Genug

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"Willkommen bei O2, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton-"

Ging wieder sein dummer Mailbox ran.

"Wo bist du nur?" Murmelte ich genervt und tippte auf mein Handy rum.

Ich war gerade auf dem Weg nach Hause, aber noch 30 Minuten Fußweg lagen vor mir. Es regnete stark, und ich war bereits völlig durchnässt. Die Busse kamen alle zu spät, und meine Eltern waren noch bei der Arbeit. Ich fühlte mich verloren und rief mehrmals Jamal an, aber es ging immer nur die Mailbox ran. Zwischen uns war alles gut, also gab es keinen Grund für Streit, aber die Situation machte mich dennoch wütend.

Unter einem Baum am Straßenrand suchte ich Schutz, während die Autos an mir vorbeifuhren. Die Menschen, die an mir vorbeigingen, hatten Regenschirme, und ich bereute es, keinen mitgenommen zu haben. Plötzlich, nach gefühlt einer Stunde erkannte ich Jamal's Auto von weitem. Er wurde langsamer und hielt vor mir an. Ich blickte ihn wütend an, als er das Fenster herunterließ.

"Steig ein" sagte er ruhig.

Ich zögerte, aber stieg dann doch ein, weil ich wusste, dass es sinnlos war, sich jetzt zu streiten.

"Wo warst du?" fragte er monoton und überhaupt nicht interessiert, als er losfuhr.

"Bei einem Vorstellungsgespräch in einem Café," antwortete ich kühl.
"Weil ich ja bei meinem letzten Job gekündigt wurde. Wegen dir." Fügte ich genervt hinzu.

Er schwieg, und ich spürte, wie meine Wut in mir brodelte. Warum sagte er denn jetzt nichts? Will er mir nicht erklären, warum er nicht rangegangen ist? Das macht doch keinen Sinn!

"Warum bist du nicht ans Handy gegangen?" fragte ich, versuchte meinen Ärger zu kontrollieren.

Er atmete tief ein und ich beobachtete ihn dabei. Er war irgendwie total in Gedanken vertieft.

"Ich habe Mali im Knast besucht" sagte er schließlich.

Verwirrt schaute ich ihn an. Was? Davon wusste ich gar nichts.

"Warum hast du mir nichts davon erzählt?" Fragte ich.
"Es war nichts, worüber ich reden wollte" erwiderte er knapp.
"Seit wann ist er schon drin?" Fragte ich leise.
"Ungefähr ein Monat jetzt" antwortete er kalt.

Ich merkte, dass es ihn nervte, also hackte ich nicht weiter nach. Stattdessen nahm ich seine Hand, als Zeichen meines Verständnisses und meiner Unterstützung. Er schaute kurz zu mir und lächelte schwach.

"Willst du vielleicht mit zu mir?" Fragte ich lächelnd.

Ich wollte ihm sagen, dass meine Eltern sowieso nicht da wären. Aber bevor ich den Satz beenden konnte, schüttelte er den Kopf.

"Nein, Raya. Heute nicht. Ich habe keine gute Laune."

Diese Ablehnung verletzte mich tief, aber ich schluckte den Schmerz hinunter und sagte nichts. Die restliche Fahrt verlief schweigend, bis wir endlich vor meinem Haus ankamen. Ich öffnete die Tür, um auszusteigen, doch er hielt mich am Arm fest.

"Raya, warte" sagte er leise.
"Es ist nicht so, dass ich nicht bei dir sein will. Es ist nur... mir geht es gerade nicht gut, okay? Ich brauche einfach ein bisschen Zeit für mich."

Ich schaute ihn an, seine Augen suchten meine, aber ich konnte die Distanz zwischen uns spüren. Ich wusste ehrlich nicht, was ich sagen sollte und nickte einfach. Ich zuckte dann mit den Schultern und befreite mich aus seinem Griff. Ich stieg aus und er auch.

"Raya" sagte er ernst.
"Jamal" sagte ich noch ernster und drehte mich zu ihm.
"Manchmal brauche ich einfach ein bisschen Zeit, um meinen Kopf frei zu bekommen. Es hat nichts mit dir zu tun."
"Es fühlt sich aber so an" gab ich zu, meine Stimme brach fast.
"Ich dachte, wir erzählen uns alles" fügte ich hinzu.

Er kam zu mir auf die Seite und nahm meine Hand.

"Das tun wir auch. Ich habe einfach viel im Kopf gerade. Es tut mir leid, wenn ich dich damit belaste"

Ich wollte ihn verstehen, aber es war schwer. Es verletzte mich, dass er mich nicht teilhaben ließ an dem, was ihn belastete.

"Jamal, ich will doch nur für dich da sein."
"Und das bist du, Raya. Du bist immer für mich da. Ich liebe dich."

