Herbst

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Pünktlich um acht Uhr abends, eingehüllt in ihrer Wolke der Befriedigung, ging sie zu einem Café in einer Seitengasse, und der Mond schien schon hell und weiß am Himmelszelt, die Sterne umspielten seine Schönheit. Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich im trüben Wasser der Kanäle, und das Lachen einiger Menschen malte ein zaghaftes, zufriedenes Lächeln auf ihren rosa Lippen.

So spazierte sie die Gasse entlang; ihre Mundwinkel waren immer nach oben geneigt, und sie hüpfte fröhlich auf dem Weg zu dem Treffpunkt. Denn es war einfacher jemanden zu lieben, ehe dieser glücklich war, als jemanden zu lieben, der verlassen auf einer Bank saß.
Sie wollte den eintönigen Horror im Dorf vergessen, sie wollte all das dort lassen, sie lebte für den Moment, sie wollte alles zu Staub der Vergangenheit machen, es war ihr Geist im Hintergrund ihres Kopfes der sprach, es war ihre Seele.

Denn der Sonnenschein, das Mondlicht ist für jeden, es erinnert sich an alles - so erinnert es sich heute noch an diese Nacht, an diesen Sturm, an den schwarzen Schmetterling. Oh, wäre Lizia doch nur gegangen, würde sie nur noch jemand zurückhalten!
Aber es tat niemand, und so stand sie auf einem Plaza, etwas abgelegen von dem Zentrum der Stadt, und sah ihn dort alleine an einem Tisch, und der Kaffee in seinen Händen dampfte. Sie zögerte einen Augenblick, und fragte sich, ob sie gehen solle? Er war der schöne Schmetterling, doch sie sah seine schwarze Farbe nicht, sie sah nur seine Form und das Gefühl der Sucht in sich.

Sie ging einen Schritt geradeaus, und wäre beinahe über den holprigen Steinboden gestolpert. Lucas Finger zuckten immer wieder, genauso, wie seine Augenbrauen, aber das machte ihn für sie keineswegs hässlicher. Im Gegenteil, Liebe heißt nämlich, alle Imperfektionen und Makel zu akzeptieren, und genauso tat sie es.

Ein Fuß ging noch einen Schritt vorwärts, und ihr Herz raste wie berauscht, ihre Wangen taten weh von dem Grinsen, und dennoch, sie ignorierte es, und fuhr fort.
Lizia vernahm ein Geräusch hinter sich; ein schneller Schritt, als sie nur noch zehn Meter entfernt war. Das Gefühl war aber überragend, es war viel zu stark, als dass sie stehen bleiben würde, und zurückkehren würde - sie wollte nicht hier sein ohne ihn, er war diese ganze Vollkommenheit der Schönheit.

Sie hatte gedacht, es würde nicht geschehen. Sie hatte gedacht, das gäbe es nur in ihrer persönlichen Hölle. Jedoch, der Wind blies auf, und sie wusste, etwas war falsch. Und sie sah auch, was.

Stockend hörte ihr Herz fast auf, zu klopfen, als eine Frau eilend um sie herumging, und sich zu ihm setzte.
Eine hübsche Frau, wogende, wellige blonde Haare, groß, eine weibliche Figur und blitzende grüne Augen.
Lizia blieb mitten auf der Straße stehen, denn sie sah seine Reaktion. Er hatte sie erwartet. Er war nie in ihrem Besitz, und das brach ihr Herz auf eine noch schrecklichere, törichtere Art. Sie sah nach so viel aus; nach einer griechischen Göttin, mit ihren vollen, roten Lippen und den dichten Wimpern, mit denen sie verführerisch klimperte, als er ihre Hand nahm, und diese küsste.

Alles war so still, aber die Frau löste einen Sturm in Lizia aus, ein Chaos, alle Gefühle schrien nach Hilfe, und keine Eifersucht überkam sie, sondern etwas, was man nicht in Worte fassen möge. Und sie wusste, sie war tatsächlich vollkommen in ihn verliebt, denn man gab Menschen, die man nicht liebte, nicht die Fähigkeit, dein Herz so intensiv zu brechen.
Ihre komplette Fassade brach, dort, unter dem schwachen Licht der Straßenlaterne, ihre grauen Augen fixiert auf die Blondine, die mit all ihren Reizen spielte, und es widerte Lizia an.
In ihr rangen Trauer und Glück um die Wette, als sie ihn ansah; zwei Begriffe, komplett gegenseitig, und doch glichen sie sich in der Art, was sie mit einem Menschen anstellen konnten. Und plötzlich bemerkte Lizia, wie sehr ihr Fuß wegen den Blasen wehtat, wie sehr ihre Arme juckten, und wie sehr ihr Herz schmerzte.

