Part 2

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Fassungslos bleibe ich vor dem gigantischen Schloss stehen, das vor Prunk und Reichtum nur so strotzt. Zwei steinerne Löwen recken ihre Mähne links und rechts der überdimensionalen Eingangspforte dem Himmel entgegen und lenken meinen Blick auf die hohen, verzierten Gemäuer des Gebäudes. Die Dunklen Backsteine umrahmen die Fenster wie schwarzer Kajal, und wie von einem Paar Augen fühle ich mich von den Fenstern beobachtet. Ich komme mir vor, als wäre ich in einem anderen Jahrhundert gelandet und schaue vorsichtshalber noch einmal auf mein Smartphone, auf dem ich vor meiner Abreise eine Navigations-App installiert hatte. Dies ist zweifellos das Luisen-Gymnasium in Kiel. Es ist Mittag und die Sonne hat die Luft so erhitzt, dass ich mir wie in einem Ofen vorkomme. Zögerlich gehe ich ein paar Schritte über das grobe Kopfsteinpflaster und ziehe meinen Koffer hinter mir her, der sich plötzlich anfühlt, als würde er Tonnen wiegen. An den Löwen vorbei, durch die Eingangspforte hindurch, lande ich in einem hübschen Innenhof, in dessen Ecken sich weiß und rot blühende Rosen ihren Weg an den Mauern entlang nach oben suchen. Es stehen vereinzelt Bänke auf der Rasenfläche, die sich in der Mitte des Hofes befindet. Gerade will ich mich zum Gehen wenden, da hier wirklich kein Mensch draußen ist, da öffnet sich eine Tür und eine adrett gekleidete Frau, die ich auf Mitte dreißig schätze, eilt auf mich zu.

Ich habe, obwohl ich am liebsten weglaufen würde, beschlossen, wenigstens zu versuchen, mich hier einzuleben, also setze ich mein herzlichstes Lächeln auf und gehe mit langsamen Schritten der Frau entgegen.

„Du musst auch eine der Neuankömmlinge sein, habe ich recht? Wir sind schon alle in der Aula, gleich beginnt die Begrüßung für die Neuen! Komm, ich zeig dir, wo du hin musst", ruft sie mir freudig zu, noch ehe sie mich überhaupt erreicht hat.

„Ach", sie klatscht in die Hände, „ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen! Mein Name ist Julia, du kannst mich ruhig duzen. Ich bin hier die Vertrauenslehrerin, also falls du mal Probleme hast, kannst du damit zu mir kommen und mir dein Herz ausschütten."

Julia unterbricht ihren Redefluss erst, als wir die Aula erreichen und sie mir zeigt, wo ich meinen Koffer abstellen kann. Doch kaum habe ich die Aula betreten, richten sich geschätzt siebzig Augenpaare auf mich und mustern mich abschätzig. Es wird getuschelt und ein Blick mit dem Sitznachbarn ausgetauscht, und in mir macht sich ein mulmiges Gefühl breit. Dann sehe ich, was ihr Grund ist, zu Flüstern – meine Kleidung. Hier tragen die Jungen Jeans oder Cordhosen und Pullunder, die Mädchen Blusen und Röcke. Ich dagegen hatte mich heute morgen für Hot Pens, ein weißes Top und geöffnetes Holzfällerhemd entschieden. Für mich ist das ganz normale Alltagskleidung, doch hier war ich wohl in einer Schule für Snobs gelandet.

Ich versuche, die anderen Schüler zu ignorieren, während ich mir einen freien Platz suche und mich erschöpft niederlasse. Rechts von mir sitzt ein blonder Junge mit Hornbrille, der sofort beschämt zu Boden schaut, als ich ihn taxiere. An meiner linken Seite sitzt ein schwarzhaariges Mädchen, das zuerst zögert, doch mir dann seine Hand hinhält.

„Hey. Ich bin Aline", sagt sie leise, weil ein älterer Mann gerade die improvisierte Bühne betritt und an das Mikofon klopft, das daraufhin einen ohrenbetäubenden Ton von sich gibt.

„Mara", erwidere ich, ergreife ihre Hand, aber wende mich dann wieder nach vorne. Momentan bin ich noch nicht bereit, mich mit Menschen anzufreunden, das wird erst einmal warten müssen, bis ich mich mit dieser neuen Situation hier abgefunden hatte.

