Kapitel 7

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EM Finale: England vs Deutschland 2009

POV Höwedes:

Mein ganzer Körper kribbelte vor Anspannung. Ein einziges Spiel galt es noch zu gewinnen, dann waren wir Europameister. So nah am Ziel durften wir uns das auf keinen Fall mehr nehmen lassen. Aber das war immer so einfach gesagt. Dann stand man mit einer guten Taktik, körperlich und mental fit auf dem Platz und rief alles ab, was man so zu bieten hatte und dann rutschte der Ball einem doch komisch vom Fuß, man lief in einen Konter und schwupps lag man 1:0 zurück. Oder die Grätsche zur Rettung misslang, weil man doch eine Sekunde zu spät dran war und aus einer Heldentat wurde eine gelb, rote Karte. Es gab etliche Szenarien, die man nicht wirklich beeinflussen konnte, die einem aber hinterher den Sieg kosten konnten. Nur das Schlimmste, was ich jetzt tun konnte, war es, mich davon verunsichern zu lassen.

"Ich schaffe das. Heute ist ein Spiel wie jedes andere. Alles wird so kommen wie es kommen muss und ich werde einfach mein Bestes geben. Du bist gut! Wir haben die letzten Wochen auf heute hingearbeitet, also genieße das jetzt und werde Europameister!", redete ich mir leise ein. Tatsächlich half es, dass ich ein wenig ruhiger wurde. Das Kribbeln war zwar immer noch da, aber jetzt war es deutlich besser auszuhalten und schlug eher in Vorfreude um. Manuel, der etwas spät dran war, lief an mir vorbei und klopfte mir nochmal motivierend auf die Schulter. Er wusste genau wie nervös ich vor Spielen werden konnte. Kaum war Manu an seiner Position angekommen, setzten wir uns auch schon in Bewegung und liefen unter lautem Getöse auf den Platz. Und sobald ich meine Trainingsjacke ausgezogen hatte und neben Mats auf meiner Position stand, war nur noch diese Ruhe in mir. Ich war in meinem Tunnel, nur noch darauf fokussiert, wo der Ball war und wo meine Mit- und Gegenspieler waren. In der ersten Halbzeit waren wir ziemlich gleich auf. Es schien, als ob sowohl England als auch wir erstmal gucken wollten, was heute so geht und welches Risiko man eingehen könnte. Nach einer Ecke schaffte es Castro uns in Führung zu bringen, was mich etwas beruhigte, auch wenn das natürlich nichts war, worauf man sich ausruhen konnte. Doch wir schafften es, die Führung zumindest schon einmal bis in die Halbzeit zu retten. Mats und ich hatten ein paar Stürmer abfangen müssen, aber zum Glück alles, was wir gut abmoderieren konnten.

"Gut gespielt!"

Enthusiastisch klopfte mir Mats auf die Schulter. Ein schiefes Lächeln schenkte ich dem Lockenkopf, der für meinen Geschmack etwas zu locker war. Mindestens die Hälfte des Spiels lag noch vor uns und es war noch alles offen. Ich würde mir erst sagen, dass es ein gutes Spiel war, wenn das Spiel abgepfiffen wurde. Zu einem "Danke" konnte ich trotzdem durchringen, immerhin wusste ich ja, dass er es nur gut meinte. In der Kabine herrschte eine konzentrierte Stimmung. Jeder war mit seiner vollen Aufmerksamkeit beim Trainer. Keine Ahnung, ob ich das jemals erlebt hatte, dass jeder so fokussiert dabei war, wo die 15 Minuten Pause auch mal gerne dafür genutzt wurde einfach durchzuatmen. Ich konnte gar nicht abwarten, bis diese blöde Pause endlich wieder vorbei war. Ich wollte den Titel endlich nach Hause holen, auch ganz ohne Pause.

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Abpfiff! 4:0 Deutschland gegen England. Wir waren Europameister! Wir hatten es tatsächlich geschafft! Noch etwas ungläubig starrte ich auf die Anzeige, auf der dick und fett 'Endstand' drauf stand. Im nächsten Moment fand ich mich in einer Menschentraube wieder. Mir wurde ins Ohr gegrölt und an mir rum gerissen.

"Europameister", murmelte ich fassungslos vor mich her und ließ mich einfach von den anderen mitreißen. Keine Ahnung, wie lange wir ausgelassen herum hüpften und schrien. Irgendwann liefen die ersten zu ihren Familien, die schon am Rand der Tribüne warteten. Ich wusste, dass auch Lisa und meine Eltern unter den Leuten waren. Doch bevor ich den anderen zur Tribüne folgen konnte, hielt mich Mats auf. Dem ich die letzten zwei Tage gewollt oder ungewollt aus dem Weg gegangen war.

"Alles Gute zum frisch gebackenen Europameister!"

"Selber", entgegnete ich lachend auf seine etwas merkwürdigen Glückwünsche.

"Du warst extrem gut Benni, nicht nur heute das gesamte Turnier über. Mach dir nicht immer solche Gedanken vor dem Spiel, jede Mannschaft kann sich über deine Unterstützung glücklich schätzen! Red dir nichts anderes ein!"

Während seines Monologs hatte er seine Hände sachte an meinen Kiefer gelegt und sein eindringlicher Blick hielt meinen fest. Und dann passierte etwas komisches. Also noch komischer als unsere Unterhaltung, wenn man das, was wir hatten, überhaupt Unterhaltung nennen konnte. Er beugte sich und für einen Bruchteil berührten seine Lippen meine Stirn. Kurz überlegte ich, ob ich mir die Berührung nur eingebildet hatte, aber wieso sollte ich mir sowas einbilden? Nun guckte ich nicht die Anzeige fassungslos an, sondern Mats, wie er sich von mir entfernte und zu seiner Familie lief. Als wäre nichts geschehen. Mats hatte mich gerade geküsst?! Ich wusste nicht, was ich jetzt mehr verarbeiten musste. Den Sieg oder den Kuss. Komplett überfahren, lief ich nun als letzter ebenfalls zu meinen Liebsten. Nun erst recht nicht mehr bereit, irgendwelche Glückwünsche entgegenzunehmen. Trotzdem zwang ich mir ein Lächeln auf und versuchte, das Chaos in mir drin nicht nach außen dringen zu lassen. Als erstes fiel mir Lisa um den Hals, die ich viel zu lange nicht gesehen hatte. Ich hatte sie vermisst und trotzdem beschlich mich ein komisches Gefühl, als ich sie dicht an mich gepresst an mich spürte.

"Ich bin so stolz auf dich", flüsterte die Kleinere an meiner Brust und sofort schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Wenn mir das Mats bei einer Umarmung gesagt hätte, hätte mir das auch gereicht, schoss es mir durch den Kopf. Doch ein Gefühl ließ mich dabei mal wieder nicht los. Irgendwie war die Aktion von Mats ja auch süß. Und das war das größte Problem. Es musste aufhören, dass ich alles von Mats süß oder heiß fand.

unforgettable ~ hömmelsWhere stories live. Discover now