C h a p t e r - f i v e

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B a i l e e

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie sich wegen so etwas blödem Sorgen über mich machte. Ich hatte die schlechte Angewohnheit, alles mit mir selbst auszumachen, und Ashley wusste das nur zu gut. Deswegen versuchte sie hartnäckig, mich zum Reden zu bringen, wenn sie das Gefühl hatte, dass mich etwas belastete, damit ich nicht irgendwann explodierte.

Das konnte ziemlich nervig sein, aber zu wissen, dass sich jemand um einen sorgte... das war schon ein schönes Gefühl. Warum ich mich auch nicht wirklich darüber aufregen konnte. „Ich weiß, Ashley. Aber mit mir ist wirklich alles okay. Es ist nur... ich hab heute erfahren, dass Niall eine Freundin hat und bin ein bisschen schlecht drauf deswegen. Das ist alles."

„Oh nein", seufzte sie. „Das tut mir leid, B. Vielleicht wäre es besser, wenn du Heute Abend nicht zu Hause bleibst, sondern mit uns ausgehst. Emily und ich könnten dich ein bisschen aufmuntern. Du weißt schon – zwei Rießenkugeln Eis und so."

Ich lachte leise. „Danke, aber ich glaube, ich bleibe heute wirklich lieber zu Hause."

Nachdem wir aufgelegt hatten, ging ich nach unten in die Küche, wo Dad gerade telefonierte, besser gesagt, in den Hörer schrie. Als ich in der Tür stand, dachte ich eigentlich, er würde mich bemerken und sofort sie Stimme senken. Ich nahm an, dass irgendein Telefonverkäufer gerade von T-Mobile zusammengestaucht wurde, bis ich meinen Namen hörte.

„Ist dir nicht klar, was du Bailee damit antust?" Dad schrie nicht, weil er wütend war, wie ich zuerst gedacht hatte, sondern seine Stimme klang eher verzweifelt. „Das ist nicht gut für ein achtzehnjähriges Mädchen. Sie braucht dich, Gloria. Wir brauchen dich. Hier, bei uns."

Ich verzog mich lautlos ins Wohnzimmer als ich begriff, dass er mit meiner Mutter sprach. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht was ich davon halten sollte. Von den Dingen, die er gesagt hatte. Natürlich vermisste ich Mom, und es wäre schön gewesen, wenn sie zu Hause gewesen wäre. Anderseits waren wir es gewohnt, ohne sie klarzukommen.

Meine Mutter war Persöhnlichkeitstrainerin. Als ich noch klein gewesen war, hatte sie eine Art Ratgeber geschrieben, wie man sein Selbstwertgefühl stärken kann und so etwas. Es hatte sich nicht besonders gut verkauft, trotzdem bekam sie immer noch Einladungen, an Universitäten Vorträge zu halten, und veranstaltete Gruppenseminare und Work-shops. Weil das Buch eher ein Flop gewesen war, war sie nicht gerade teuer.

Am Anfang hatte sie ausschließlich Jobs hier in der Gegend angenommen, damit sie immer nach Hause fahren konnte, nachdem sie anderen Leuten beizubringen versucht hatte, wie sie sich selbst lieben konnten. Dann, als ich zwölf war, starb meine Großmutter und meine Mom wurde ein bisschen depressiv. Dad schlug ihr damals vor, sich eine Auszeit zu nehmen und ein paar Wochen zu verreisen.

Als sie zurückkam, sprudelte sie nur noch vor Energie und erzählte mit leuchtenden Augen von den Orten, an denen sie gewesen war, und von den Leuten, die sie kennengelernt hatte. Von da an hatte sie die Reiselust gepackt, und sie begann, Work-shops und Seminare im ganzen Land abzuhalten. Aber so lange wie dieses Mal – fast zwei Monate – war sie noch nie weg gewesen, und ich wusste nicht einmal, wo sie überhaupt war.

Das war wohl auch der Grund, wieso Dad so sauer auf sie war.

„Verdammt, Gloria. Wann hörst du endlich auf, dich wie ein unreifes Kind zu benehmen, und kommst nach Hause? Wann kommst du zu uns zurück... ich meine, für immer?" Als ich hörte, wie bei den Worten beinahe die Stimme versagte, brach es mir fast das Herz. „Gloria", murmelte er. „Wir lieben dich, Gloria. Bailee und ich vermissen dich. Wir wollen, dass du nach Hause kommst."

Ich drückte mich an die Wand, die Dad und mich trennte, und biss mir auf die Unterlippe. Das war irgendwie ganz schön traurig. Ich meine, warum ließen sie sich verdammt noch mal nicht einfach scheiden? War ich die einzige, die kappierte, dass es zwischen ihnen nicht mehr funktionierte? Was hatte es für einen Sinn, verheiratet zu sein, wenn Mom sowieso nie da war?

