eleven

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Verwirrung kam in mir auf und ich drückte mich von Erik weg. "Wieso dir?" Ich schaute von ihm zu Mats, der mich ebenfalls mitleidig ansah. "Mir muss es leid tun, ich hätte dich da nicht mit reinziehen sollen, wirklich nicht." Erik's Augen trafen erneut auf meine, bevor sich ein schiefes Grinsen auf seinen Lippen bildete.

"Na ja, hätte mir schlimmeres vorstellen können." Erik strich sich durch die dunkelblonden Haare, woraufhin ich spüren konnte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Ich hatte ihn geküsst. Einfach so. Oh scheiße.

Als die Türen des Fahrstuhls wieder aufgingen, entfernte ich mich wieder mehr von Erik, weswegen sich meine Gesichtsfarbe immer mehr normalisierte. Zusammen mit Erik und Mats durchquerte ich die Lobby, bis wir wieder vor der Tür in der angenehmen Hitze Las Vegas' standen. Was sollte ich jetzt tun? Nicht nur, dass das Problem mit Erik aufgetaucht war, nein, jetzt hatte die Frau, die ich jahrelang meine Mutter genannt hatte, eine zweite Familie und hatte mich und meinen Vater von Grund auf belogen. Sollte ich mich nicht zuerst um meinen Vater kümmern? So, dass mir meine Mutter auch ja nicht zuvor kommen konnte und ihm womöglich so viele Lügen auftischte, bis er meiner Geschichte keinen Glauben mehr schenkte. Wäre das nicht die Beste Lösung? "Du? Erik? Ich glaube, ich habe da eine Idee...", meinte ich und beobachtete, wie er mich fragend musterte. "Ich weiß, das alles klingt wahrscheinlich völlig Banane und du musst das auch nicht machen, aber wie fändest du es, wenn wir vorerst- nun ja, verheiratet bleiben?" Meine Unterlippe verfing sich mit meinen Zähnen, als ich auf die Antwort wartete, rechnete schon damit, eine Absage einzufahren.

"Warte, ihr wisst davon, dass ihr geheiratet habt?" Meine Augen wurden größer, als die Worte von Mats zu mir durch dringen. "Ich dachte schon, ich hätte das geträumt..."

"Du weißt davon?!", fragte Erik aufgebracht, wobei sich seine Stimme etwas überschlug. "Warum sagst du uns das jetzt erst?"

"Ich hatte doch vorher keine Möglichkeit...", murmelte Mats und tippte irgendwas auf seinem Handy. "Außerdem konnte ich nicht ahnen, dass das alles doch irgendwie echt war." Ein Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht. "Ich habe gestern wohl ein paar Hochzeitsbilder gemacht." Ohne zu fragen entriss Erik ihm sein Handy, woraufhin ich ebenfalls einen Blick auf das Handy erhaschen konnte. Erik scrollte durch einige der Bilder, weswegen ich eigentlich nur im Erdboden versinken wollte. Einige waren noch relativ harmlos: wir hatten uns einfach an der Hand und strahlten uns an, doch mit jedem Bild schien sich unser Verdacht zu verhärten. Es gab einige Bilder von dem Augenblick, als wir uns die Ringe gegenseitig an die Finger steckten, ein Video von unserem Eheversprechen und letztendlich auch ein Bild von dem Hochzeitskuss. Das durfte doch nicht wahr sein!

"Wie sind wir überhaupt an die Ringe gekommen?", fragte Erik verwirrt und überreichte Mats das Handy. Dieser konnte allerdings nur mit seinen Schultern zucken.

"Ich weiß nicht mal mehr, wie wir in diese Kirche kamen und wieso euch da ein Pfarrer getraut hat, obwohl ihr unübersehbar ziemlich dicht wart." Seufzend strich ich mir eine Strähne, die aus meinem Pferdeschwanz gefallen war, hinter mein Ohr und versuchte mich an irgendwas zu erinnern, aber da war nichts. Absolut gar nichts. Selbst nach den Bildern machte es nicht Klick. Ich konnte mich einfach nicht an diese Zeremonie erinnern, geschweige denn an das, was danach geschehen war.

