Manieren gehören nicht zur Grundausstattung

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Kapitel 2

Kayne

Ich trank den letzten Schluck meines eher durchschnittlichen Whiskeys und drehte das Glas in meiner Hand. Von dem Barhocker aus versuchte ich, mir einen Überblick über die Gäste in der Bar zu verschaffen. Immerhin hatte ich keine Lust, in einen Kampf mit einem von Saschas Vampiren zu geraten. Die Luft war stickig und die Gerüche so stark ineinander verworren wie die Menschen und anderen Wesen auf der Tanzfläche. Ich konnte sie von hier aus nicht trennen, geschweige denn zuordnen. Unzufrieden drehte ich mich zur Bar, stand von dem leise ächzenden Hocker auf und ließ das leere Glas auf dem Tresen hinter mir zurück.

Ziellos schweifte ich durch den Raum. Mein Gehör lenkte meinen Blick ein weiteres Mal auf die Nebelschwaden, die in regelmäßigen Abständen mit einem lauten Zischen aus den Nebelmaschinen gepustet wurden. Sie verteilten sich langsam in der Luft und ließen die bunte Lasershow beinahe greifbar werden. Ich genoss die praktischen Vorteile dieser Partys, doch ansonsten konnte ich dem nicht viel abgewinnen. Vor allem von der Tanzfläche hielt ich mich gekonnt fern. Meine Auffassung von einem Tanz war Welten von diesem Aneinandergereibe und dem wilden Armgefuchtel entfernt.

Kritisch beobachtete ich das Geschehen vor mir, bis ich mich beobachtet fühlte. Alarmiert sah ich mich um und blickte zwei dunklen Augen entgegen. Ein Mann, vielleicht Mitte zwanzig, lächelte mir selbstbewusst zu, als ich ihn dabei ertappte mich anzustarren. Eine kleine, etwas molligere Frau in einem knallroten engen Kleid kam von der Tanzfläche aus auf ihn zu. Sein Blick lag jedoch weiterhin auf mir. Er deutete mit einer leichten Kopfbewegung neben sich, was ich als Einladung ansah, die wenigen Meter zwischen uns zu überwinden.

„Ich würde dich ja fragen, ob du mit uns tanzen möchtest, aber deinem Blick eben nach zu urteilen scheinst du kein großer Tänzer zu sein.", gab er zu und musterte mich weiter interessiert. „Schade eigentlich, aber uns fällt bestimmt auch etwas anderes ein, was wir machen können." Sein zweideutiger Blick war unmissverständlich direkt. „Ich habe gehört, dass Vampire sehr ausdauernd sein können und diese Süße hier", er zog die Frau in dem roten Kleid so nah an sich ran, dass sich eine fädige blaue Aura um sie herum abzeichnete, die, wie von einem Magneten angezogen, ihre Spitzen in seine Richtung streckte, „können wir uns gerne teilen."

Erwartungsvoll sah der Mann mich an, doch seine Begleitung hatte weniger Geduld. Sie presste sich an ihn und ließ ihre Hand provokant an seinem Oberschenkel entlang wandern. Sein Blick schwang ruckartig zu ihr herunter und ein versautes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, von dem ich mir wünschte, es nicht hören zu können, bevor er seinen Blick kurz von ihr löste. „Letzte Chance einzusteigen", säuselte er.

„Ich teile nicht gerne.", erwiderte ich desinteressiert. Ich wollte mich gerade umdrehen und etwas Abstand zwischen uns bringen, als der Incubus seine Hand nach der Knopfleiste meines Hemdes ausstreckte und sie nur knapp verfehlte. „Ich werde nicht zulassen, dass du mein Angebot ablehnst!" Arrogant blickte er mir entgegen und ich spürte das Knistern in der Luft, dass er erzeugte, um mich zu manipulieren. Dieser Mann kam eindeutig nicht mit Zurückweisung klar.

Vereinzelte Funken tanzten vor meinen Augen, doch seine Kräfte hatten nicht die gleichen Auswirkungen auf mich, wie auf einen Menschen. Für seine Tricks hätte er sich keinen Vampir aussuchen sollen.

Er kam einen weiteren Schritt auf mich zu und versuchte wieder, nach mir zu greifen. Hatte dieser Typ denn gar keinen Respekt vor einem älteren, mächtigeren Wesen? Ich griff etwas zu grob nach seinem Handgelenk, bevor er den Stoff meines Ärmels erreichte, und starrte ihm in sein schmerzverzerrtes Gesicht. „Hat dir keiner beigebracht, dich anständig zu verhalten, oder hast du dir dein Benehmen einfach schon aus dem Kopf gevögelt?", zischte ich genervt, doch er versuchte sich nicht davon einschüchtern zu lassen und presste trotzig die Lippen aufeinander. Seine Wangen plusterten sich auf, bevor er seine Stimme gegen mich erhob: „An deiner Stelle würde ich besser aufpassen, wie du mit mir redest. Meiner Schwester gehört der Laden und wie ich gehört habe, läuft es für die meisten Vampire momentan nicht so gut. Wäre doch schade diese Bar nicht mehr besuchen zu können. Ich könnte dich rauswerfen lassen und dir anschließend das Leben zur Hölle machen!" Das überlegene Grinsen auf seinem Gesicht machte die ganze Situation noch verrückter. Er wagte es tatsächlich, mir zu drohen.