„Guten Tag, ihr Lieben!", klingt plötzlich eine tiefe, warme Stimme durch den Raum. Der Mann auf dem Podest hatte angefangen, zu sprechen.

„Ich begrüße euch große und kleine Neulinge hier im Luisen-Gymnasium und Internat! Ich hoffe, ihr hattet eine angenehme Anreise. Wie ihr vielleicht wisst, bin ich der Direktor dieser Schule. Mein Name ist Johann von Arthental und ich bin seit vierzig Jahren der Leiter dieser Einrichtung. Das Luisen-Gymnasium ist eine Eliteschule, die Beste in ganz Deutschland. Viele wichtige Persönlichkeiten der Geschichte haben ihren Abschluss hier gemacht und ich hoffe, ihr habt den Ehrgeiz und das Ziel, ebenfalls etwas Großes aus euch zu machen.

Also, genießt eure Zeit hier, aber denkt auch daran, dass das Lernen an einer Eliteschule kein Zuckerschlecken ist.

Ich übergebe nun das Wort an unseren Schülersprecher Vincent."

Applaus brandet auf und ich klatsche automatisch mit. Bis der angekündigte Schülersprecher auf die Bühne tritt.

„Vincents Vater ist der Hauptinvestor der Schule, hab ich gehört. Deshalb ist Vincent Schülersprecher geworden", flüstert ein Junge vor mir.

Eine Mädchenstimme hinter mir meint: „Vincent hatte noch nie eine feste Freundin. Dabei wär ich es so gerne..."

Und ich sehe nur: einen großen, selbstbewussten Jungen, dessen schwarze Haare ihm störrisch in die Augen fallen. Er trägt eine schwarze Jeans und -anders als die meisten hier- ein blütenweißes Hemd, die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt. Selbst aus der Entfernung kann ich die Intensität spüren, mit der sein Blick über die Menge gleitet. An seinem Handgelenk hängen verschiedene Lederarmbänder und um seinen Hals trägt er einen metallischen Anhänger.

Als er anfängt zu sprechen, halte ich automatisch die Luft an.

Nicht, weil ich wie die anderen Schülerinnen meine Seele an ihn verkaufen würde – nein, ich bin überwältigt von der Präsenz, mit der er den Raum einnimmt. Jedes Atom, das sich hier befindet, scheint unter seiner Stimme zu erzittern und bedingungslos zu kapitulieren.

„Einige von euch kennen mich, ich heiße Vincent van Eick und bin hier an der Schule Schülersprecher. Im Vorraus will ich euch schon mal darauf aufmerksam machen, dass eine Schule ein Ort zum Lernen ist und andere Aktivitäten wie Rauchen, der Konsum von Alkohol und Sex nicht geduldet wird. Wer sich den Regeln widersetzt, wird mit sofortiger Wirkung vom Unterricht ausgeschlossen oder bekommt einen Verweis. Wer drei Verweise gesammelt hat, fliegt.

Um Problemen vorzubeugen, gibt es eine Kleidungsvorschrift, die jeder einzuhalten hat. Die Schuluniformen sind in jedem Zimmer bereitgelegt und müssen getragen werden. Andere Kleidung wird nicht akzeptiert. Alle Schüler wurden zu zweit auf Zimmer aufgeteilt, ich werde euch durch das Haus führen und zurechtweisen, euren Stundenplan findet ihr ebenfalls auf eurem Zimmer. Noch Fragen?"

Okay, ich korrigiere meine Aussage von vorhin. Ich würde nicht nur nicht meine Seele an ihn verkaufen wollen, sondern ihm seine -wenn überhaupt vorhanden- rausreißen.

Mal abgesehen davon, dass ich garantiert keine Schuluniform anziehen werde (wenn ich schon daran denke, kommt mir mein Mittagessen wieder hoch), wieso können wir nicht unsere normale Kleidung behalten, er darf aber ohne Uniform herumspazieren?

Das ist doch unfair hoch zehn! Und sein Ton! Anfangs war ich zu fasziniert von seinem Selbstbewusstsein, doch jetzt weiß ich, was das wirklich ist. Arroganz. Arroganz, Hochnäsigkeit und die Sicherheit, mit der er annimmt, jede Person im Raum würde ihm unterlegen sein.

„Falls es keine Fragen mehr gibt, folgt mir."

Wie Überlebe Ich Einen Snob?Where stories live. Discover now