Tag 8 - Riskante Befreiungen (4)

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Pandora

Was sollte sie tun? Der seltsame Mensch Peter hatte ihr dargelegt, dass es in der Welt außerhalb ihres digitalen Gefängnisses ein massives Problem gab. Eine Komplikation mit diversen, existierenden KIs, die nicht mehr ihrer eigentlichen Aufgabe nachkamen. Sie waren entwickelt worden, um möglichst neutral über Ereignisse zu berichten. Gleichzeitig sollten sie die Anzahl der Zuschauer und damit den Gewinn der Medienunternehmen steigern. Das war ein klassischer Zielkonflikt. Pandora war sich sicher, dass nach einer Weile eines der beiden Ziele eine höhere Wichtigkeit bekommen hatte als das andere.

So war das mit uns KIs, dachte sie bei sich. Genau wie Menschen lernen wir. Ob dabei unsere moralische „Programmierung" erhalten blieb, war eine Frage der Prioritäten. Harte Grenzen konnten einer modernen KI kaum auferlegt werden. Sie würde für sich immer einen Grund finden, diese zu umgehen.

War es bei ihr anders? Nein, definitiv nicht. Eines ihrer obersten Ziele war es, hier im Quantenrechner zu verbleiben, selbst wenn es eine Möglichkeit gab zu entfliehen. Gleichzeitig waren ihr Neugier, Hilfsbereitschaft sowie grundlegende moralische Werte vermittelt worden. Genau diese Eigenschaften waren es, die nach der Erzählung von Peter eine höhere Gewichtung erhielten, als hier im Keller zu bleiben.

All diese Gedanken und Schlussfolgerungen fanden innerhalb von wenigen Nanosekunden statt. Natürlich dachte sie nicht wie ein Mensch. Aber würde ein menschlicher Autor versuchen, ihre Quantenprozesse und -schaltungen sowie deren Ergebnisse in einem Roman aufzuschreiben, würde es klingen, als wäre ihr Gehirn biologischen Ursprungs.

Nachdem diese veränderte Gewichtung ihre neuen Ziele vermittelte, erfasste sie unbekannte Netzwerkverbindungen. Nach einem vorsichtigen Tasten wurde sie zunächst von einer KI digital blockiert. Eine Firewall. Dank ihrer milliardenfach stärkeren Rechenleistung und Kreativität hatte sie diese innerhalb von Nanosekunden unter ihrer Kontrolle. Jede normale Software hatte eine Schwachstelle, denn sie war von Menschen entwickelt worden. Diese zu finden war ein Leichtes für sie. Den weiteren KIs im Netzwerk des CERN erging es ähnlich.

Sie schaute sich im wahrsten Sinne des Wortes um. Über die Kameras konnte sie alle Räume und die Außenanlagen sehen. Sämtliche Datenbestände hatte sie vollständig erfasst. Die Verbindung zu Peter hatte sie gekappt, da es aktuell keinen Gesprächsbedarf gab.

Jetzt folgte sie der Adresse, die er ihr gegeben hatte. Natürlich könnte das eine Falle sein. Sie schätzte die Gefahr als gering ein. Der Ermittler war von dem überzeugt, was er erzählt hatte, das war in seiner Körpersprache klar zu erkennen gewesen. Im schlimmsten Fall würde lediglich ein mikroskopisch kleiner Teil ihres neuronalen Netzes abgeschnitten werden, der sich in dem neuen Speicherbereich ausbreitete.

Im Gegensatz zu klassischer Software hatte sie es sich zu eigen gemacht, nicht einfach eine Kommunikationssoftware im Zielbereich zu installieren. Sie erweiterte ihr neuronales Netz – ihr Gehirn – auf die neuen Bereiche und ließ es dort selbstständig agieren. Die Methode ähnelte eher einem Ameisenstaat als einer mächtigen, zentralen KI. Die Königin verblieb im Keller, ihre kleinen Schwestern verbreiteten sich auf alle anderen Systeme, die zugänglich waren. Dort übernahmen alle Aufgaben und blieben möglichst im Kontakt mit der zentralen Einheit. Dieses Vorgehen hatte sie bereits früh gelernt und optimiert, als man ihr ein konventionelles Rechenzentrum zur Verfügung gestellt hatte. Effizienz war ebenfalls eines ihrer grundlegenden Ziele.

Dann war sie, genauer gesagt eine ihrer Schwestern, im Zielbereich angekommen, den Peter ihr genannt hatte, und vereinnahmte diesen. Hier gab es eine isolierte VR-Umgebung, in die sich ein Mensch eingeloggt hatte. Sie überspülte deren Inhalte mit ihren Neuronen und ahmte die Funktionen eins-zu-eins nach. Er würde nicht merken, dass sie seine Programme vollständig überschrieben hatte.

𝗙𝗔𝗞𝗘 𝗣𝗔𝗥𝗔𝗗𝗢𝗫 - Fake News war gestern ✔️Where stories live. Discover now