„Gloria...", sagte mein Vater, und ich hatte das Gefühl, dass er gleich anfangen würde zu weinen. Dann hörte ich, wie er das Telefon auf die Arbeitsplatte legte. Das Gespräch war beendet.

Ich gab ihm noch ein paar Minuten, bevor ich in die Küche ging. „Hey, Dad, alles okay?"

„Klar", sagte er. Er konnte noch schlechter lügen als ich. „Alles bestens, Maus. Ich habe nur gerade mit deiner Mom telefoniert... und ich soll dir einen Kuss geben, und sagen, dass sie dich lieb hat."

„Und wo steckt sie gerade?"

„Kalifornien", sagt er. „Sie hält dort an einer Highschool einen Vortrag und besucht bei der Gelegenheit deine Tante. Nicht schlecht, oder? Du kannst deinen Freundinn erzählen, dass deine Mutter gerade in O. C., California ist. Du magst die Serie doch, oder?"

„Ja, schon", sagte ich. „Aber sie wurde vor ein paar Jahren abgesetzt."

„Oh, tja, ich bin wohl nicht mehr auf dem Laufenden, Schatz."

Ich sah, wie sein Blick zu der Arbeitsplatte wanderte, wo der Autoschlüssel lag. Als er merkte, dass ich ihn dabei beobachtete, schaute er hastig wieder weg, bevor ich irgendetwas sagen konnte. „Hast du heute Abend noch etwas vor?"

„Na ja, ich weiß noch nicht so genau..." Ich räusperte mich, weil ich nicht wusste, wie ich meinen Satz formulieren sollte. Dad und ich machten nie besonders viele Worte um irgendetwas.

„Ich könnte auch zu Hause bleiben und wir schauen ein bisschen zusammen fern. Was meinst du?"

„Unsinn, Schatz", sagte er und lachte nicht wirklich überzeugend. „Triff dich mit deinen Freundinnen und amüsier dich. Ich wollte heute sowieso ein bisschen früher ins Bett."

Ich sah ihn eine Weile stumm an und hoffte, er würde es sich anders überlegen. Dad war immer furchtbar schlecht drauf, wenn er sich mit Mom gestritten hatte. Ich machte mir Sorgen um ihn, wusste aber nicht, wie ich das Thema ansprechen sollte.

Und dann war noch diese Angst, die in meinem Hinterkopf saß. Eigentlich war es total bescheuert, aber ich konnte nichts dagegen tun. Mein Vater war trockener Alkoholiker. Er hatte mit dem Trinken aufgehört, bevor ich geboren wurde, und seitdem keinen Tropfen mehr angerührt... Aber manchmal, wenn er wegen Mom so fertig war, dann machte mir das Angst. Angst, dass er den Autoschlüssel nehmen und sich irgendwo was zu trinken besorgen würde. Wie schon gesagt, es war bescheuert, aber so ganz wurde ich die Sorge nie los.

Dad wandte den Blick von mir ab und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Dann ging er zum Spülbecken und wusch den Teller ab, von dem er gerade Spaghetti gegessen hatte. Ich hätte ihm den Teller – sein kümmerlicher Versuch, sich abzulenken – am liebsten aus der Hand gerissen und an die Wand gepfeffert. Ich hätte ihm am liebsten gesagt, wie lächerlich ich die ganze Sache mit Mom finde. Ich wollte, dass ihm klar wurde, was für eine Zeitverschwendung diese Auseinandersetzung und das miese Gefühl danach waren. Ich wollte, dass er endlich zugab, dass es nicht funktionierte. Aber das konnte ich natürlich nicht. Ich konnte bloß „Dad" sagen.

Er sah mich an, schüttelte den Kopf und nahm einen tropfenden Spüllappen in die Hand. „Mach dir einen hübschen Abend mit deinen Freundinnen", sagt er. „Im Ernst, Kleines. Du bist nur einmal jung."

„Okay", seufze ich. „Wenn du dir wirklich sicher bist, dann rufe ich jetzt Ashley an."

Ich ging in mein Zimmer hoch, nahm mein Telefon von der Kommode und wählte Ashleys Nummer. Sie ging beim zweiten Klingeln dran. „Hey, Ashley. Ich hab es mir anders überlegt und komme doch mit. Ähm... meinst du, es würde gehen, dass ich heute Nacht bei dir schlafe? Ich erklär dir später, warum. Ich will nur heute lieber nicht zu Hause bleiben."

Ich falte den Stapel Wäsche zusammen, der am Fußende meines Bettes lag, aber es half nicht so wie sonst.

Duff - hast du keine, bist du eineWhere stories live. Discover now