Tag 10 - Fliegendes Inferno (2)

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Jacques

Nach einer halben Stunde erreichten sie den drei Meter hohen Zaun des Flughafens, an dem sie außen entlangliefen. Das Flugfeld, auf dem normalerweise Dutzende Quadrokopter und VTOLs sowie eine Handvoll kerosinbetriebene Flugzeuge parkten, war leer. Er wusste, warum: Lauf Olivia hatte die KI die Fluggeräte in Geschosse umfunktioniert, die sie auf die Bevölkerung hatte stürzen lassen. Es war offensichtlich, dass keines mehr übrig war. Das war mit Sicherheit einer der Gründe, warum die Städte brannten. Das erklärte auch, warum am Himmel die allgegenwärtigen Drohnen fehlten, die wie ein Bienenvolk die Einwohner versorgt hatten. Sie hatten sich wie Hornissen gezielt auf ihre Erschaffer gestürzt und sie getötet. Jedoch nicht wahllos, sondern nach Kriterien, die sich wohl nur der KI selbst erschlossen – oder demjenigen, der sie beauftragt hatte.

Eine weitere halbe Stunde war vergangen, während sie am schnurgerade gezogenen, kilometerlangen Zaun entlangwanderten. Auf der anderen Seite des Meeres ragten mit Algen überzogene Giebel und höhere Betongebäude mit leeren Fensterhöhlen aus dem Wasser. Eine der vielen versunkenen Küstenstädte.

Lucas saß quengelnd auf seinen schmerzenden Schultern und beschwerte sich, dass der Weg langweilig sei. Sie näherten sich langsam dem Ende des Flughafengeländes. Es waren noch zweihundert Meter. Dahinter schlossen sich die monotonen weißen Gewächshausplanen an.

Er erkannte, dass seine Annahme mit der Zerstörung aller Fluggeräte nicht ganz korrekt war. In der Ferne schoss ein schwarzer Punkt über die Treibhäuser hinweg. Eine fliegende Drohne, mindestens so groß wie ein Kinderkörper. In einer engen Kurve zog sie über das Meer und näherte sich der Kolonne.

„Seht ihr das?", fragte Kara von vorne.

„Ja, und es gefällt mir nicht", antwortete Olivia unumwunden. „Wir haben hier keine Möglichkeit auszuweichen. Lasst uns zusehen, dass wir die Gewächshäuser erreichen. Los!"

Damit ging sie einen leichten Trab über und Jacques schloss sich stöhnend an. Das Gewicht von Lucas presste auf seinen Schultern, doch er musste es ertragen. Eine andere Option gab es nicht. Die Flüchtlinge schauten ihnen irritiert nach. Der eine oder andere Arm hob sich und deutete auf die Drohne, die sich rasant näherte. Rufe wurden laut. Die ersten Leute versuchten, ihre Schritte ebenfalls zu beschleunigen, aber sie steckten in der Kolonne fest. Der Streifen zwischen Meer und Zaun, auf dem man marschieren konnte, war maximal drei Meter breit. Er hielt sich hinter den anderen und stemmte sich mit ausgefahrenen Ellenbogen gegen die Menschen, die überholen wollten und ihnen entgegenliefen.

Mehrfaches Knallen hallte zu ihm herüber. Dreimal. Rattatatang. Rattatatang. Rattatatang. Verdammt noch mal! Maschinengewehrsalven. Er streckte sich und schaute über die Köpfe hinweg, die ihm entgegenwogten. Die Drohne hatte sich bis auf wenige Hundert Meter genähert. Sie schwebte über dem Meer, während Mündungsfeuer an ihrer Unterseite aufblitzte. Sie schoss auf die Flüchtlinge in der Karawane!

Panik brach aus. Schreie ertönten. Die Menschen stürmten vorwärts, mit aufgerissenen Augen, wie scheue Pferde. Sie ließen ihre Sachen fallen. Stolperten, trampelten übereinander, sprangen ins Meer oder wurden hingestoßen. Jeder war nur noch sich selbst am nächsten. Jacques holte den schreienden Lucas im Laufen und Drängeln von seinen Schultern, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Er nahm ihn auf dem Arm vor die Brust, senkte den Kopf und stürmte vorwärts. Kara krallte sich vor ihm in den Zaun. Die anderen sah er nicht mehr. Mit einem halben Klimmzug überholte er sie und schrie: „Halte dich an meinem Rucksack fest! Bleib hinter mir!"

Kurz darauf spürte er ihren Zug und wie sie antwortete: „In Ordnung, los!"

Jetzt ging es nur noch darum, sich aufrecht zu halten, nicht zu stolpern und das Ende der Engstelle am Zaun zu erreichen. Dort, wo die Drohne in die Menge feuerte. Die Chance für seine Familie und ihn, unter den Planen Sicherheit zu finden, war deutlich besser, als mit einer panischen Menschenmasse drei Kilometer in die andere Richtung zu stürmen.

𝗙𝗔𝗞𝗘 𝗣𝗔𝗥𝗔𝗗𝗢𝗫 - Fake News war gestern ✔️Where stories live. Discover now