Tag 9 - Endlich frei (3)

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Olivia

Sie ließ ihren Blick in Richtung Couch wandern. Der Junge schlief dort friedlich und hatte einen grauen Plüschhasen unter seinen Arm geklemmt. Gab es einen unschuldigeren Anblick als schlafende Kinder? Olivia bezweifelte es. Wenn sie daran dachte, was er durchgemacht hatte, bevor Alejandro ihn vollkommen verängstigt, ausgehungert und schmutzig unter einem verkrüppelten Busch gefunden hatte ... Es war also keine Überraschung, dass er ihre Nähe suchte. Man konnte ihn keine Sekunde allein in einem Zimmer zurücklassen. Dass der Vierjährige zwei Tage in den Dünen überstanden hatte, war ein kleines Wunder.

Ein hauchfeines Schnarchen durchdrang die Stille des Wohnzimmers bis zum Esstisch, an dem sie saßen. Sie hatten ihr Haus in Cabo del Gata sowie die Kirche in der Comunidad verloren. Daher hatten sie sich kurzfristig eine möblierte Wohnung im zweiten Stock eines Wohnblocks in Almería gemietet, bis sie sich etwas Neues aufbauen konnten. Ihre Bleibe lag am östlichen Stadtrand nahe der endlosen mit Plane bespannten Gewächshäuser, deren ausufernde Flächen selbst aus dem Weltraum erkennbar waren. Auch die Autobahn war nur zwei Kilometer entfernt. Perfekt für die Suche nach den Übergangslagern, in denen man angeblich die Flüchtlinge untergebracht hatte. Leider bisher erfolglos. Offizielle Informationen zum Standort existieren nicht.

Von Peter und Camila hatten sie ebenfalls nichts mehr gehört. Auch war sie sich nicht sicher, was passieren würde, wären die beiden erfolgreich. Würden sie davon überhaupt etwas mitbekommen? Das ist sehr wahrscheinlich. Wenn die Manipulationen der Media-KIs aufgedeckt werden, geht das durch sämtliche Nachrichten. Ob das am Ende Mäuser und seine korrupte Bande zu Fall bringt, daran habe ich ernsthafte Zweifel. Bisher waren alle Enthüllungen und Gerichtsverfahren durch gewiefte Anwälte und seine Beziehungen verpufft. Im Gegenteil: Je mehr der Kerl log und betrog, desto fester stand er bei seinen Stammwählern im Kurs. Wir oder die.

Sie schüttelte den Kopf und verdrängte diese Gedanken. Auf die Aktion von Peter hatten sie keinen Einfluss. Sie mussten sich um ihre eigenen Probleme kümmern.

„Wir müssen uns überlegen, wie es weitergeht", flüsterte sie und löste ihren Blick von dem Kleinen.

„Du meinst, mit ihm?"

Alejandro antwortete in gleicher Lautstärke. „Ich weiß es nicht, noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir seine Eltern wiederfinden."

„Natürlich. Aber was ist, wenn nicht?"

Sie hob ihre Hände. „Der Junge hat keine ZEU-ID. Wir können mit ihm das Haus nicht verlassen, ohne dass ihn eine Kamera beobachtet und ein paar Stunden später der Grenzschutz vor der Tür steht."

„Hm ...", er strich über seinen Bart, „wir könnten eine Adoption beantragen. Damit dürfte er zumindest vorläufig bei uns leben, solange seine Eltern verschollen sind."

„Und falls sie wieder auftauchen?" Sie kniff ihre Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. „Dann können wir ihn ihnen nicht mehr zurückgeben, sobald das Verfahren läuft. Sie sind ebenfalls illegal hier und haben somit keinerlei Rechtsansprüche – auch nicht auf das eigene Kind. Mit der Rückgabe würden wir uns strafbar machen."

Alejandro ballte seine Faust. „Verfluchter Mäuser. Der und seine populistischen Gesetze. Nur weil mal die Migranten zu Rechtlosen erklärt werden, wird das niemanden davon abhalten, nach Europa zu kommen. Wenn wir nur ..."

Dumpfes Krachen und Klirren, als hätte jemand bei einem Nachbarhaus eine Scheibe eingeschlagen, ließ sie hochschrecken. Auch der schwarzhaarige Junge schrak hoch und sah sich mit angstgeweiteten Augen um.

„Alles gut, Lucas", beruhigte Alejandro den Kleinen und ging zum Sofa. „Das ist bestimmt nur jemandem etwas runtergefallen."

Das Geräusch wiederholte sich. Dieses Mal erklang es eindeutig auf der anderen Seite hinter ihrem Haus. Sie hatten die Jalousien geschlossen, sodass sie nicht direkt nach draußen schauen konnten.

𝗙𝗔𝗞𝗘 𝗣𝗔𝗥𝗔𝗗𝗢𝗫 - Fake News war gestern ✔️Where stories live. Discover now