Sonnenlicht

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Sonnenlicht

Ein lautes Piepsen reißt Teri aus dem Schlaf. Er blinzelt ungehalten und will die Augen gleich wieder schließen. Er ist noch viel zu müde, um schon aufzuwachen. Aber Siva lässt nicht locker.
«Teri, du Langschläfer, wach auf! Du wolltest heute mit mir ausfliegen, erinnerst du dich?»
Teri erinnert sich, allerdings klingt die Idee heute Morgen nicht mehr so verlockend. Er hat noch viel zu wenig Schlaf bekommen und außerdem ist es in seiner Spalte gerade sehr gemütlich. Ausgerechnet in diesem Moment kommt ihm Sivas Beschreibung der Schmetterlinge in den Sinn, die von Blume zu Blume tanzen. Hmm, vielleicht lohnt es sich doch aufzustehen? Langsam kriecht er aus seiner Spalte. Obwohl es Tag ist, ist es auf dem Dachboden dämmrig. Das einzige kleine Fenster ist verstaubt. Zudem lässt die Blätterkrone der großen Eiche vor dem Haus nur wenig Tageslicht bis in den Dachboden dringen. Teri hängt sich an den Dachbalken und sieht sich um. Hier drin mag es etwas heller sein, sonst sieht aber alles aus wie immer. Mara sitzt in ihrem Netz und ist damit beschäftigt, eine frisch gefangene Fliege in ihre Fäden einzuspinnen.
«Guten Morgen, Teri! Du willst heute also tatsächlich mitten am Tag ausfliegen?»
«Ja, ich werde Siva begleiten und mir endlich die Sonne und die Blumen ansehen.»
«Pass gut auf dich auf, der Tag bietet für dich möglicherweise Gefahren, vor denen du dich in Acht nehmen solltest. Bleib immer bei Siva und sag ihr, wenn sie dich hierher zurückbegleiten soll!»
«Komm schon, Mara, ich bin keine Babyfledermaus mehr. Ich kann auf mich aufpassen. In der Nacht bin ich ja auch allein unterwegs. Lass uns aufbrechen, Siva. Bis heute Abend, Mara!»
Die beiden Freunde starten gleichzeitig und fliegen durch das halb geöffnete Fenster hinaus ins Freie. Wie immer verlässt Teri sich mehr auf seine Ortungsschreie und sein gutes Gehör. Deshalb fällt ihm das grelle Licht im ersten Moment gar nicht auf. Erst als sie den Schatten der Eiche verlassen, muss er geblendet seine lichtempfindlichen Augen schließen. Siva bemerkt, dass mit ihrem Freund etwas nicht in Ordnung ist.
«Teri? Was ist mit dir los? Du siehst aus, als hättest du etwas Verdorbenes gegessen!»
«Mit meinem Magen hat das nichts zu tun. Aber meine Augen schmerzen. Hier ist es viel zu hell!»
«Zu hell? Am Tag ist es immer hell. Heute nicht besonders, weil Wolken die Sonne verdecken. Warte nur, bis sie durch ein Loch hindurchscheint. Dann wird es erst richtig hell!»
Teri fragt sich, ob dieser Tagesausflug wirklich eine gute Idee war. Aber so schnell gibt er nicht auf. Er blinzelt, bis er sich endlich besser an die Helligkeit gewöhnt, und folgt Siva, so gut er kann.
«Wohin fliegen wir?»
«Hinüber zur großen Wiese beim Wald. Du wolltest doch Blumen und Schmetterlinge sehen!»
Das ist Teri recht. Er verrät seiner Freundin aber nicht, dass das viele Licht ihn verwirrt und er die Augen schließen muss, um die Orientierung nicht zu verlieren. Zum Glück erzählt Siva eifrig von all den Wundern, die sie ihm zeigen will. So kann er sich an ihrer Stimme und am Geräusch ihrer Flügel orientieren. Siva will unbedingt ihr Versprechen Teri gegenüber halten. Deshalb verschweigt sie, dass sie absichtlich weiter wegfliegt, damit sie nicht zufällig anderen Schwalben begegnen. Falls ihre Eltern oder Brüder sie erwischen, werden sie ihr diesen Ausflug bestimmt verbieten.
Bald erreichen sie eine große, offene Wiese, die von eine Hecke eingefasst ist. Siva lässt sich auf dem Ast eines Schwarzdorns nieder und Teri hängt sich neben sie. Bewundernd betrachtet er die zahllosen verschiedenen Farben der Blumen. Siva nennt ihm ihre Namen, aber es sind so viele, dass er sich nicht alle merken kann. Am besten gefallen ihm der rote Mohn und die blauen Kornblumen. Allerdings erkennt er sie vor allem als farbige Flecken. Siva weist ihn auf einen Schmetterling hin, aber Teri sieht nicht viel mehr als eine flüchtige Bewegung. Er schwingt sich in die Luft und versucht das seltsame Insekt zu verfolgen. Er will es sich unbedingt genauer ansehen. Mit seinem Ortungssystem gelingt es ihm, der unregelmäßigen Flugbahn des Schmetterlings zu folgen. Aus der Nähe erkennt Terri, dass er gelb und schwarz gemustert ist. Die hinteren Flügel besitzen blaue Ränder und rote Punkte. Siva erklärt, das sei ein Schwalbenschwanz. Aber schon bald muss Teri seine überanstrengten Augen wieder schließen. Siva bemerkt davon nichts. Sie fliegt voraus und ruft ihm zu, sich zu beeilen: Sie will ihm noch vieles zeigen. Da geben die Wolken plötzlich die Sonne frei. Ihre warmen Strahlen fallen auf die Wiese, die Schwalbe und die kleine Fledermaus. Siva begrüßt die Sonne freudig. Für Teri ist dieses zusätzliche Licht endgültig zu viel. Erschrocken kneift er die Augenlider zu und flattert verstört und orientierungslos davon. Siva bemerkt sein Problem zu spät. Sie versucht, ihm zu folgen. Aber sie verliert ihren Freund aus den Augen, als er sich vor der Sonne in die dichten Zweige einer Tanne am Wiesenrand flüchtet.

Teri und SivaWhere stories live. Discover now