Prickelnde Gänsehaut

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Doch innerlich, das wusste ich, war ich nicht für die ewige Einsamkeit geschaffen.

*Lilly*

„Das macht dann 4,70€ bitte," kurz sah ich den Mann vor mir an. Die Arbeit in der Tankstelle half mir, es verzogen sich die düsteren Wolken in meinem Kopf. Zumindest für ein paar Stunden.
Der Mann war kräftig gebaut, hatte schwarze, schulterlange Haare, welche von einem Zopfgummi gehalten wurden und stechend graue Augen. Leichte Falten zierten seine Wangen.

Ich griff routiniert in die Kasse und gab ihm das passende Rückgeld in die Hand. Er leckte sich über seine viel zu schmalen Lippen und sah mir dreist in den Ausschnitt. „Meine Augen sind hier oben," gab ich kurz angebunden von mir und ging einen Schritt zurück. Wie ich diese Art von Menschen doch hasste. Gerade war ich froh, dass ich hinter der Theke stand. Noch eine halbe Stunde und ich konnte endlich nach Hause. Es war stockdunkel draußen und die Schicht war anstrengend gewesen. Nervenaufreibend. Ich seufzte laut und zog mir den Reisverschluss meiner dünnen Weste bis zum Kinn.

Er blickte wieder in mein Gesicht. „Ich würde gern den Kassenzettel haben, aber nur, wenn auch deine Nummer draufsteht," er lachte dreckig über seine glorreichen Worte und lehnte sich etwas zu mir nach vorne. Er stank fürchterlich nach Alkohol. Sofort schrillten bei mir alle Alarmglocken, Neon-Rot. Ich knallte ihm so unfreundlich wie möglich seinen Zettel hin. Ich drehte mich um und fingerte am Zigarettenregal herum. Vielleicht würde er gehen, wenn ich ihm keinerlei Beachtung schenkte. Das taten die Meisten. Ich fing an, mir hochkonzentriert die Rückseite der kleinen silbernen Schachteln durchzulesen.

Nachdem ich sie mehrmals intensiv studiert und anschließend noch eine Packung langsam dreimal in meiner Hand gedreht hatte, stellte ich sie genervt zurück an ihren Platz. Der Mann beobachtete mich immer noch. Das darf doch nicht wahr sein. Ich schielte unauffällig zum Tisch, dort stand ein großer Bildschirm, welcher mir trotz tiefster Dunkelheit die Geschehnisse draußen zeigte.

Meine Hoffnung, sie zerplatzte so schnell wie sie gekommen war als ich auf diesem kein einziges tankendes Auto sah. Vielleicht kam noch ein Fahrradfahrer angeradelt, um sich eine Flasche Schnaps zu kaufen. Nochmals schielte ich zu dem flackernden Bildschirm. Doch vergeblich. Draußen war keine einzige Menschenseele zu sehen.
Diesmal würde mir keiner helfen. Die Situation war nun mehr als nur unangenehm. Ich war auf mich allein gestellt.

Er scannte mich mit seinen Augen ab. Von oben nach unten. Meine Hände begannen zu schwitzen. Nervös strich ich sie mir an meiner Hose trocken. Fieberhaft überlegte ich wie ich aus dieser misslichen Lage entkommen könnte. Mir fiel nichts ein. Ich sah auf die Uhr. Ich hatte nun offiziell Feierabend. Im selben Moment klingelte es. Schrill und laut. Meine Rettung. Erleichtert hastete ich die paar Schritte zu dem alten Schnurtelefon hinüber und hob den Hörer an mein Ohr. Den Mann vor der Theke ließ ich dabei keine einzige Sekunde aus den Augen. „Tankstelle Pecher, Sie sprechen mit Lilly Varlet, was kann ich für Sie tun?"

Am Ende der Leitung blieb es still. Schwerfällig bewegte sich der Mann Richtung Ausgang. Endlich hatte er aufgegeben. Erleichtert atmete ich aus. Die kleine Glocke unter der Tür schellte leise. Er war gegangen. Still dankte ich dem unbekannten Anrufer. Ich wollte gerade auflegen, da hörte ich ein leises Seufzen aus dem Hörer. „Hallo", wisperte ich leise und hielt mir das Telefon dichter an mein Ohr, wartete. 

Da erklang eine tiefe, kehlige Stimme. „Lilly Varlet," ich hörte ihn einatmen. Sofort bekam ich eine angenehm prickelnde Gänsehaut an jeder nur erdenklichen Stelle meines Körpers. Neugierig dachte ich, er würde noch etwas sagen. Die Sekunden verstrichen.

„Ich wünsche einen schönen Feierabend."

Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und ließ mich verdattert mit dem Telefonhörer in der Hand zurück.

Zwischen den WeltenWhere stories live. Discover now