Schwarzer Schatten

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Sie wurde ihre verblutende Seele endlich selbst heilen.

*Lilly*

Ein letztes Mal sah ich das Haus, mein Elternhaus, mit leerem Blick an. Es war in die Jahre gekommen, es sah ungepflegt und heruntergekommen aus. Die blaue Farbe blätterte bereits vom Putz und bröckelte auf die gepflasterte zweispurige Einfahrt, welche von massenhaft Unkraut übersäht war. Die Fenster waren vom Rauch ganz vergilbt und das Dach war netzartig von Moos überzogen. Ich verband mit dem Haus gute und schlechte Erinnerungen. Die vielen Stunden in denen wir zusammen gelacht und geweint haben. Die guten Erlebnisse, die nicht so guten und die Schrecklichen, welche einen vergifteten und die Seele zerstörten. Und doch würde ich es heute zum letzten Mal sehen, ich würde nicht mehr zurück kommen. Nie wieder. Ich würde dieses Kapitel heute beenden. Ich würde mein Buch nicht zu Ende lesen. Es würde heute mit mir enden. Für mich würde es kein Happy End geben. Doch das war okay. Nicht jede Geschichte ging gut aus.

Ich schloss unser kleines, eisernes Gartentor, atmete einmal tief durch. Ich wollte nie so enden. Wie ein Feigling. Und doch sah ich keinen anderen Ausweg. Es war die einzige Möglichkeit dem Grauen zu entfliehen. Es hielt mich hier nichts mehr. Träge setzte ich einen Fuß vor den anderen. Schritt für Schritt. Wie von selbst führten sie mich zurück in den Park. Es fing langsam an zu dämmern, die Sonne verschwand hinter den dichten Baumwipfeln. Es wurde kühler. Ein letztes Mal zündete ich mir eine Zigarette an, nahm einen tiefen Atemzug und schloss kurz meine Augen. Eine kühle Brise wehte mir ins Gesicht. Es war das richtige. Ich würde nicht mehr so weitermachen. Ich konnte es nicht mehr. Ich war so unendlich müde. Es würde nie wieder so werden wie damals. So unbeschwert, sorglos und so verdammt einfach.

Mein Blick wanderte hinauf zur Brücke. Dort musste ich hin. Das würde mir endlich meine Erlösung bringen. Langsam schritt ich darauf zu. Ich hatte alle Zeit der Welt. Sie würde heute auf mich warten. Meine Finger schlossen sich um das Geländer. Es war angenehm kühl. Ehrfürchtig strichen sie geistesabwesend darüber. Mein Kopf war wie leergefegt. Kein Chaos, nur Stille. Angenehme Stille. Zum ersten Mal empfand ich so etwas wie innere Ruhe. Von der Mitte der Brücke aus konnte man kilometerweit blicken. Im Sommer hatte man von hier aus Sicht über den angrenzenden Wald. Überall erspähte man Spaziergänger. Doch heute war ich allein. Selbst dieser Ausblick hatte für mich seine Magie verloren. Heute waberte der Nebel schwer über den Baumwipfeln und tunkte sie in ein trübes Grau. Ich nahm meinen Mut zusammen und kletterte über die marode Brüstung. Meine Zehenspitzen fanden Halt an der schmalen Betonkante.

Ich würde endlich Seelenfrieden finden. Ich würde frei sein, von Schmerz, von Enttäuschungen und Leid. Blut wurde durch meine Venen gepumpt. Meine braunen, langen Haare lösten sich aus meinem verschwitzten Nacken und wehten leicht zu den Böen des Windes. Meine Atmung beschleunigte sich. Meine persönliche Hölle würde heute enden. Meine Hände wurden schwitzig. Meine Ruhe verschwand und machte der Aufregung Platz.

Da nahm ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Langsam und ruhig trat eine dunkle Gestalt aus den Schatten. Sie blieb rechts, ein paar Schritte von mir entfernt, stehen. Sie wartete. Ich spürte ihren Blick auf mir ruhen. Die Sekunden verstrichen.
Die Gestalt verschwand nicht. Der Wind wurde stärker. „Ich würde das nicht tun." Seine Stimme zerschnitt die nächtliche Stille wie ein Peitschenhieb. „Du kannst mir meine Entscheidung nicht ausreden, also versuche es erst gar nicht", murmelte ich und starrte stur in die Ferne. Er rührte sich nicht. Tief atmete er aus. „Ich werde dir gar nichts ausreden. Wenn du springen willst, dann spring. Ich werde dich nicht aufhalten", murrte er.

Seine tiefe Stimme ließ mich erschaudern, jagte Blitze über meine Haut. Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung. Er kam einen Schritt auf mich zu. Nun starrte er direkt in mein Gesicht. Ruhig lehnte er sich mit seinem Rücken ans Geländer. Sein Blick traf meinen. Mein Atem stockte. Er hatte markante Gesichtszüge und rabenschwarze Haarsträhnen lugten unter seiner dunklen Kapuze hervor. Seine Augen waren blau, so blau wie die Tiefen des Meeres. Zogen mich in ihren Bann. Sie waren einzigartig, auf ihre eigene Art und Weise und so verdammt schön.

„Also wenn du Hilfe brauchst, ich könnte dir einen kleinen Schubs geben. Ansonsten schwing deinen Arsch wieder hier rüber."

Fast arrogant zog er seine Augenbraue in die Höhe.

Zwischen den WeltenWhere stories live. Discover now