Er zog mich in eine feste Umarmung und flüsterte mir zu, wie sehr er mich liebte.

War ich das wirklich? Denn er hatte mir so oft vorgeworfen, dass ich nie für ihn da war. 5 Monate nach Musas Tod und dann als seine Mutter starb.

Die starken Regentropfen prasselten auf unsere Haut, während wir uns in der Stille hielten. Für ein paar Minuten standen wir einfach nur so da, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich unterbrach ich die Stille.

"Ich hatte einen sehr stressigen Tag" sagte ich leise.

Jamal löste sich ein wenig von der Umarmung, um mir in die Augen zu schauen.

"Erzähls mir, süße."
"Das Vorstellungsgespräch war anstrengend und grauenvoll, und dann noch der Regen und die Busse, die nicht kamen... und du bist nicht rangegangen." Ich konnte die Tränen in meinen Augen spüren.

Er streichelte langsam meine Wange. Seine kalte Hand an meine warme Haut fühlte sich irgendwie gut an.

"Es tut mir leid, Raya. Wirklich." Er strich mir sanft über die Wange.

"Egal" Ich seufzte tief und lehnte meinen Kopf an seine Brust.

Die Müdigkeit in mir brach hervor, als ich meine Augen zu machte und er mir über den Rücken streichelte. Der starke Regen hatte etwas nachgelassen. Wir waren beide jetzt total durchnässt.

"Lass uns lieber rein" sagte er leise und nahm meine Hand.
"Aber-"
"Ich will nicht, dass du krank wirst. Ich mach dir ein Tee, okay?" Unterbrach er mich und wir liefen zu Haustür, nachdem er sein Auto zumachte.

Drinnen angekommen, half er mir, meine nassen Sachen auszuziehen, und wickelte mich in eine warme Decke.

Jamal machte sich in der Küche zu schaffen, während ich mich auf das Sofa setzte und versuchte, mich zu beruhigen. Wenige Minuten später kam er mit zwei dampfenden Tassen zurück.

"Hier" Er reichte mir die Tasse und setzte sich neben mich.
"Danke." lächelte ich.

Ich nahm einen Schluck und fühlte die Wärme, die sich langsam in meinem Körper
ausbreitete.

"Raya, ich will, dass du weißt, dass du mir wichtig bist." Er legte eine Hand auf meine Oberschenkel.
"Ich weiß, dass ich manchmal verschlossen bin, aber es liegt nicht an dir. Ich hab mit mir selbst zu kämpfen."
"Ich verstehe, Jamal. Es ist nur schwer, zuzusehen, wie du leidest und nicht zu wissen, wie ich dir helfen kann." Ich schaute ihn an und versuchte, seine Gedanken zu lesen.
"Du hilfst mir allein dadurch, dass du bei mir bist." Er lächelte und zog mich in eine weitere Umarmung.
"Danke, dass du mich nicht aufgibst." fuhr er fort.
"Ich werde dich nie aufgeben." Ich lehnte mich an ihn und spürte, wie die Liebe und Wärme zwischen uns zurückkehrte. "Versprochen." fügte ich hinzu.
"Ich will nur nicht, dass du mir irgendwann vorwirfst, nicht für dich da gewesen zu sein" sagte ich leise.
"Du hast das früher oft gesagt, als ich versucht habe, etwas Gutes für dich zu tun."
"Raya, ich war damals zu wütend und blind, um zu sehen, wie sehr du dich bemüht hast. Es tut mir leid." sagte er verzweifelt.
"Manchmal habe ich wirklich geglaubt, dass ich nichts für dich gemacht habe und nie genug war," gestand ich, während mir die Tränen über die Wangen liefen.
"Das ist nicht wahr" sagte Jamal und schaute mir tief in die Augen.
"So wie du für mich da warst, war es niemand. Ich könnte keine Sekunde ohne dich auskommen."

Seine Worte lösten eine Flut von Emotionen in mir aus. Es war schön zuhören, dass ich doch genug war. Ich lehnte mich an seine Brust und schloss meine Augen. Ich ließ meine Tränen laufen und fühlte die schwere Last auf meine Schulter nicht mehr.

"Ich wusste nicht, dass du so fühlst." sagte er leise und küsste meine Stirn.
"Wir sollten öfter offen miteinander reden" stellte er langsam fest und ich nickte zustimmend.
"Das wird schon" sagte ich leise und ließ meine Augen zu, weil ich zu müde war.
"Geh nicht" sagte ich müde und kuschelte mich an ihm.
"Deine Eltern-"
"Ich will in deinen Armen heute schlafen, bitte geh nicht" unterbrach ich ihn nuschelnd.

Er streichelte mir über die Haare und küsste meine Stirn und das war das letzte was ich wahrnahm, dann fiel ich in meine Traumwelt.

- Schwarze RosenWhere stories live. Discover now