Kapitel 10

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O ja!
Dieses Lachen kannte Kalopeia nur zu gut. Glockenhell und doch so voller Bosheit, dass es jedes Herz erstarren ließ.
Dea, die Göttliche - wie sie sich selbst nannte.
Sie war in ihrem Alter, hatte früher zu ihrem weiteren Freundeskreis gehört. Einfach war es nie mit ihr gewesen, der Tochter der Hexengroßmeisterin, verwöhnt - oder eher verzogen.

Aber Junghexen waren zum größten Teil friedliche Wesen, die auch eine eingebildete Maid - heute würde man sie wohl Tussi oder Zicke nennen - akzeptieren konnten. Doch Deora, wie sie eigentlich hieß, hatte es ihnen schon ziemlich schwer gemacht.

Am häuslichen Unterricht hatte sie nur sehr unwillig teilgenommen, an dem in der Hexenschule noch unwilliger. Lieber saß sie den ganzen Tag vor dem Spiegel, bürstete und flocht ihr langes blondes Haar, sah sich selbstverliebt dabei zu.
Dreimal war sie durch die Hexenprüfung gefallen, doch es hatte sie wenig berührt.
„Ich heirate sowie so den hübschesten und besten Hexer oder Zauberer", hatte sie immer getönt.

Doch Gernot, den sie sich ausgesucht hatte, war sie zu dumm, zu ungebildet gewesen. Außerdem war er schwer verliebt in die wunderschöne Samora, die nicht nur hübsch, sondern auch klug und herzensgut war.
Die falsche Deora konnte bei ihm absolut nicht landen.

So manche Intrige hatte die gesponnen, als sie abgeblitzt war. Sie hatte Gerüchte über eine Liebesgeschichte zwischen ihm und ihr in die Welt gesetzt, doch Samora hatte sie nur ausgelacht. Immer glaubte sie den Worten ihres Geliebten, niemals denen der bösen, frustrierten Hexe.

Danach begann Deora mit ihren zuerst kleinen, in den folgenden Monaten immer schlimmeren Bosheiten.
Gernots Freundin fielen büschelweise die wunderbaren schwarzen Haare aus, er verlor seinen Zauberstab, sie brach sich ein Bein, als plötzlich ein Ast im Weg lag, er wurde aus heiterem Himmel von einem Raben angegriffen, der ihm eine tiefe Gesichtswunde zufügte. Deora trieb es so bunt mit ihren bescheidenen Fähigkeiten, dass sie schließlich ganz aus dem Hexenkreis verstoßen wurde.

Ihre Eltern zogen sich aus allen Ämtern zurück, schämten sich für ihre Tochter, versuchten viel von dem Bösen, das ihre Tochter verursacht hatte, wieder gut zu machen.
Dann verschwand Deora, die niemand je Dea nannte, wie sie es gefordert hatte, von einem Tag auf den anderen.
Immer wieder kamen Gerüchte auf, dass sie sich mit Satan verbündet hatte, dem größten Feind der Menschen und der meisten magischen Wesen.

Kalopeia hoffte in ihrer Lage sehr darauf, dass das nicht wahr wäre. Denn sonst wäre sie wohl verloren!

„Wie hast du mich genannt, meine liebe Kalopeia?", hörte sie die singende Stimme durch die Tür. Diese klangvolle Stimme, die so sehr nach vollkommener Unschuld klang und gleichzeitig vor Sarkasmus triefte.

„Satansbraten!", wiederholte Kalopeia die Beschimpfung.
„Hast du das gehört?" Die Feindin schien zu einem Dritten zu sprechen, der aber nur mit einem Brummen antwortete. „Sie ist ganz schön frech, die schöne Kalopeia, die eine alte Frau geworden ist. Die immer so viel Gutes getan hat, die einfach nicht damit aufhören kann. Aber das werden wir verhindern, nicht wahr, mein Süßer?" Nun war auch die letzte Schönheit aus dieser Stimme verschwunden, nur Härte und Bosheit waren geblieben.

Aber wieder kam nur ein undeutliches Gebrabbel zurück.
„Was willst du?", schrie Kalopeia wieder außer sich vor Zorn und schlug gegen die Holztür.
„Deine Kreation vernichten! Was sonst?", keifte ihre Widersacherin zurück.

„Was weißt du denn davon?" Kalopeia erschrak bis in ihre tiefste Seele.

„Nichts! Aber es ist sicher nichts Böses! Deshalb können wir es nicht zulassen. Wir behalten dich so lange hier, bis alles verdorrt und kaputt ist." Ein dümmliches Kichern drang in den düsteren Kellerraum.

Kalopeia schloss die Augen, versuchte den Schwindel zu bekämpfen, der sie schlagartig überfiel.
„Woher weißt du überhaupt, dass es etwas mit Pflanzen zu tun hat?" Sie beschloss, etwas weniger aggressiv zu sprechen.
Wieder dieses glockenhelle, boshafte Lachen.
„Du warst immer so versunken in deine Arbeit, dass du gar nicht bemerkt hast, dass die Krähe, die so oft zu deinem Fenster hineingeschaut hat, nicht deine war!"

Kalopeia verschlug es einen Augenblick lang die Sprache. So einfach hatte sie es der anderen gemacht?
„Na? Hast du deine große Klappe verloren?", höhnte Deora weiter.

Immer hatte Kalopeia ihre Reden geschwungen:
„Wir müssen den Menschen helfen!"
„Wir müssen unsere Kraft für das Gute einsetzen!"
„Wir müssen kämpfen, damit dieser Krieg nicht so viele Opfer fordert!"

Wir müssen ... Wir müssen ... Wir müssen ...

Sie hatte es nicht mehr hören können.
Wozu war sie einen Hexe, wenn auch eine mit bescheidenem Können, wenn sie nicht für ein gutes Leben für sich selbst sorgen konnte?
Was gingen sie denn die Menschen an?

Sie war wichtig, ihr Glück stand an erster Stelle, nicht das von anderen.
Aber Kalopeia hatte alle auf ihre Seite gezogen.
Andere hatten zwar nicht so gerackert wie sie, hatten aber schon ihren Einsatz gebracht.

Und sie, die Göttliche, war immer mehr vereinsamt, hatte kaum noch Freunde gehabt. Je älter sie geworden war, desto mehr hatte sie sich in Zorn und Eifersucht Kalopeia gegenüber hineingesteigert.

Dann hatte sie durch einen Zufall Elios getroffen, einen träge gewordenen Zauberer. Eines der wenigen Dinge, die sie zu hexen imstande war, bestand darin, einen Liebestrank herzustellen.

Das hatte sie zeit ihres langen Lebens auch immer wieder geübt. Denn freiwillig hatte sie schon lange kein Mann mehr berühren wollen.
Elios verfiel in einen regelrechten Liebestaumel, das Gebräu, das sie ihm eingeflößt hatte, war ziemlich stark gewesen.

So hatte sie ihn überreden können, Kalopeia und ihn mit einer Windhose in ihr Haus zu bringen. Mit viel Mühe hatte er es gerade noch so geschafft, die verhasste Feindin vor ihrer Tür landen zu lassen.

Danach war er vollkommen ausgelaugt, sie hatte Kalopeia alleine in den Kellerraum schaffen müssen. Den so auszustatten wie in einem Film, war ziemlich anstrengend gewesen. Elios hing seit diesem Abend nur noch in einem Sessel herum, war zu nichts mehr zu gebrauchen. Seit er keinen Liebestrank mehr bekam, war sein Interesse an ihr auch ganz schnell wieder erloschen.

„Was willst du eigentlich mit all dem Grünzeug in deiner Hexenküche anfangen?", ätzte sie durch die Türe weiter.

„Das wirst du nie erfahren, du dummes, böses Ding!", schoss die Gefangene zurück.
Sie wusste, sie sollte vielleicht etwas diplomatischer sein, sollte Deora schmeicheln - darauf sprang die sicher noch immer an. Aber das war noch nie ihr Ding gewesen.
Die gehässige Antwort kam sofort: „Dann lasse ich dich eben so verdorren wie deine Pflanzen!"

Kalopeia schloss die Augen, atmete tief durch. Sie musste daran glauben, dass sie gefunden wurde, sie durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Etwas Zeit brauchte sie noch, um ihre Arbeit zu Ende zu bringen. Es durfte nicht alles vergebens gewesen sein.

Doch sie würde ihre Kraft nicht vergeuden, um mit Deora zu diskutieren. Sie verschloss ihre Ohren vor deren Gekeife, fiel in einen leichten Schlummer.

Ein klopfendes Geräusch an dem kleinen Fenster weckte sie.

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