»Kapitel 6

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[...2 Wochen später...]

„Grace? Warte mal!", schreit mir Luca auf dem Schulflur hinterher. Das uns deswegen alle Schüler, die in unserer Umgebung stehen, anschauen, ist ihm sichtlich egal. Mit schnellen Schritten kommt er auf mich zu.

„Was willst du?", frage ich ihn kalt, schon bereit, mich wieder umzudrehen und weiter zu gehen.

„Mit dir reden. Wieso ignorierst du mich?"

„Ich ignoriere dich nicht, Luca. Ich habe momentan nur schlichtweg andere Probleme, als mich mit dir zu unterhalten. Tut mir leid", antworte ich ihm und will mich wieder umdrehen, aber er hält mich davon ab, indem er meinen Arm sanft packt.

„Nein, Grace, dass ist überhaupt kein Grund. Wir reden später darüber, okay? Unter dem Baum, an dem wir uns das erste Mal richtig unterhalten haben", sagt er, nachdem es klingelt und er zu seinem nächsten Kurs hetzt.

Ihn zu ignorieren hat weder mir noch scheinbar ihm sonderlich gut getan, denn die Blicke, die er mir während dieser Zeit zuwarf, taten mehr weh, als jegliche Worte, die er mir an den Kopf hätte werfen können.

Sehnsucht und Verzweiflung waren die Gefühle, die ich erkennen konnte und es tat mir so wahnsinnig weh, ihn so zu sehen.

Es war eben nicht besser, mich von ihm fernzuhalten, im Gegenteil; es machte nur alles schlimmer.

...

In der Pause setze ich mich auf die Bank, an der er mich treffen will und warte auf ihn.

„Du bist gekommen", haucht Luca und setzt sich neben mich, „wieso ignorierst du mich?"

„Ich dachte, es wäre besser für mich, wenn ich auf Abstand gehe. Ich will dich nicht verletzen, aber ich will dir auch nicht sofort zeigen, was mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich jetzt bin. Der, der alles in seinem Leben aufschreibt und nicht im hier und jetzt lebt, verstehst du? Ich denke anders, als man es in unserem Alter eigentlich tun sollte. Mir sind Parties nicht wichtig, weil ich die kleinen Momente in meinem Leben nicht damit verschwenden will, mich zu betrinken und mit dem nächstbesten Jungen ins Bett zu steigen. Ich will so nicht leben", flüstere ich und schaue in die grünen Augen von Luca.

„Du musst mir nicht sofort alles über dich erzählen, denn das wäre unglaublich langweilig, ich will selbst jede Seite deiner Persönlichkeit kennen lernen und da ist das eher nicht so cool, wenn du mich einfach ignorierst."

„Tut mir echt leid, ich wollte echt nicht, dass es so wird. Wirklich", lächle ich schüchtern und betrachte meine Schuhe.

„Komm', ich zeig' dir einen meiner Lieblingsplätze und wir reden einfach, okay?", schlägt der Junge neben mir vor, greift ohne auf eine Antwort zu warten, nach meiner Hand und zieht mich vom Schulhof.

„Ich hab' aber noch Unterricht."

„Ich auch, aber du hast doch gerade gesagt, dass du alle Momente in deinem Leben erleben willst und das machen wir jetzt. Ich zeige dir einen meiner Lieblingsorte und wir reden. Das ist etwas, dass du deinen Enkeln erzählen kannst, wenn du in deinem Schaukelstuhl sitzt und nicht, was du in Deutsch gelernt hast, Grace."

„Da hast du Recht", stimme ich ihm zu und drücke leicht seine Hand, was er sofort erwidert.

...

Der Ort, an dem wir ankommen ist absolut perfekt. Es ist eine kleine Lichtung, von der wir auf einen Bach schauen können, in dem man bestimmt auch gut baden gehen kann.

„Wow", flüstere ich und setze mich neben Luca, „es ist perfekt hier. Perfekt, um über das Leben zu philosophieren."

„Genau deswegen sitzen wir hier. Du redest gerne über Momente im Leben, die wir alle schätzen sollten und hier ist der Ort, der gemacht ist, um über sowas zu reden."

„Du willst also über diese besonderen Momente reden?", frage ich lachend nach und Luca nickt nur, breitet seine Jacke auf dem moosbedeckten Boden aus und legt sich auf diese.

„Erzähl' mir, alles was du darüber sagen kannst."

„Du wirst mich wahrscheinlich für verrückt erklären, aber ich glaube, dass es im Leben nicht darum geht, so viel wie möglich machen; alle Kontinente bereisen, so viele Sprachen wie möglich lernen. Es geht schlichtweg darum, die Momente zu erleben, die sich zu etwas großem zusammensetzen. Wenn wir am Beispiel Reisen bleiben. In jedem Land, dass du besucht, erlebst du kleine, besondere Momente, die etwas großes ergeben und zwar die Reise an sich. Viele Menschen blicken aber nur auf das Ergebnis und nicht auf die Teile, die es dazu machen, verstehst du? Es geht um diese Momente, die alles verbinden und es besonders machen und an diese sollte man sich erinnern und erzählen und wer macht das schon? Wer erzählt von einer Reise von den einzelnen Momenten? Jeder erzählt doch nur von dem Großen und deswegen geraten die kleinen Dinge in den Hintergrund, wo sie verblassen, bis man sich nicht mehr erinnern kann und das ist schade, denn ohne kleine Momente wäre das Leben trostlos und grau. Momente sind wie Farbtupfer in einem bunten Gemälde, dass sich Leben nennt. Welcher Künstler malt in nur einer Farbe? Das Bild würde absolut trostlos und monoton aussehen, aber sobald mehrere Farben das Bild erweitern, wird es wunderschön und jeder ist im Bann dessen gefangen. Das macht es aus, sein Leben mit jeder Faser seines Körpers erleben zu wollen, denn es ist kopfsache, ob man es mit all seinen Zügen genießen will."

„Du weist gar nicht, wie sehr du mich immer wieder aufs Neue fanatisierst. Ich kann echt so unglaublich froh sein, dass ich dich kennen lernen durfte", murmelt Luca und lächelt mich liebevoll an, zieht mich zu sich und bedeutet mir, mich auf seine Brust zu legen.

„Willst du unserem Biolehrer eine Dankeskarte schreiben? Denn hätten wir das Projekt nicht zusammen, hätte ich mich nie mit dir nach der Schule getroffen", lache ich und schaue in den Himmel, der strahlend blau ist.

„Ich bin mir sicher, dass ich dich mit meinem Charme schon dazu bekommen hätte, dass du dich auch mal so mit mir triffst. Wie jetzt."

„Das hier mache ich auch nur, weil du recht hattest. Das hier kann ich stolz meinen Enkeln erzählen und nicht, was für unnötiges Zeug man in Deutsch so lernt."

„Willst du mir damit sagen, dass ich gar nicht entscheidend für diese Situation bin, meine Liebe?"

„So würde ich das nicht sagen, du bist der Auslöser für das hier. Du zeigst mir gerade auf deine Weise, was es bedeutet zu Leben und dafür danke ich dir, Luca. Dass du mir deine persönliche Definition davon zeigst."

______

Das nächste Kapitel, whuhu.

Wenn ich's schulisch schaffe, versuch' ich wenigstens zwei Kapitel in der Woche hochzuladen. :3

Kritik und ähnliches gerne in die Kommentare. Schöne Woche schon mal!

Over and Out,
- Anna

Remember me || Concrafter || ABGEBROCHENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt