Kapitel 3

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"Dreh dich zu mir um!", forderte Abigail. An diesem Tag mussten Mary, Jane und ich mit ihr Kleider für den in fünf Tagen stattfindenden Ball kaufen. Ich bereute es zutiefst, mich an diesem Morgen nicht krank gestellt zu haben, denn so hätte ich einen ganzen Tag alleine in meinem Zimmer verbringen und in Trauer versinken können. Ich hielt es für eine dumme Idee, in solch schweren Tagen einen Ball zu besuchen, jedoch konnte ich Abigail wohl kaum widersprechen und somit einen neuen Streit anzetteln.
Wir befanden uns erst im zweiten Geschäft des Warenhauses und ich hatte schon keine Lust mehr. Dieser Nachmittag würde sehr lang werden...
Abigail hatte mich in ein rosafarbenes Durcheinander aus Tüll gezwängt, in dem ich mich überhaupt nicht wohl fühlte. Ich drehte mich langsam zu ihr um und Jane bekam wegen meines verzweifelten Gesichtsausdruckes einen heftigen Lachanfall. Sie musste sogar vor die Ladentür gehen, damit sie sich wieder beruhigen konnte. "Fabelhaft!", quietschte Abigail. Ich fand es ganz und gar nicht fabelhaft, sondern grausam! Ich mochte es lieber, ganz einfache Kleider, in denen ich mich wohl fühlte, zu tragen, und keine grässlichen Dinger wie dieses. Abigail musterte mich prüfend von oben bis unten. "Schade nur, dass rosa nicht deine Farbe ist.", sagte sie kopfschüttelnd. "Zieh es aus und warte in der Umkleidekabine, ich habe da noch ein Kleid entdeckt, das du unbedingt anprobieren musst!", sagte sie motiviert, schubste mich in die Kabine und zog den Vorhang zu. So gut gelaunt hatte ich Abigail noch nie zuvor erlebt. Ich schälte mich aus diesem abscheulichen Kleid und wartete, bis sie mit einer neuen Grausamkeit zurückkehrte. Es dauerte nicht lange, da steckte sie ihre Hand hinein, in der sie ein cremefarbenes Etwas hielt. "Hier, probiere das hier an!", sagte sie eifrig und ich nahm ihr dieses hässliche Ding aus der Hand. Dieses Kleid war überhaupt nicht mein Geschmack. Das einzige, was mir daran gefiel, war, dass es ein etwas schmaleres Kleid war, denn ich mochte aufgeplusterte überhaupt nicht. Gegen meinen Willen zog ich es an und schritt lustlos aus der Umkleidekabine. Abigail sah mich staunend an, als ob sie gerade ein Kunstwerk erschaffen hätte. "Du siehst wunderschön aus! Sieh dich einmal im Spiegel an!", rief sie und wurde dabei missbilligend von anderen Kundinnen gemustert. Ich drehte mich mit geschlossenen Augen zum Spiegel, denn wenn Abigail sagte, ich sehe wunderschön aus, konnte es nur hässlich sein. Langsam öffnete ich sie und staunte: ich erkannte mich in diesem Kleid kaum wieder. Die Puffärmel fielen kaum auf, was ich sehr gut fand. Es saß eng an meiner Taille, jedoch nicht unangenehm eng. Der Rock war relativ einfach gehalten, doch am Ende befanden sich unauffällige Rüschen. Das Kleid stand mir so gut, man hätte glauben können, dass es nur für mich angefertigt worden war. Ich konnte nicht damit aufhören, mich vor dem Spiegel im Kreis zu drehen und mich zu bewundern. "Es sieht bestimmt noch schönes aus, wenn du die passende Kette dazu trägst.", sagte Abigail und legte mir diese um. Die Kette passte perfekt zum Kleid: sie besaß drei Reihen aus ebenfalls cremefarbenen Perlen, die in der Mitte vorne von einem silbernen Schmetterling aus weißen Diamanten zusammengehalten wurden. Ich besaß außer einem Paar Ohrringen, die ich seit ich denken konnte besaß und täglich trug, keinen weiteren Schmuck. Demnach staunte ich nicht schlecht, als ich sah, wie gut mir diese Kette stand. "Die passenden Schuhe und Ohrringe dürfen natürlich auch nicht fehlen.", sagte Abigail, drückte mir ein Paar Ohrringe in die Hand und setzte mir ein Paar Schuhe vor die Füße. Ich betrachtete die Ohrringe während einer längerem Zeit, denn ich fand sie, wie die Kette, wunderschön. Sie waren ebenfalls cremefarben und besaßen die Form einer umgedrehten Jakobsmuschel. Ich zog sie an und probierte zu guter letzt noch die Schuhe an. Sie waren mit weißer Spitze mit Blumenmuster überzogen und besaßen vorne eine Schleife, die ebenfalls aus weißer Spitze war. Wodurch ich diese Schuhe noch mehr liebte,war, dass sie hochhackig waren. Ich betrachtete mich noch einmal mit allem drum und dran im Spiegel und kam nicht mehr aus dem Staunen heraus. Damit wollte ich mich auf dem Ball blicken lassen, in diesem Kleid und keinem anderen. Kein anderes Kleid würde meiner Haarfarbe und meinem Teint so schmeicheln wie dieses. "Ich möchte dieses Kleid!", sagte ich strahlend. "Siehst du, wenn du Motivation zeigst, geht es sehr schnell! Zieh dich um und gib mir die Sachen, ich muss sie ja schließlich bezahlen.", sagte Abigail. Ich ging zurück in die Umkleidekabine, zog meine wunderschönen Ballsachen aus und meine Alltagskleidung wieder an. Ich schritt aus der Kabine und übergab die Sachen, die ich kaufen wollte, Abigail, die fröhlich zur Kasse schritt und sich in die Schlange stellte. "Gefällt dir dein Kleid wirklich oder hast du das nur behauptet, damit wir gehen können?", fragte Mary misstrauisch. "Nein, was dachtest du denn? Es gefällt mir wirklich sehr, wenn ich es anhabe, sieht es bei weitem besser aus, als wenn man es einfach so sieht.", sagte ich stolz. "Nicht selbstverliebt werden, Madame!", sagte Mary kichernd. Ich konnte nicht anders und lachte mit.

Die Zeit läuft ab (#Lichteraward2017)Where stories live. Discover now