Vergessene Zeiten

116 27 23
                                    

Ich brauchte dringend eine Mütze Schlaf.

*Lilly*

Die Sonne strahlte durch das kaputte Fenster über meinem dunkelbraunen, leicht verstaubten Bett und weckte mich sanft aus meinem Schlaf. Langsam setzte ich mich auf, streckte meine müden Arme und Beine von mir, ein leises Knacken ertönte. Entspannt atmete ich ein. Es war ein erholsamer Schlaf gewesen. Ein Schauer lies mich kurz erzittern, die kalte Morgenluft zog unangenehm durch das undichte, kleine Holzfenster. Ich streifte mir meine Jacke wieder über.

Das Glas des Fensters war zersprungen. Es entstand ein wunderschönes Farbenspiel aus schillernden Regenbogenfarben. Die Glassplitter auf dem Fensterbrett reflektierten das Sonnenlicht und ließen es in alle Richtungen funkeln. Die Sonnenstrahlen tauchten den Raum in ein warmes Licht und malten Muster auf den Holzboden und die Wände. Faszinierend beobachtete ich das Spektakel einen Moment. Kleine Staubkörner wirbelten in der Luft auf, als ich vorsichtig und leise mein Zimmer verließ. Mein Blick heftete sich wie automatisch an die kleine, karierte Couch, in der Hoffnung, er würde da sein. Schon fast enttäuscht hielt ich in der Bewegung inne, als ich erkannte, dass das Sofa leer war. Er war verschwunden. Ich scannte den Raum ab, aber ich war allein.

Da stach mir ein kleines Bücherregal ins Auge. Die Farbe wirkte fast schwarz, der hölzerne Korpus war von Gebrauchsspuren übersät und verlieh ihm dadurch eine gewisse Patina. Es war gefüllt mit Büchern, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Sie waren in verschiedenen Größen, Farben und Zuständen. Einige waren abgenutzt, andere fast neu und glänzend. Manche wirkten regelrecht zerfallen und schienen seit Jahren nicht mehr bewegt worden zu sein. Meine Neugier war geweckt. Mit langen Fingern zog ich interessiert ein alt aussehendes Buch mit festem Ledereinband heraus. Es war mit verziertem, hochwertigen Stoff überzogen. Der Buchrücken war mit einem Etikett und der Jahreszahl 1447 versehen. Vorsichtig griff ich an die kleine schwarze Schleife und zog sie auf. Es war ein Tagebuch.

Ein vergilbter Eintrag stach mir sofort ins Auge. Er war sehr klein geschrieben und enthielt handschriftliche Notizen aus sehr alter, fast schon verblasster Tinte. In diesem war es März. Man beschrieb die harte Arbeit auf dem Feld. Doch man war glücklich, es gäbe für alle genug zu Essen und man war bereit für alles, was das Leben noch zu bieten hätte. Ein leichtes Grinsen schlich sich in mein Gesicht. Interessiert las ich einen weiteren, kurzen Abschnitt. Wie von selbst wollten meine Finger weiter blättern, doch dann stellte ich fest, dass an verschiedenen Stellen mehrere Seiten herausgerissen wurden. Es gab nur noch ein paar vereinzelte Seiten. Fokussiert fing ich weiter an zu lesen.

Plötzlich war der Schreiber niedergeschlagen, fast verzweifelt. Was war nur passiert? Ich zog meine Augenbrauen zusammen und vertiefte mich sofort wieder in den Eintrag. Man beschrieb eine finstere und trostlose Welt, unbändige Wut und Einsamkeit. Das Gefühl der Machtlosigkeit und Schmerzen, so überwältigend, dass man das Gefühl habe, sie zerstörten einen Innerlich. Gefangen in ewiger Folter. Ich bekam Gänsehaut an jeder Stelle meines Körpers. Meine Augen suchten neugierig nach einem Namen, den Verfasser dieser tiefgründigen Worte, doch ich fand nur ein kleines, schön geschwungenes C mit einem Punkt unter den Zeilen. Was hatte dieser Buchstabe nur für eine Bedeutung? Fing der Name des Fremden vielleicht mit diesem an? Gehörte ihm diese kleine versteckte Hütte im Wald? Wie hatte er sie gefunden? Fragen über Fragen. Und auf keine hatte ich auch nur einen Hauch einer Antwort. Resigniert klappte ich das in die Jahre gekommene Buch vorsichtig zu.
Und lies es vor Schreck fallen.

Vor mir stand der gutaussehende Fremde. Er hatte die Arme verschränkt und sah alles andere als glücklich aus. Ich taumelte einen Schritt zurück.
„Hat man dich so erzogen?", seine Augen blitzten gefährlich auf. Ich wollte etwas erwidern, doch blieben mir meine kecken Worte direkt im Hals stecken. „Da nehme ich dich mit, gewähre dir Zuflucht und du hast nichts anderes zu tun als hier herumzuschnüffeln. Das ist erbärmlich." Er klang sauer. Sehr sauer. In seiner Stimme schwang ein Hauch von Verletztheit mit. Ich hatte ihn enttäuscht. Mit hochrotem Kopf senkte ich meinen Blick. Ich schämte mich für mein Verhalten.

„Es tut mir leid," stotterte ich. Meine Finger verschränkte ich miteinander, nestelte an meinen perfekt gefeilten Nägeln herum. Plötzlich fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Vielleicht sollte ich einfach verschwinden. Doch da sah ich aus den Augenwinkeln eine kleine, langsame Bewegung. Der Fremde hatte sich keinen Zentimeter von der Stelle bewegt und doch schien es mir, als würde sein Schatten langsam auf mich zukommen.

Mein Atem setzte schlagartig aus.

Zwischen den WeltenWhere stories live. Discover now