lkws mit Staubfahnen folgten, die mit langen Platten beladen waren. Wände und Dächer für neue Gebäude?

Er stieß Ruhan, der neben ihm saß, in die Seite. »Hey, schau mal, das Lager wird erweitert.«

»Und?«

»Die scheinen nicht damit zu rechnen, dass wir alle direkt abkratzen, und das ist vielleicht die Chance, auf die wir gewartet haben. Bisher habe ich nur diesen einen Wachroboter gesehen. Falls wir ein paar Wachen die Gewehre abnehmen können, werden wir mit dem schon fertig.«

»Hm ...« Sein Gefährte schien von der Idee nicht überzeugt. »Bleibt nur die Frage, wer sich in der vordersten Reihe freiwillig niedermähen lässt. Das sind Schnellfeuergewehre.«

»Das müssen wir geschickter angehen. Erst zwei oder drei Wachen überrumpeln, während das Biest nicht in Sicht ist. Danach werden wir mit dem Ding schon fertig.«

»Könnte funktionieren«, stimmte ihm Ruhan zu, »aber nicht hier auf dem freien Feld. Wir brauchen mehr Deckung und eine passende Gelegenheit. Und weitere Mitstreiter.«

Dabei beließen sie es für den Moment.

Die Mittagspause war zu schnell vorbei, um nennenswerte Erholung zu bieten. Aktuell befanden sich bereits über hundert Menschen im Steinbruch. Noch mehr und sie würden sich gegenseitig auf den Füßen stehen. Die Militärdrohne am Eingang zum halbrunden Areal sowie ihre menschlichen Bewacher sorgten dafür, dass keiner von ihnen auf dumme Ideen kam. Hämmer und Spitzhacken wären durchaus brauchbare Waffen. Aber niemand traute sich, den ersten Schritt zu unternehmen. Er selbst auch nicht. Das wäre Selbstmord und der Ausgang der Schlacht mehr als ungewiss.

Als die Sonne den Zenit überschritten hatte, brach ein Weiterer ihrer Mitgefangenen lautlos zusammen. Niemand kümmerte sich, denn sie hatten gesehen, dass man in diesem Fall das gleiche Schicksal erleiden würde.

»You two! Bring him away!« Die raue Stimme eines Wachmanns riss ihn aus seinem tranceartigen Zustand, in den ihn die immer gleichartige Tätigkeit und die brachiale Hitze versetzte.

Irritiert schaute er sich um. Der Mann zeigte auf ihn und Ruhan und dann auf den regungslosen Körper. Sie sahen sich an, packten ihre Werkzeuge zur Seite und schritten hinüber. Bevor er den Zusammengebrochenen anhob, fühlte Jacques kurz den Puls am Hals. Ein kaum spürbares rasendes Klopfen bewies, dass er noch lebte. Mühsam hoben sie ihn an, legten sich seine Arme über die Schultern und schlurften in Richtung der fünfhundert Meter entfernten Grube hinter den Baracken. Da überall auf dem Gelände Wachen herumstanden, folgte ihnen niemand direkt. Sie hätten auch so keine Chance zu fliehen. Der Wachroboter drehte brummend seinen Torso und schien sie mit den Sensoren zu durchdringen, als die am steilaufragenden Ausgang des Steinbruchs vorbeiliefen.

Sobald sie außer Hörweite waren, wandte sich Ruhan flüsternd an ihn: »Er lebt noch! Was sollen wir tun?«

»Je ne sais pas. Eventuell können wir ihn in einen der Räume im Schatten ablegen und er erholt sich wieder.«

Sein Mitgefangener warf ihm einen Blick zu und antwortete nicht. Als sie sich den Gebäuden näherten, winkte sie ein schlaksiger Wachmann mit Atemschutzmaske zur breiten Grube herüber. Offenbar sollten sie den Mann dort hineinwerfen.

»Er lebt noch«, rief Jacques auf Spanisch, »können wir ihn in unseren Raum bringen? Der braucht nur etwas Erholung, dann geht es schon wieder.«

»No. Continúa«, kam die gedämpfte Antwort ebenfalls auf Spanisch zusammen mit einem entsprechenden Wink des Schnellfeuergewehrs. »Ansonsten könnt ihr euch direkt mit in das Loch legen!«

»Was sagt er?«, fragte Ruhan leise, der kein Spanisch verstand.

»Das wir ebenfalls in dem Loch landen, falls wir ihn nicht dort hineinwerfen.«

»Und jetzt?«

Das war eine gute Frage. Welche Wahl hatten sie? Einen lebenden Menschen in das Massengrab zu werfen, das brachte er nicht über sich.

»Rápido!« Die Wache wurde ungeduldig.

»No. Está vivo.« Er lebt noch, antwortete Jacques.

Sein Entschluss stand fest. Damit packte er den schlaffen Körper unter den Armen und dirigierte Ruhan in Richtung der Baracken. Weg von dem Loch. Falls ihm das eine Kugel in den Rücken einbrachte, sollte es so sein. Er wäre nicht mehr in der Lage, sich im Spiegel in die Augen zu sehen, träfe er eine andere Wahl. Jeden Augenblick erwartete er den peitschenden Knall eines Schusses und einen dumpfen Schlag, der seinem eigenen Leben ein Ende setzte. Zwanzig knirschende Schritte später erreichten sie die graue Wand des Gebäudes und lebten. Ohne sich umzuschauen, schleppten sie den Mann in einer der offenen leeren Zellen und legten ihn mit Bedacht auf den Boden. Im Raum saßen fünf weitere Gefangene, die sie aus halbgeöffneten Augen beobachteten. Keiner machte Anstalten ihm zu helfen. Mit dem Zeigefinger tastete er nach dem Puls des Kranken. Die Haut war heiß und verschwitzt, die rasenden Schläge kaum zu erspüren, aber vorhanden. Ob er sich erholen würde, war fraglich. Sie hatten hier weder Wasser noch kühle Umschläge und würden diese auch nicht erhalten. Zumindest hatte er dem Mann eine winzige Überlebenschance ermöglicht.

»Hey you!«, kam ein barscher Ruf von der Tür. Dort standen zwei Uniformierte, der Schlaksige war nicht dabei. Hatten sie es sich doch nochmals anders überlegt? »Come out! All of you. Now.«

Müde und stöhnend erhoben sie sich zusammen mit der Gruppe und schleppten sich erneut in die brennende Sonne. Draußen wartete einer der Lkws mit den Platten in einiger Entfernung darauf, entladen zu werden. Von rechts kam in einer Staubfahne ein größerer Trupp aus Mitgefangenen mit Schubkarren sowie Arbeitsgeräten, dem sie sich anschließen sollten.

»Wir sollen Löcher für die Fundamente schaufeln, um die Baracken zu errichten«, erläuterte ihm einer von den Neuen.

Der Wachroboter war nicht in Sicht. Unauffällig warf Jacques Ruhan einen wissenden Blick zu. War das die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatten?

 War das die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatten?

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