"Becca, mir ist es, wie gesagt, nicht ganz so wichtig, dass wir das Problem jetzt direkt angehen." Erik griff in seine Hosentasche und steckte sich seinen Ring wieder an die Hand. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. "Was auch immer dein Plan ist: du kannst auf mich zählen."

***

Panik durchströmte meinen Körper, als die Stockwerke bis zu der Wohnung meiner Großeltern, meiner Eltern und mir immer weniger wurden. Erik und Mats warteten unten auf mich, ich wollte das mit meinem Vater, wenn er überhaupt da war, alleine klären.
Meine Absätze ließen einen nervtötenden Ton durch die Halle schallen, bis ich vor der bekannten Tür stehen blieb. Jetzt zählte es. Ich musste meinem Vater die Wahrheit sagen. Schneller als gedacht sprang das Schloss auf und ließ mich in die Wohnung treten. Mit einem lauten Knall fiel die Tür wieder in ihr Schloss. "Dad?" Meine Schlüssel fanden auf der Kommode neben der Tür platz, während ich meine Tasche auf den Boden rutschen ließ. "Bist du da?"

Gerade, als ich mich selbst auf die Suche nach ihm machen wollte, ertönte die bekannte Stimme. "Büro!"

Ich seufzte, hätte liebend gerne einen Rückzieher gemacht, wusste aber, dass ich das meinem Vater nun schuldig war. Mit schneller Schritten huschte ich durch das Wohnzimmer in einen weiteren, kleinen Flur und trat durch die weit geöffnete Tür. Der Anblick, den ich hier vorfand, ließ einen Klos in meinem Hals bilden. Mein Vater saß, ziemlich gestresst, vor Unterlagen, um die sich eigentlich meine Mutter kümmern sollte. Immerhin gehörte ihren Eltern dieses Hotel. Sie war die nächste Erbin, nicht mein Vater. "Hast du- uhm... Kurz Zeit?"

"Wie lang ist kurz?"

"Doch schon etwas länger... Ich muss mit dir über etwas reden... Über Mom." Die letzten Worte waren eher ein Flüstern, dennoch wusste ich, dass er sie gehört hatte. Er drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl zu mir um, woraufhin mir sofort die dunklen Augenringe auffielen. Ich fragte mich plötzlich, wann er das letzte Mal schlaf gefunden hatte.

"Wo seid Erik und du gestern Abend gewesen?" Ich zuckte zusammen, hatte nicht damit gerechnet, dass er sich noch daran erinnerte. Es schien fast so, als hatte er sich Sorgen um mich gemacht.

"Bei einem seiner Freunde. Ich hätte gerne angerufen, aber hatte irgendwie keine Zeit. Die zwei sind zusammen wie kleine Kinder, auf die man aufpassen muss.", log ich und grinste, um das alles noch glaubwürdiger zu machen. "Aber darum geht es jetzt nicht. Ich muss mit dir wirklich über Mom reden... Sie- also, ich habe sie vorhin gesehen..." Ich musste schlucken, der Gedanke daran, wie sehr ich ihm gleich weh tun musste, verschlug mir fast die Sprache. Obwohl er sich kaum um mich kümmerte, war er immerhin noch mein Vater. "Drüben. In einem anderen Hotel. Nicht weit von hier."

"Worauf willst du hinaus, Kind?" Er hatte seinen Kopf leicht schief gelegt und eine Augenbraue hoch gezogen. "Sie kann doch ruhig mal in einem anderen Hotel vorbeischauen."

"Ja, das kann sie." Ich nickte. "Aber nicht, wenn sie sich dort um ihre zweite Familie kümmert.", flüsterte ich und konnte beobachten, wie jegliche Mimik aus dem Gesicht meines Vaters verschwand.

23/09/2015

MarriedWhere stories live. Discover now