Ich glaube, fuhr es sie durch den Kopf, letztendlich war ich dazu gemacht, verletzt zu werden. Belogen wurde sie nicht; Luca hatte ihr nichts versprochen, nicht gelogen. Er hatte nichts gesagt, und eine Träne lief über ihre bleiche  Wange, die Sekunden zuvor noch eine zarte Röte vorzeigten. Sie glaubte, das schlimmste am Verlieren sei nicht das auf Wiedersehen, sondern dieser leere Platz in ihrem Leben, den niemand einnehme. Dieses Gefühl würde kein anderer ihr geben. Und die Tränen strömten, Lizia lief davon, die beiden merkten nichts.

Als sie am Kanal ankam, würgte sie heftig, während sie zittrig und nass ihren Bauch umklammerte, und auf den Knien lag. Ihre einst so schönen braunen Haare waren durchzogen von ihrem Erbrochenen, sie fühlte nichts mehr, nichts. Ihr Herz war gebrochen, aber das Herz war die Quelle aller Emotionen; also fühlte sie nichts, nur diese unfassbar einsame Leere.
Hätte sie einen Stift dabei gehabt, hätte sie einen Roman über diesen Schmerz schreiben können - auch wenn es schwer war, es in Worte zu fassen.

Lizia umklammerte verzweifelt einen Stein in ihrer Nähe, denn nichts tat mehr weh als es so hart zu versuchen, aber einfach nicht gut genug zu sein. Von jemand anderem ersetzt zu werden. Von jemandem, der viel schöner ist als du. Und sie dachte, einsam und alleine, niemand war in ihrer Nähe, so auf dem Wege brach sie ihr eigenes Herz. Es war ihre Schuld, sich in ihn verliebt zu haben; aber warum musste er denn vorbeikommen? Warum wählen wir immer die Menschen, die uns behandeln, als wären wir nichts? Weil wir die Liebe akzeptieren, die wir denken, uns zurecht steht.

Und sie sprach es selbst aus. Schicksal. Luca war der schwarze Schmetterling, sein Erscheinen war ihr Urteil. Was für ein Urteil?
Lizia wollte in dem Wissen, dass niemand sie lieben könne, nicht leben. Sie verstand es nicht; lag es an ihrem Aussehen? An ihrer Eintönigkeit? An ihren fehlenden Reizen?
Ein letztes Mal lächelte sie, dann nahm sie den Stein, und hievte ihn in das trübe Wasser, während sie sich daran festhielt. Wie sollte sie sich verabschieden, wenn sie nicht auf Wiedersehen gesagt haben?

Und die Luft entwich ihren Lungen... Ihren grauen Augen wurde die Sicht genommen, alles war grün und trüb, stank und schmerzte... Sie sank und sank, niemand würde sich um ihr Fehlen kümmern; was hinterließ sie in dieser Welt? Nichts.
Sie dachte über die schönen Momente in ihrem Leben nach, aber es gab keine. Alles war nur eine Illusion, sie musste sterben. Ihre Lunge stockte, sie japste nach Luft, aber hielt sich an dem Fels fest, sie konnte nicht einmal die Oberfläche erkennen... Und es war viel zu spät, da jagte ein letzter Gedanke durch ihren Kopf.
Ich will an den Frühling glauben.
Und wie die einst so bunt gefärbten, roten und goldenen Blätter im Herbst, bemerkte auch Lizia, das es etwas Schönes in allem gab - jedoch starb sie so kläglich und traurig wie ein Blatt im Wind, dessen Schicksal es war, zu welken.

Dies hieße aber nicht, dass der Frühling nicht komme.

"Langsam und sicher die Farbe wich
Dort unten am Grunde des Meeres
Aus meinem unscheinbaren Gesicht
Und wurde ersetzt durch Leeres

Ich will an die Hoffnung glauben, ich tu' es auch
Doch die Praxis ist ein wenig schwer
Da ich noch etwas Zeit brauch
Aber die habe ich nicht mehr

Ich kann sie nicht zurücknehmen
Meine Entscheidung ist gefallen
Ist's als würd' mich jemand lähmen
Und seine Stimme in mir hallen

Meine Lungen gieren nach Luft
Das Wasser ist trüb und kalt
Eingeschlossen in einer Gruft
Es gibt keinen Halt

Dunkel, einsam und verlassen
Ich seh' kein grün und auch kein rot
Meine Haut ist am verblassen
Mein Leben zu Ende, ich bin tot."

HerbstWhere stories live. Discover now