Tag 10 - Fliegendes Inferno (1)

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Jacques

Ein lautes Dröhnen ließ Jacques aufschrecken. Ein Quadrocopter schwebte über dem Dach des baufälligen Klubhauses. Auch Kara, die vor ihm lag und ihre Arme um den schlafenden Lucas geschlungen hatte, war aufgewacht. Atemlos verharrten sie in dieser Position und er erwartete jeden Moment, dass jemand hereinstürmen oder ein anderes Unglück geschehen würde.

Langsam ebbte das Geräusch ab. Was auch immer das Fluggerät hier zu suchen hatte, sie schienen es nicht zu sein. Kara ließ ihren Atem entweichen.

„Ich glaube, wir sind hier sicher", flüsterte er, „wenn man uns entdeckt hätte, wären wir schon lange nicht mehr allein. Aber wahrscheinlich haben alle im Moment dringendere Probleme, wie Olivia vorhin gesagt hat."

„Ja. Versuchen wir, noch etwas zu schlafen." Damit schloss sie ihre Augen und kuschelte sich enger an ihn und Lucas. Kurz darauf vernahm er ihre ruhigen Atemzüge. Er streichelte ihrem Sohn, der zwischen ihnen lag, über den Haarschopf. Im Gegensatz zu ihnen roch er frisch geduscht. Unfassbar, dass er die letzten Tage bei Olivia und Alejandro verbracht hatte, während sie in den Lagern um ihr Leben gekämpft hatten. Zumindest war ihm dieses Trauma erspart geblieben. Aber noch waren sie nicht in Sicherheit. Die beiden Comunidad-Gründer hatten ihm von einer KI erzählt, die offenbar Menschen gezielt tötete und ganze Städte niederbrannte. Eigentlich sollte sie den Migranten helfen und die Presse und Politik in Zaum halten. Aktuell sah es für ihn eher so aus, als würden diese Personengruppen von der Erde getilgt. Ob ihm damit später geholfen wäre, daran hatte er starke Zweifel. Morgen würden sie versuchen, sich ein genaueres Bild von der Lage zu machen. Wieder stellte sich die Frage nach Wasser, Nahrung und der Überfahrt nach Algerien. Vielleicht war das gegenwärtige Chaos dabei hilfreich, denn die Grenzsoldaten, falls es noch welche gab, hatten wahrscheinlich Besseres zu tun, als Flüchtlinge zu jagen. Auch ein herrenloses Boot, das die Fahrt übers Mittelmeer wagte, sollte sich finden lassen. Nur eines würden sie vorerst nicht bekommen: Ruhe und Sicherheit.

Als er das nächste Mal erwachte, lag er allein auf ihrem provisorischen Lager aus Alejandros Schlafsack und ein paar alten Plastikplanen. Die Sonne schien bereits grell durch eine handbreite Lücke des vernagelten Fensters. Bis auf die tanzenden Staubpartikel und einen Holzstuhl, dem ein Bein fehlte, war ihr selbstgewählter Schlafraum leer. Im Hintergrund hörte er das fröhliche Lachen seines Sohnes, als wäre nichts Besonderes passiert.

Er durchquerte den Raum und schaute sich um. Vor ihm erstreckte sich das ehemalige Restaurant des Klubhauses: Ein ausladender, verstaubter Raum mit einer alten Bar. Spinnenweben spannten sich zwischen den ausgetrockneten Zapfhähnen. Ein Dutzend verschimmelter, weinroter Sessel, runden Tischen und jede Menge Unrat, der sich in den Ecken sammelte, warteten auf ihn. Kara, Olivia und Ruhan saßen an einer Sitzgruppe und tuschelten leise, während Alejandro Lucas mit einem verrosteten Golfschläger beibrachte, wie man den winzigen Ball geradeaus schlug. Der Eindruck war jedoch nicht besonders überzeugend, da der Spanier genauso wenig Ahnung zu haben schien, wie sein Sohn.

„Bon jour", begrüßte er die Runde und lief zu Lucas. Der versuchte, wegzutauchen, doch er erwischte ihn und nahm ihn in eine lange Umarmung. Wahnsinn. Erst mit Kara und jetzt Lucas wiedervereint. Es fühlte sich immer noch wie ein surrealistischer Traum an. War es wirklich erst ein paar Stunden her, dass er sie befreit hatte?

„Gibt es was Neues? Und wie spät ist es eigentlich?", fragte er, während er seinen Sohn absetzte und zu den beiden hinüberlief.

Kara stand auf und gab ihm einen kurzen Kuss. Ihn weiterhin im Arm haltend meinte sie: „Schon fast Mittag. Und nein. Bisher haben wir das Haus nicht verlassen, um keine unnötige Aufmerksamkeit von dem Ding auf uns zu ziehen."

„Daher lassen wir auch besser unsere VR-Brillen ausgeschaltet", ergänzte Olivia. „Draußen sind immer noch Explosionen, Sirenen und entfernte Schreie zu hören. Das klingt, als wären wir in einem Kriegsgebiet. Wir warten erst mal ab. Trotzdem brauchen wir Wasser und Nahrungsmittel."

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