Vergessen

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Er wacht auf, er fühlt sich komisch.
Nicht wie er selbst, wie immer.

Keine Ahnung ob er von dem Stechen in seiner Brust aus dem Schlaf gerissen wurde, oder ob das Gefühl erst im Moment des Aufwachens eingesetzt hat und obwohl sich direkt ein Gefühl von innerer Panik breitmacht, bleibt er noch einen Moment liegen, lässt die Augen geschlossen.

Das ist nichts ungewöhnliches, so ähnlich laufen viele seiner Morgen ab. Er hebt schwer seinen rechten Arm und legt ihn sich auf die Stirn, wischt sich die Schweißperlen ab, die sich die Nacht über dort angesammelt haben. Dabei ist es in seinem Zimmer nicht sonderlich heiß, eher sogar etwas zu kühl. Er fährt sich durch die Braunen Haare und öffnet die Augen, sein Blick fällt auf den lieblos neben sein Bett platzierten Beistelltisch, der genau so wenig Charakter ausstrahlt, wie er sich gerade selbst zuschreibt.

Er zieht seine Beine an, so dass er seine Füße wieder unter die Bettdecke stecken kann. Mittlerweile ist er sowohl aus der Decke als auch aus der Länge seines Bettes längst rausgewachsen. Bei seinen 1,90 hängen immer irgendwelche Gliedmaßen über das Bett hinaus, egal wie er sich dreht und wendet.

Auf dem Tisch liegen seine Silberringe und die dazu passende Kette, Kopfhörer und sein Handy, nach dem er jetzt greift. Wieso das zur morgendlichen Routine gehört versteht er selbst nicht so genau, aber irgendwie machen das alle so. Kaum ist man wach, öffnet man erstmal sämtliche Soziale Medien und sucht jeden Winkel von diesen Apps ab, um Informationen aufzunehmen, die einen sowie nicht interessieren und das von Personen, die einem sowieso egal sind. Hauptsache direkte Ablenkung nach dem Aufwachen, um bloß keinen Gedanken an sich selbst zu verschwenden. Und genau so tut er es allen, die er kennt, gleich und beugt sich diesem sozialen Druck, den man nicht mal mehr bewusst wahrnimmt.

Und so verbringt er die ersten 30 Minuten damit, Bilder von muskulösen Typen zu liken, die ihm in den Feed gespült werden, sowie auch die Bilder von den dazugehörigen Freundinnen mit so perfekten Körpern, wie er sie noch nie im echten Leben irgendwo zu Gesicht bekommen hat. Blond, zierlich, hübsche Nase, Sommersprossen, rote Bikinis. Die Männer breit, tätowiert, volle Haare, athletisch und mit Outfits, bei denen er nicht Mal wüsste bei welchen Online-Shops er suchen sollte, wollte er sie nachkaufen. Das sind seine ersten morgendlichen Eindrücke, super.

Genervt von sich selbst, dass er sich dieser Prozedur immer wieder hingibt und gleichzeitig frustriert, da ihm diese Version von Menschen, die er sich reinzieht, nur immer wieder deutlich machen, dass er da nicht annähernd optisch mithalten kann, legt er das Handy weg und zwingt sich endlich dazu aufzustehen, direkter weg zu dem großen Spiegel der gegenüber seines Bettes hängt. Frauen scheinen das ziemlich gut zu finden, zumindest war das den Eindruck, den er immer wieder vermittelt bekam, wenn er mal jemanden da hatte, der mit ihm das Bett geteilt hat. Sie blieben immer kurz in der Mitte seines nicht all zu großen Raumes stehen, ließen ihr Augen über das Bett zum Spiegel gleiten und schmunzelten. Danach war ihnen immer ein Funken in den Augen abzulesen, der ihm deutlich machte, was sie in den nächsten Stunden von ihm erwarteten. Er selbst hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, ob das irgendeine Bedeutung oder Erwartung mit sich zu bringen scheint, aber er folgte diesem Wunsch dann einfach. Er schlüpfte dann einfach in die Rolle des Typen, der einen großen Spiegel gegenüber des Bettes hatte, die ihm irgendwas Machohaftes zu geben schien. Sie wollten genau diese Version sehen und so wurde er einfach zu dieser Person, die er für die Frauen wohl darstellen sollte.

Jetzt stand er vor dem Spiegel und hielt einen Moment inne. Es war kaum zu übersehen, dass er nicht die perfekten Instafeed-Gene besaß. Seine dunkelbraunen Haare hatten keinen ordentlichen Schnitt, er hatte Narben im Gesicht, die ganz deutlich verrieten, dass die Akne in der Pubertät nicht spurlos an ihm vorbei gegangen ist. Wortwörtlich.

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⏰ Last updated: Mar 19 ⏰

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