„Du willst mir das Leben zur Hölle machen?" Ein kurzes, trockenes Lachen verließ meine Kehle. Dumme Entscheidung. In dem Bruchteil einer Sekunde ließ ich sein Handgelenk los, stellte mich hinter ihn und umfasste seine Kehle mit meiner Hand. Bevor er realisieren konnte, was passiert war, drückte ich zu, um meiner Antwort Ausdruck zu verleihen: „Wenn ich dich jemals wiedersehen sollte, dekoriere ich die Wände mit deinen Eingeweiden." Ein enthusiastischer Unterton mischte sich zu der blanken Wut in meiner Stimme.

Augenblicklich trat dem Mann vor mir der Schweiß auf die Stirn und er begann panisch zu zappeln, wie ein Fisch den man aus dem Wasser gezogen hatte. Er versuchte meine Hand von seinem Hals zu lösen, doch er hatte keine Chance gegen mich. Ein Incubus war nicht für körperliche Kämpfe ausgelegt.

Jedes Röcheln seinerseits ließ meine Gewaltfantasien realer wirken. „Die Vorstellung gefällt mir ziemlich gut. Vielleicht warten wir auch gar nicht bis zum nächsten Mal.", sprach ich meine Gedanken laut aus. Provokant fuhr ich meine Fangzähne aus und blickte noch einmal zu der Frau, die sich zuvor so hemmungslos an ihn herangeschmissen hatte - vermutlich unfreiwillig. Instinktiv wich sie vor mir zurück. Ohne nochmal einen Blick zu dem Incubus zu werfen, der verzweifelt nach Luft rang, verschwand sie so schnell, wie sie konnte, zwischen den vielen Menschen auf der Tanzfläche.

Mein Blick schwang kurz zum Tresen herüber. Nicht in meiner Bar, hallten die Worte der Barkeeperin in meinem Kopf wieder. Ein unzufriedenes Grummeln kam über meine Lippen. Zu meinem Bedauern und seiner eigenen Gesundheit röchelte der Incubus ein paar Worte, die mich vorerst zufrieden stimmen mussten. „Du... siehst mich... nie wieder", brachte er hervor. Ich lockerte den Griff um seine pochende Kehle, doch zögerte, ihn loszulassen. Ich war niemand, der sich bedrohen oder anfassen ließ, ohne das der andere zumindest ein Körperteil verlor, doch mit der aussichtslosen Situation für die Vampire hatte er nicht ganz unrecht. Ich brauchte diese Bar mehr, als ich zugeben würde. Es war frustrierend.

Meine Hand löste sich widerspenstig von seinem Hals und drehte seinen Kopf dabei ruckartig in meine Richtung. Der junge Incubus schnappte unkontrolliert nach Luft, griff an seinen geröteten Hals und hustete schwer. Ich starrte ihm dabei direkt in die Augen und ein psychopathisches Lächeln stahl sich bei dem Gedanken ihn auf der Stelle zu zerfetzen auf meine Lippen. „Vielleicht komme ich dich auch suchen, wenn mir danach ist", drohte ich ihm ganz offen.

Die panisch geweiteten Augen des Mannes wurden noch größer und die pure Todesangst spiegelte sich in ihnen wieder. Sein Herzschlag, der einen Marathon hinter sich hatte, setzte für einen Moment aus.

„Lauf", gebot ich ihm und verschränkte meine Hände abwartend hinter meinem Rücken. Er überlegte keine Sekunde, ob das ganze eine Falle war, und stürzte voran zu der Seitentür, die nur wenige Meter von uns entfernt war. Meine Mundwinkel zuckten amüsiert, als ich ihn dabei beobachtete. Der verführerische Gedanke, ihn einzuholen und meine Drohungen doch noch wahr werden zu lassen, ließ mich nicht los. Kurz bevor er die Tür erreichte, nutzte ich meine übernatürliche Geschwindigkeit, um vor ihm dort zu sein und sie ihm wie ein Gentlemen aufzuhalten.

Wie eine verschreckte Maus huschte er hindurch und versuchte, möglichst schnell Abstand zwischen uns zu bringen. „Bis bald!", rief ich mit einem leicht wahnsinnigen Grinsen auf den Lippen und winkte ihm hinterher.

BloodshotWhere stories live. Discover now