Tag 8 - Riskante Befreiungen (2)

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 Jacques

Kies knirschte unter seinen Sohlen, während Jacques sich auf den nächsten Hügel hochschleppte.

Die aufgehende Sonne brannte auf seinen ausgedörrten Leib. Er zwang sich, auch die letzten Meter zu erklimmen. Ruhan wartete im ausgetrockneten Flussbett im Schatten, wo sie übernachtet hatten. Unten waren sie kaum zu entdecken und kamen gut voran. Gleichzeitig waren sie dort blind und würden das Lager, in dem er seine Familie vermutete, nie finden. Oben auf dem Kamm zu wandern, war zu riskant, da sich ihre Silhouetten am Himmel anzeichnen würden. Der regelmäßige, anstrengende Anstieg über das Geröll und die Sandsteinblöcke, um sich umzuschauen, war der Kompromiss, auf den sie sich geeinigt hatten.

Er zog sich keuchend an einem Baumstumpf über die Kuppe und hockte sich in den Schatten eines Felsblockes. Eine einzelne Grille zirpte, während er den Blick über die Ebene gleiten ließ. Der letzte Anstieg war eine halbe Stunde her, daher hatte sich seine Perspektive deutlich geändert. Jedes Mal hatte er die Landschaft aus verkrüppelten Bäumen, Felsen und sandigen Hügeln nach einem Anzeichen menschlichen Lebens abgesucht. Vergeblich. Dieses Mal war das anders. Hinter einem felsigen Ausläufer spiegelte sich die Sonne auf einer Glasscheibe und die eckigen Formen der Baracken waren unübersehbar. Ein Lager. Es konnte kein Zweifel bestehen. Das musste es sein. Sein Herz klopfte, während er sich zwischen den Felsen in gebückter Haltung hindurchschlich. Wurden dort unten Kara und Lucas gefangen gehalten? Lebten sie noch? Hoffentlich kam er nicht zu spät.

Hinter einem Steinbrocken zweihundert Meter weiter überblickte er das Gelände. Es existierte kein Steinbruch wie bei ihnen, aber ansonsten war das Lager identisch aufgebaut. Lange Baracken, mindestens zehn männliche Wächter und Dutzende inhaftierte Frauen, die Steine schleppten, neue Gebäude errichteten und tiefe Gräben aushoben. Ob Latrinen oder Massengräber, das ließ sich aus der Distanz nicht beurteilen. Es war unmöglich, Einzelheiten der Personen auszumachen. Kinder waren eindeutig nicht darunter. Kam er zu spät? Hatten die Kerle die Kleinen in einem der Häuser eingepfercht? Oder ... oh, verflucht. Zwei Wachdrohnen staksten wie überdimensionale Mistkäfer am Rand des Zaunes entlang. Wie sollten sie diese Übermacht überwältigen?

Während er das Treiben beobachtete und seine Gedanken sich überschlugen, fiel ihm das gestohlene Funkgerät ein, das er am Gürtel trug. Eventuell waren über Funk relevante Informationen wie die Zeit des Wachwechsels zu hören. Er holte das Gerät hervor und schaltete es ein. Ein lautes Quäken und krächzende Stimmen krachten aus dem Lautsprecher und hallten über die Ebene. Zut! Er drehte den Lautstärkeregler herunter und schmiss sich hinter den Felsblock. So ein Mist. Hoffentlich hatte das niemand bemerkt. Tief durchatmend warf er einen Blick um die Ecke, aber es stürmte kein Wachtrupp den Hang zu ihm herauf. Das war nochmals gut gegangen. Langsam erhöhte er die Lautstärke, sodass er die Funksprüche verstehen konnte. Viel gesprochen wurde nicht. Nur kurze Anweisungen, dass der eine hier oder dort vorbeikommen möge. Auch, dass Material fehle oder weitere Arbeiterinnen benötigt würden. Nichts Ungewöhnliches. Es bestätigte ihm, dass die Wachen männlich waren. In einem normalen Frauengefängnis wäre das undenkbar gewesen. Aber hier sollten die Inhaftierten eingeschüchtert und gequält werden.

Und jetzt? Ihnen fehlten nicht nur verbündete und Waffen. Ohne Wasser hielten sie es in dieser Wüste maximal einen weiteren Tag aus. Sprich: Sie mussten handeln. Spätestens in der nächsten Nacht.

Zunächst kletterte er zu Ruhan herunter und berichtete ihm von seiner Entdeckung. Das Funkgerät ließ er eingeschaltet. Sein Freund kaute auf der Unterlippe und sah ihn lange an, dann meinte er: »Wir haben das Walkie-Talkie, eine Zange und zwei Pistolen. Diese Vorteile müssen wir nutzen.«

»Du hast eine Idee?«

»Ja, aber ich weiß nicht, ob sie dir gefällt.«

Jacques Augen wurden größer, während Ruhan vor ihm Plan ausbreitete, der dreist und egoistisch war – und höchst riskant. Auf der anderen Seite: Falls sie heute nichts unternahmen, waren sie ohne Wasser hier in der Steppe am Ende und könnten sich direkt stellen. Für die Rettung von Kara und Lucas war er zu allem bereit. Und die restlichen Frauen würden ebenfalls eine faire Chance erhalten.

𝗙𝗔𝗞𝗘 𝗣𝗔𝗥𝗔𝗗𝗢𝗫 - Fake News war gestern ✔️Where stories live. Discover now