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Der süße Duft des Neubeginns benebelte meine Sinne. Die Bäume waren voll davon, doch wurde er von der Last der blassrosa Blüten befreit, als der Wind auffrischte und die Blütenblätter stahl und mit sich nahm. Eine Weile tanzten sie mit dem Wind, flehten um weitere Momente der kostbaren Freiheit. Doch schon bald fielen sie zu Boden. Mit einem Mal wurde der Gestank nach Eisen und Salz allgegenwärtig. Metallener Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, als ich zusah, wie die einst so schönen Blütenblätter nicht mehr vom Wind hochgetragen werden konnten, weil das schwere Blut an ihnen klebte. Des Lebens beraubt, schwammen sie in der Blutlache, welche sich unter mir gebildet hatte.

Wenigstens hatten sie ihre Mission bereits erfüllt. Ihr Duft und ihre makellose Pracht hatte zahlreiche Bienen angelockt, damit der Baum Früchte tragen konnte.

Ich allerdings.

Ich hatte meinen Sinn im Leben noch nicht gefunden, doch ich war es auch leid, danach zu suchen. Tag für Tag nach mehr Macht gestrebt, Tag für Tag meine Magie gepflegt, Tag für Tag umhergeirrt, Tag für Tag nirgends angekommen. Was würde ich dafür geben, einmal so frei zu sein, wie die Blütenblätter im Wind? Nun lag ich am Fuße eines Tempels, an den Treppen zu einem stummen See. Das Mondlicht spiegelte sich auf seiner glatten Oberfläche. Dort, wo alles begonnen hatte, sollte nun auch alles enden. Ich konnte nur hoffen.

Im Augenwinkel erhaschte ich eine Bewegung. Jemand blieb unter dem Torbogen stehen, doch die hell erleuchteten Laternen im Tempelinneren, hüllten das Gesicht in Schatten und Unwissen. Einzig die Stimme verriet mir, wer auf mich hinabblickte, wie eine Kaiserin auf eine Ratte. Akina. Meine Frühlingsblume. Meine Schwester. Meine größte Sünde.

„Niemand wird kommen, um dich zu retten." Akina schritt langsam die Treppe hinab. „Steh auf."

Fast hätte ich gelacht, würde die Wunde in meinem Bauch nicht so höllisch schmerzen. Mein Blick schweifte ab, fand keinen Halt. Der Wind strich sanft über meine erblasste Haut, Blütenblätter liebkosten meine Wangen. Nein. Niemand würde kommen, dafür hatte ich schon den richtigen Platz ausgesucht. Und meine Schwester ... der Gedanke verflüchtigte sich, ehe ich ihn zu fassen bekam.

„Ich will auch nicht gerettet werden", widersprach ich stur, während ich dennoch versuchte, mich aufzurichten, nur, um sie besser sehen zu können. Vergeblich.

„Ich hab dir gesagt, dass es dazu kommen wird."

„Das hast du. Bist du glücklich?"

„Wie sollte ich glücklich sein, wenn du dich von einer Misere in die nächste beförderst? Wie sollte ich glücklich sein, wenn du immer wieder den Tod herausforderst?"

„Irgendwann werde ich verlieren."

„Und das ist dein Ziel?"

Ein Fischreiher war in den See getaucht und kehrte Sekunden später mit einer Beute im Schnabel wieder auf. Bis auf das Plätschern des Wassers und den Flügelschlägen des Vogels herrschte fast schon gespenstische Stille. Vielleicht war heute endlich der Tag gekommen, an dem der Tod genug von meinen Spielchen hatte. Meine ausbleibenden Worte mussten genug Antwort für meine Schwester gewesen sein.

„Warum musst du nur immer so verdammt stur sein?" Ihre Stimme wechselte von Verachtung zu Versöhnung innerhalb eines Wimpernschlags. „Erzähl mir, was ist passiert?"

Ich versuchte, meinen Blick wieder auf meine Schwester zu fokussieren. Es fiel mir schwer, mehr als eine geisterhafte Ahnung zu erkennen.

„Ich will nicht darüber reden." Ich konnte nicht darüber reden. Wimpernschlag um Wimpernschlag fiel es mir schwerer, zu atmen. Akina seufzte. So hatten wir uns unser Leben nicht vorgestellt. Einzig und allein ich war schuld an allem Übel. Ich und mein beschissenes Ego. Ich und mein Hunger nach Macht. Ich und mein Flehen nach Magie. Ich. Ich. Ich hatte nur an mich gedacht. Und alle mit ins Verderben gerissen.

Allen voran meine Schwester.

„Es tut mir leid", hauchte ich, erwartete keine Vergebung für meine größte Sünde.

„Was tut dir leid? Dass du unsere Eltern rächen wolltest und dafür aufs Äußerste gegangen bist? Dass du blind vor Machtgier warst? Dass du lieber Magie erlernen wolltest, und dafür jedes Opfer zu zahlen, du bereit warst?"

„Alles davon und noch viel mehr." Mir fielen die Augen zu. Die wenigen Geräusche an diesem ruhigen Ort drangen kaum mehr zu mir durch. Durch kontrolliertes Atmen versuchte ich, die Schmerzen zu lindern. Es half nichts. Ich hatte jede einzelne qualvolle Sekunde sowieso verdient.

„Steh auf." Bittere Tränen kristallisierten sich in ihrer Stimme. „Bitte." Ich wünschte, ich könnte ihr diese Wut auf mich abnehmen. Wünschte, sie müsste mich nicht hassen. Wünschte, sie könnte mich so lieben, wie ich sie.

„Du könntest noch so viel erreichen. Gutes tun. Für mehr Gerechtigkeit in dieser dunklen Welt kämpfen. Oder zumindest ein normales Leben führen", flehte sie.

Akina." Nichts davon konnte ich. Ich hatte schon genug Tode besiegt, genug Leben gelebt, genug Schuld auf mich geladen, um zu wissen, dass ich nichts davon noch erreichen konnte. Und schon gar nicht ein normales Leben. Jemand strich über meine Wange. Zart und weich. Ich konnte nicht ausmachen, ob es der Wind oder Akinas Fingern waren.

„Ich liebe dich", flüsterte sie in mein Ohr. Vergeblich wünschte ich, es wäre keine Lüge. Sie könnte mich nicht mehr lieben, nach all dem, was ich ihr angetan hatte. „Ich verzeihe dir, liebe Schwester. Ich verzeihe dir deinen Hunger nach Vergeltung, ich verzeihe dir deine Wut auf die Welt und ich verzeihe dir, dass ich dein Opfer für Magie sein musste. Ich liebe dich, Sakura. Ich habe dich immer geliebt, auch wenn du es nie sehen konntest."

Tränen vermischten sich mit dem Blut und den hauchzarten Blüten. Vergebung war das Letzte, was ich für meine Taten verdient hatte, aber es war das Einzige, was ich noch brauchte, um gegen den Tod zu verlieren und meine Freiheit zu erlangen.

„Wir sehen uns auf der anderen Seite. Ich warte auf dich, meine Kirschblüte."

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Platz 1 erreicht ❤️

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Die Freiheit der KirschblüteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt