Tag 7 - Strahlende Begegnungen (3)

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Camila

Sie rutschte auf dem bequemen Ledersitz ihres VTOLs, einem futuristischen silbernen Fluggerät mit zwei überdimensionalen in die Flügel eingebetteten Rotoren, umher. Seit rund zehn Minuten flog Camila bereits durch ein Gebiet, das laut der interaktiven Karte vor ihr radioaktiv belastet war. Strahlung, die man weder fühlen noch sehen konnte und einen frühen, qualvollen Tod bescherte, falls man ihr zu lange ausgesetzt war. Bei dem Gedanken zog sich eine Gänsehaut über ihren Rücken und sie musste sich schütteln. Aber leider wohnte Jeanne, wie Olivia ihr erzählt hatte, genau hier. Zumindest hoffte sie das, denn die Informationen waren mehr als ein Jahr alt. Eine weitere Recherche in der Cloud hatten sie sich verkniffen, um Mäuser und seine Meute nicht auf ihre Reiseziele aufmerksam zu machen.

Die Anzahl der Lkws auf der Autobahn unter ihr, die sich wie ein mit dem Pinsel geschwungener Strich durch die satte grüne Landschaft zog, hatte deutlich abgenommen. Sie war verwundert, dass hier überhaupt Menschen lebten. Während des Fluges hatte sie sich über diese Region informiert: Das Kernkraftwerk von Bugey befand sich zehn Kilometer nördlich. Es war 1972, vor über einhundertzwanzig Jahren, in Betrieb genommen worden. Trotz mehrere Störfälle hatte man es aufgrund des exponentiell wachsenden Energiebedarfs für die Automatisierung und die Rechenzentren nicht vom Netz genommen. Im Jahre 2054 gab es dafür die Quittung. Der Anschlag einer extremistischen Gruppierung, für den jedoch nie schlüssige Beweise gefunden wurden, führte zum vollständigen Ausfall der Kühlsysteme – und somit unweigerlich zur Kernschmelze. Nur dem Wind war es zu verdanken gewesen, dass nicht die Millionenstadt Lyon verseucht wurde, sondern nur diese dünnbesiedelte Region.

Heute war die radioaktive Strahlung angeblich nicht mehr stark. Vor allem Wälder, Pflanzen und Wildtiere waren kontaminiert. Der damalige Fallout, wie man den strahlenden Staub nannte, der sich hier überall niedergelegt hatte, wurde vom Regen in den Boden gewaschen. Von dort bekam man ihn im Grunde nicht mehr weg. Man musste ihn abtragen und durch frischen ersetzen. Das war für ein fast achttausend Quadratkilometer messendes Gebiet nahezu unmöglich. Feste Flächen, wie die in Städten und Straßen, konnten halbwegs gereinigt werden. Auch auf Äckern konnte man die Erde tauschen. Aber Waldgebiete und Berge würden auch in fünfzigtausend Jahren noch strahlen, Krebs verursachen und das Erbgut von Tieren und Pflanzen schädigen.

Im Moment war sie sicher, da sie nur darüber hinwegflog und nicht durch die Wälder streifte oder Pilze sammelte. In der Luft befand sich nach vier Jahrzehnten, kaum Radioaktivität. Zumindest theoretisch. Mit ihrer VR-Brille schaute sie aus dem Fenster. Eine interaktive AR-Karte, die sie aktiviert hatte, zeigte die Belastung. Rote Flächen durften keinesfalls betreten werden. Gelb sollte vermieden werden. Alles Grüne war kein Problem.

Die Straße war grünlich eingefärbt. Als sie ihren Blick über die verwahrlosten Äcker und Wiesen schweifen ließ, die hier nicht bewirtschaftet wurden, leuchteten einige Areale in einem schwefligen Gelb. Rot waren nur ein paar Flecken in den Wäldern. Ihr fiel auf, dass jetzt unten auf der Autobahn überhaupt keine Fahrzeuge mehr fuhren. Nanu?

»Hinweis«, kam die sanfte Stimme der Bord-KI aus versteckten Lautsprechern, »deine Route wurde aufgrund einer veränderten Gefahrenbewertung abgebrochen. Möchtest du ein Ziel außerhalb der Gefahrenzone anfliegen?«

Sie bemerkte, wie das VTOL in eine Kurve einschwenkte. Shit. Was sollte das jetzt?

»Stopp. Ich will nicht zurück. Ursprüngliches Ziel beibehalten.«

»Dieses Gebiet darf aufgrund einer behördlichen Anordnung vorläufig nicht mehr beflogen oder befahren werden.«

Daher wehte der Wind. Mäuser. Verdammt. Aber was konnte sie tun? Da fiel ihr ein roter Knopf hinter einer Plastikhaube ins Auge, der mit »Emergency Landing« beschriftet war.

𝗙𝗔𝗞𝗘 𝗣𝗔𝗥𝗔𝗗𝗢𝗫 - Fake News war gestern ✔️Where stories live. Discover now