Tag 8 - Riskante Befreiungen (1)

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Milo

Milo legte auf und befand sich vor dem künstlichen Panorama New Yorks.

»FUCK!«, schrie er aus vollem Hals, griff sich das Wasserglas auf seinem Schreibtisch und ließ es mit einem gezielten Wurf an der Wand in tausend Scherben zerplatzen.

So eine verfluchte Scheiße! Das war verdammt knapp gewesen. Peter Hessler, dieser elendige Verräter, hätte beinahe den gesamten Nachrichtendatenbestand der ZEU analysieren lassen. Und das Ergebnis wäre eindeutig ausgefallen: Die großen Medienkonzerne hatten, dank Mäusers Beziehungen zu deren CEOs, bereits vor Monaten »verbesserte« Versionen der Media-KIs herausgebracht. Im Grunde wurden keine gravierenden Änderungen vorgenommen: etwas mehr Polemik hier, ein wenig Freiraum beim Generieren der Prognosen dort. Außerdem leicht veränderte Zielparameter, um die öffentliche Stimmung gegen die Flüchtlinge anzuheizen – und damit Mäusers politische Ziele zu unterstützen. Eine umfassende Analyse des Materials hätte diese Neujustierung glasklar aufgezeigt. Nicht umsonst hatte er bereits mehrfach versucht, den Schnüffler loszuwerden. Langsam wurde ihm dieser Arsch wirklich gefährlich, da er nicht mehr nur herumschnüffelte, sondern es offenbar darauf ankommen lassen wollte.

Aber ihn durch die reguläre Polizei zu verhaften, wäre ziemlich bescheuert. Dort würde der Kerl alles brühwarm erzählen. Im Laufe der Ermittlungen oder – noch schlimmer – eines öffentlichen Gerichtsverfahrens, kämen Journalisten oder Aktivisten dann womöglich auf die Idee, Hesslers Theorie zu überprüfen. Etwas, das es um jeden Preis zu verhindern galt – ohne größeres Aufsehen zu erregen.

Es wurde somit Zeit, die Samthandschuhe abzulegen.

»Assistenz-KI: Persönliche Abschirmung der Arbeitsumgebung aktivieren und bis zur Deaktivierung keine Aufzeichnungen oder Protokolle anfertigen.«

»In Ordnung«, bestätigte sie. »Abschirmung ist aktiv. Protokollfunktion deaktiviert.«

Es hatte gewisse Vorteile in einer exponierten politischen Stellung zu arbeiten, wenn man sehr private Gespräche in der VR zu führen hatte. Milo tippte auf ein Icon auf seinem Schreibtisch. Damit startete er eine physisch auf dem VR-Seats installierte Applikation, die eine quanten-verschlüsselte Verbindung aufbaute. Auch das war normalen ZEU-Bürgern weder möglich noch erlaubt.

»Groupe d'intervention, Miguel Sagitario«, meldete sich eine tiefe männliche Stimme rein auf dem Audiokanal.

In der Groupe d'Intervention de la Gendarmerie Nationale waren nach der europäischen Neugründung alle polizeilichen Spezialkräfte zur Terrorismusbekämpfung vereinigt worden.

»Miguel! Wie schön, mal wieder mit dir zu plaudern«, grüßte er den Gendarmen pseudofröhlich. »Du erinnerst dich noch, dass du mir einen Gefallen schuldest?«

»Si. Aber was auch immer es ist: Danach sind wir quitt. Endgültig. Das sollte dir klar sein«, kam die knappe Antwort.

»Natürlich, Miguel. Du kennst mich. Versprochen«, versuchte er, ihn zu beruhigen.

»Ja, eben. Ich kenn dich. Das ist das Problem. Also gut. Schieß los, was soll ich für dich tun?«

»Eine kleine Gruppe, eine Handvoll Terroristen, plant einen Anschlag. Die musst du mit deinen Leuten ausschalten. Schnellstmöglich.«

»Terroristen? Das kannst du doch wohl über offizielle Kanäle laufen lassen. Wo liegt das Problem?«

»Sie befinden sich in der Schweiz, genauer gesagt in der Nähe des CERN.«

»Beim Atomforschungszentrum? Warum fragst du nicht die Schweizer?«, bohrte Miguel nach.

»Du weiß wie gut die auf Mäuser zu sprechen sind. Also: Übernimmst du das? Schnell rein, unauffällig ausschalten, schnell raus. Falls es später Fragen der Eidgenossen zum unangemeldeten Grenzübertritt gibt, kläre ich das. Hauptsache es existiert niemand mehr, den sie befragen können. Lass sie komplett verschwinden. Spätestens morgen, besser noch heute.«

𝗙𝗔𝗞𝗘 𝗣𝗔𝗥𝗔𝗗𝗢𝗫 - Fake News war gestern ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt