Kapitel 1

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Kann mir mal bitte jemand ein Seil geben, damit ich mich erschießen kann?

Nein, ernsthaft, ich halte es hier keine Minute länger aus!

Auch ohne dass ich mich umdrehe, spüre ich Mutters stechenden Blick in meinem Nacken. Die Art, wie sie mich mustert, und sich dann mit einem leichten Kopfschütteln bei den anderen Gästen entschuldigt, treibt mich zur Weißglut.

Als ob ich ein Freak wäre!

Na ja, wahrscheinlich bin ich das in ihren Augen, schließlich trage ich keine Schickimicki-Designerfetzen wie sie. Mir ist nicht entgangen, wie sie mit Argusaugen meine Klamotten nach einem bekannten Label wie Esprit oder Gucci gescannt hat, als ich vorhin angekommen bin und sie mich in eine halbherzige Umarmung gezogen hat.

Und dabei sehe ich nicht schäbig aus. Ja, okay, ich hätte vielleicht ein anderes T-Shirt wählen sollen - auf dem jetzigen steht groß »Save the Unicorns« und darunter ist ein Einhorn abgebildet - aber hey, ein bisschen Spaß muss doch auch mal sein! Bluejeans und Sneaker runden mein Outfit ab. Ich habe mich sogar dazu durchgerungen, einen schwarzen Blazer über mein Shirt zu ziehen, um nicht ganz aus der Reihe zu tanzen.

Aber auch das weiß meine Mutter nicht zu würdigen.

Also stehe ich nun hier an der Wand gelehnt, nippe an meinem Glas mit irgendeinem Punsch und beobachte das Treiben um mich herum über den Rand meiner schwarzen Nerdbrille hinweg.

Ich werde mich nie an diese Partys gewöhnen, bei denen sich diese Snobs selbst und ihr vieles Geld feiern, das sie auf irgendwelcher Schweizer Bankkonten oder auf den Cayman Inseln horten. Doch als einziges Kind der berühmten Familie Porter bin ich dazu gezwungen, teilzunehmen oder mich wenigstens einmal kurz blicken zu lassen, so wie auch diesen Abend. Allerdings ist »kurz« bei mir ein sehr eng gefasster Begriff, denn länger als maximal eine Stunde halte ich es hier sowieso nicht aus, ohne eine taktlose Bemerkung von mir zu geben.

»Vielleicht triffst du ja hier deinen Traummann«, hat Mutter mir oft vorgeschwärmt. Es würden sich ja nur ganz ausgewählte Leute in ihren Kreisen bewegen - die Crème de la Crème sozusagen.

Ja, klar, wenn ich einen Kerl mit einem Stock im Arsch möchte, komme ich sicher hierher. Seine größten Sorgen wären doch, ob seine Krawatte zu fest sitzt oder ob er die einfarbigen oder gestreiften Strümpfe zu seinem maßgeschneiderten Armani-Anzug anziehen soll.

Allein bei dem Gedanken erschaudere ich. Nein, hier würde ich garantiert niemanden finden. Wenn ich mich darauf verlassen würde, hier meinem Traummann zu begegnen, würde ich als alte Jungfer enden.

Ich weiß, dass sich meine Eltern langsam Sorgen um mich machen. Von meinem letzten richtigen Freund habe ich mich vor fünf Jahren getrennt. Seitdem gab es nur eher flüchtige Bekanntschaften.

Und den Vibrator in meiner Nachttischschublade, den ich Ben getauft habe.

Meine Gedanken schweifen ab, als ich dem langweiligen Geplänkel zusehe, das sich Party nennt, und ich gehe im Kopf das verlorene Spiel von vorhin durch. Ich merke, wie meine Finger beginnen zu zucken, und beinahe verschütte ich etwas Punsch. Sobald ich ans Zocken denke, entwickeln meine Finger eine Art Eigenleben, indem sie wichtige Tastenkombinationen wieder und wieder abspielen.

Warum muss ich auch gerade heute auf dieser Party festhängen? Eigentlich muss ich trainieren, um noch die letzten beiden zu schlagen, die auf der Weltrangliste vor mir stehen, und ich muss dafür sorgen, dass die, die nach mir kommen, niemals eine Chance gegen mich haben werden. Schließlich habe ich einen Ruf zu verlieren. Meine Finger fühlen sich jetzt schon unterfordert und führen die gewohnten Kombinationen am kühlen Glas aus, während ich im Kopf einige strategische Züge durchgehe, die ich mir für meinen nächsten Wettkampf ausgedacht habe.

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⏰ Last updated: Feb 03, 2016 ⏰

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Nemesis - Hüterin des FeuersWhere stories live. Discover now