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Freya

Ich hatte mit Ally schon einige fragwürdige Dinge erlebt. Meine Cousine war die Art von Person, die nicht nachdachte, bevor sie etwas tat. Sie rechnete die Gleichung nicht durch, um sich das Ergebnis anzusehen, nein, sie rannte stur drauf los und wenn das Ergebnis scheiße war, dann war es eben so.

Noch immer dachte ich regelmäßig an die Nacht, in der sie Tante Beverlys Hexenbuch geklaut hatte. Es war spät gewesen, nach Mitternacht, Onkel Aidan hatte gearbeitet und weil Dad für eine Woche verreist war und Trish ein Konzert gehabt hatte, hatten Ace, Dee und ich bei Tante Beverly übernachtet.

Ich hatte bei Ally im Zimmer geschlafen und wir hatten die ganze Nacht geflüstert und Blödsinn gemacht. Bis sie mir erzählt hatte, dass sie das Buch ihrer Mutter im Schrank versteckt hatte und ob ich es sehen wollte. So entspannt Tante Beverly meist war, damals hatte es in ihrem Haus zumindest eine Regel gegeben: Ihre Hexenbücher durften niemals von uns angerührt werden, besonders nicht von Ally und Finn, weil die beiden damit tatsächlich etwas hätten anfangen können. Es schockierte mich bis heute, dass ihr nicht klar gewesen war, dass dieses Verbot bei Kindern erst recht die Neugierde schüren würde.

„Hier", hatte sie geflüstert und mir das Buch stolz präsentiert. Es war dick in Leder eingebunden, so groß wie ein Bildband und unheimlich schwer gewesen. Ally und ich hatten eine Zeit lang ehrfürchtig durch die rauen Seiten mit ihren handgeschriebenen Zaubern geblättert.

„Was, wenn uns deine Mom erwischt?", hatte ich gefragt, aber Ally hatte abgewinkt.

„Wir lesen ja nur darin. Außerdem bin ich eine Hexe! Wie soll ich sonst lernen? Sie bringt mir ja nichts bei." Ich hatte den anklagenden Tonfall in ihrer Stimme gehört. Ally hatte es immer schon toll gefunden, Hexe und Prinzessin zu sein. Aber Tante Bev hatte versucht, sie von der Hexenwelt fernzuhalten. Das versuchte sie immer noch. So, jedenfalls, empfand Ally das. In Wahrheit wollte Tante Bev Ally vermutlich nur beschützen. Und wenn meine Cousine das erkannt hätte, hätte diese Nacht ganz anders geendet.

Wir waren beide an einer Seite hängen geblieben, die fast am Ende des Buches war. Die Zeichnungen waren düster und nicht eindeutig gewesen. Bis heute kann ich nicht beschreiben, was ich da gesehen hatte.

Der Spruch war in einer Sprache geschrieben, die ich nicht kannte und auch Ally hatte nur einzelne Worte verstanden. Ihr Blick hatte sich verändert, war entschlossen geworden. „Das will ich probieren", hatte sie gehaucht.

„Bist du wahnsinnig?!" Ich hatte sie alarmiert am Arm gepackt. „Wir wissen nicht einmal, was das für ein Zauber ist. Das könnte sonst was sein! Es könnte was schief gehen!"

„Es ist nur irgendein Portalzauber. Hast du Angst?", hatte Ally mich geneckt.

„Das ist ein Buch für ausgebildete Hexen und Zauberer. Du kannst noch nicht mal ein Portal schaffen."

„Falsch!" Ally hatte das Buch zugeklappt. „Ich kann sehr wohl ein Portal erschaffen. Meine Mom lässt mich nur nicht. Sie sagt, es hinterlässt eine zu starke Magiespur auf mir."

„Dann sollten wir das hier erst recht nicht machen, Ally."

Sie hatte die Augen verdreht. „Dann mach ich es allein."

Entschlossen hatte sie sich aus ihrem Zimmer geschlichen. Sie hatte genau gewusst, dass ich ihr folgen würde. Wir hatten uns nach unten in den Garten geschlichen. Sie hatte den Zauber nicht in ihrem Zimmer sprechen wollen, für den Fall, dass ihre Mom aufwachte. Es war stockdunkel gewesen, in keinem der umliegenden Häuser hatte Licht gebrannt.

„Und was für eine Ausrede willst du ihr auftischen, wenn sie uns im Garten findet?", hatte ich flüsternd nachgehakt, weil ich Allys Logik nicht ganz durchschaut hatte. Sie hatte mit den Schultern gezuckt.

Cold Blood (Band 5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt