Tag 8 - Alles auf eine Karte (4)

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Peter

Camila war am nächsten Morgen noch nicht vor Ort. Da sie verabredet hatten, »Funkstille« zu halten, kontaktierte er sie nicht, obwohl er sich etwas Sorgen machte. Die Besuche bei Diegos ehemaligen Mitverschwörern bargen ein gewisses Risiko. Nach einem kurzen Frühstück auf seinem Zimmer, dass er nicht wirklich genießen konnte, war es bereits zehn Uhr. Er rechnete jederzeit damit, dass die Polizei auftauchen oder er sonst wie Schwierigkeiten bekommen würde. Aber erstaunlicherweise bliebt es ruhig. Andererseits tat er nichts Ungesetzliches. Noch nicht.

Ein silbernes Robotaxi kam vor der Hotellobby vorgefahren. Er stieg ein und gab als Ziel den Haupteingang des CERN an. Hoffentlich brachte ihn die Demonstration, die Mitch versprochen hatte, neue Erkenntnisse. Bisher wusste er nicht, ob und wie genau er Pandora einsetzen, oder besser: für seine Zwecke nutzen, konnte.

Die Straße, an der die Hauptgebäude des CERN lagen, zog sich wie mit dem Lineal gezogen durch die Landschaft. Vom Genfer Stadtzentrum, am Airport und den Gebäuden des Instituts vorbei, bis sie in der französischen Kleinstadt Saint-Genis-Pouilly endete. Dort hatte er sein Hotel. Nach einem großen Kreisverkehr kam die fast hundert Jahre alte braun-orangene Kugel des »Globe of Science and Innovation« in Sicht. Da man heutzutage das CERN und alle Einrichtungen in der VR erkunden konnte, und dort auch der gesamte Schulunterricht stattfand, verirrte sich kaum noch ein Tourist hierher. Daher hatte man zwar ein paar Drohnen abgestellt, um das Gebäude, wie viele andere Kulturdenkmäler in der ZEU und der Schweiz, instand zu halten. Aber es wurde nicht mehr genutzt und betreten konnte man das ehemalige Besucherzentrum in der Real-Welt ebenfalls nicht.

Die gläserne Rezeption lag auf der gegenüberliegenden Straßenseite und befand sich, wie der gesamte Komplex, in der ZEU. Sein Auto fuhr eine Wende und hielt dann direkt vor dem Foyer. Das Gebäude wurde in Schuss gehalten und war vermutlich in den letzten Jahren komplett renoviert worden. Eine sechseckige, moderne Glasfront mit aktiven LED-Elementen, die darauf hinwiesen, dass es sich um den Haupteingang des CERN handelte, begrüßte ihn, als er ausstieg. Die doppelflügelige Eingangstür zog sich automatisch auseinander und gab den Weg in den stillen, klimatisierten Eingangsbereich frei.

Hinter dem klassischen, weiß lackierten und mit gebürstetem Aluminium eingefassten Empfangstresen saß ein humanoider Roboter. Sein gesamter Korpus war mit 3-D-Displayfolie verkleidet. Eine im Business-Kostüm gekleidete, dunkelhaarige, junge Frau wurde darauf projiziert. Es wirkte fast, als würde ein echter Mensch dort sitzen. Nur wenn man genauer hinschaute, sah man die Rundungen der Displays. Der reale Hintergrund wurde teilweise nicht ganz korrekt wiedergegeben. Der Roboter passte sich seiner menschlichen Umwelt an, wie ein Chamäleon, das auf die nächste Beute lauerte. Trotzdem, die Illusion war durchaus beeindruckend.

Warum saßen eigentlich in ihrer stark virtualisierten Welt immer noch nur junge, hübsche Frauen an den Empfangstischen, fragte er sich nicht zum ersten Mal. Manche Stereotypen schienen sich hartnäckig zu halten.

»Ich bin mit Prof. Dr. Mitchell McDonagan verabredet«, beschied er, ohne sich bei dem Roboter, der ganz sicher von einer KI gesteuert wurde, mit einer Begrüßung aufzuhalten.

»Guten Morgen, Herr Hessler. Natürlich, ihr Besucherausweis wurde bereits vorbereitet. Wenn sie bitte ihre Hand auflegen würden?« Damit zeigte sie leicht surrend auf einen Scanner vor sich. »Danke. Der Herr Professor kommt gleich. Bitte nehmen Sie doch so lange Platz.«

Er war erstaunt, dass die Empfangs-KI angenehm viel Wert auf Förmlichkeit legte. Normalerweise duzten einen alle KIs, was er wie die Pest hasste. Sicherlich waren hier die typischen Besucher eher Vertreter von Behörden und höheren Managementebenen der Konzerne. Eventuell bevorzugten die es ebenfalls, mit ihrem vollen Titel angesprochen zu werden. Vielleicht war das aber auch einfach eine lokale Schweizer Eigenart – oder es war keine KI. Eine entsprechende Kennzeichnungspflicht für Roboter und Avatare hatte sich nie durchgesetzt.

𝗙𝗔𝗞𝗘 𝗣𝗔𝗥𝗔𝗗𝗢𝗫 - Fake News war gestern ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt