1.Teil - 03.Kapitel

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1.Teil - 03.Kapitel

Brief Nr.1

Liebe Aurora,
dies ist jetzt schon der zweite Brief den ich dir schreibe.
Heute habe ich etwas gefunden. Etwas was viele Erinnerungen hervorgebracht hat. Es ist der goldene Ring mit dem grünen Diamanten. Dein Ring. Ich war so geschockt als ich ihn gefunden hatte und habe mich gefragt warum er überhaupt hier ist und dann auch noch in Megans Schatulle. Megan ist meine Stiefmutter und ich kann sie überhaupt nicht ausstehen. Du hättest sie sicherlich auch nicht gemocht, sie ist das absolute Gegenteil von unserer Mum und sie hält mich wie so viele hier für verrückt. Wie ich bereits gesagt habe, hat sich viel verändert seit du weg bist. Zusammen mit ihren Zwillingen Tom und Jerry, haben wir eine neue Familie gegründet. Das denken sie zumindest. Ich hasse diese Familie und ich habe eine so große Wut auf sie alle. Auch unser Haus hat sich verändert. Zwar durfte ich mein kleines Zimmer behalten, doch es sieht nicht mehr so aus wie früher, denn ich bemühe mich um nichts mehr. Noch schlimmer ist, dass Tom und Jerry in deinem Zimmer schlafen und ich es kaum noch wiedererkenne. Ich weiß nicht was aus deinen Sachen geworden sind, vielleicht wurden sie weggeworfen, vielleicht versteckt, wie der Ring. Das meiste aus deinem Zimmer wird wohl auf dem Dachboden sein. Mir wird ja nichts gesagt und über dich gesprochen erst recht nicht.
In den sieben Jahren die du schon weg bist, habe ich dich nur einmal laut erwähnt, doch mir wurde nicht geantwortet. Dad will nicht über dich reden, doch ich denke es liegt daran, dass er es einfach nicht kann. Kannst du dir das vorstellen? Sieben Jahre bist du schon weg, ich muss jede Minute an dich denken, doch mit niemandem spreche ich über dich und werde es wahrscheinlich auch nie tun. Es geht niemanden etwas an und verstehen würden sie mich sowieso nicht. Willst du wissen wie es bis jetzt ohne dich war? Die sieben Jahre die du schon weg bist, weißt du wie die sich anfühlen? Wie Jahre ohne Sommer, Frühling und Herbst. Es gibt nur den kalten Winter, in dem alles still, kalt und traurig ist. Kannst du dir vorstellen, dass ich das ganze erste Jahr lang nicht gesprochen habe? Und dann kam Megan und hat Dad dazu überredet mich zu Pitt zu schicken, meinem Therapeuten. Ich weiß sogar noch wie die erste Stunde mit ihm verlaufen ist, da war ich fast zwölf Jahre alt. Er hat mich ausgefragt, wollte alles wissen, alles tun um mein Schweigen zu brechen. Weißt du was ich gemacht habe? Ich habe ihm das Gesicht zerkratzt, ihn an den Haaren gezogen und so laut geschrieen wie noch nie. Selbstverständlich hielten mich ab dem Tag alle für verrückt und ich durfte nicht mehr ohne Megan oder meinem Dad zu Pitt. Heute geht es eigentlich, auch wenn ich ihn immer noch nicht mag, aber ich denke nicht, dass ich ihm ein zweites Mal das Gesicht zerkratzen werde. Es ist überhaupt ein Wunder, dass er mich danach als Patientin noch behalten hat. Wahrscheinlich sieht er mich als eigene Herausforderung. Das macht mir Angst, weshalb ich auch nicht mehr jede Frage beantworte. Über die Jahre wurde ich dann auch gegenüber den anderen gesprächiger, doch Wut, Hass und Trauer blieben. Noch heute muss ich mich manchmal in den Schlaf weinen, oder komm überhaupt nicht zu Schlaf, weshalb ich auch mit 14 diese Tabletten gegen Depressionen verschrieben bekommen habe, die ich aber schon lange nicht mehr schlucke.
Du merkst sicher, dass ich ohne dich nicht ich bin und auch nicht mehr weiß wer ich mal war. Es ist als hättest du meine Seele mit dir in den Himmel genommen. Jetzt bin ich nur noch ein eisiger Klumpen, der auf der Erde versucht sein Leben irgendwie hinter sich zu bringen. Ich kann nicht anders als es zuzugeben. Ich habe keine Freunde, keinen der mich versteht. Ich bin alleine und es fühlt sich schrecklich und richtig zugleich an.
Doch als ich heute den Ring gefunden habe, stieg Hoffnung in mir auf. Doch was sollte das für eine Hoffnung sein? Es wird niemals Hoffnung für mich geben und ich frage mich jeden Tag, ob ich irgendwann einmal über dich hinwegkommen und glücklich sein werde.

Es ist sehr unwahrscheinlich.

Ich liebe dich.

Deine Evelyn


Erneut rieb ich mir mit den Händen über die Augen, im Versuch wacher zu werden, während ich mich nebenbei im Schneckentempo anzog. Es würde mich nicht wundern, wenn ich heute zu spät zur Schule kommen würde. Dabei war ich sonst sogar immer eine der Ersten, die im Klassenraum saß.

(The) ReturnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt