erster Kuss

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Liebes Tagebuch, weisst du was mir heute passiert ist? Heute - es ist der 3. März 2010 - erhielt ich meinen ersten Kuss; er kam plötzlich und unerwartet, wie ein Regenschauer im Sonnenschein. Ausserdem hatte er nach Popcorn geschmeckt. Jeder hat eine andere Auffassung vom ersten Kuss, und auch ich hatte meiner Fantasie freien Lauf gelassen, um mir vorzustellen, wie er ablaufen könnte; zum Beispiel im Riesenrad, wenn wir die höchste Stelle erreichten und es urplötzlich stehen blieb, nach den drei bedeutungsvollen Wörtern, wenn wir uns zuvor in den Armen befanden und uns in die Augen des anderen verloren. Aber nicht so. Schon gar nicht mit einer zehn Minuten Bekanntschaft. Wer erwartet es schon bei einem Baseballspiel mit seinem Dad? Also nimmt euch in Acht vor der Kiss Cam, die nur darauf wartet euch ins Visier nehmen zu können um euch dann bloss zu stellen. Das gleiche gilt für einem Jungen namens Horan. Niall Horan. Blonde Haare, blaue Augen, Ir(r)e - das ist alles was ich von ihm weiss. Oh und ich weiss, dass ich ihn nie wiedersehen werde. Die Chance dafür hält sich in Grenzen -  1 zu 645.966. 

Um acht Uhr in der Früh wurde Renee am gesagten Tag aus dem Bett geworfen. Es gab Frühstück mit Rührei, Speck und Toast und schon fand sie sich im Auto ihres Dads wieder, um viel zu früh vor dem Stadion zu stehen. Der Motor verstummte, genauso wie die Musik, die aus dem Radio gedudelt hatte, um der Stille Konkurrenz zu machen.  

"So da wären wir also", verkündigte Mr. Gilmore und zog den Schlüssel aus der Zündung. 

"Da wären wir, Dad", erwiderte Renee und setzte ein Lächeln auf. Dann öffnete sie die Tür, um heraus springen zu können. Ihr Vater tat das selbe. Mit einem Klick, der durch das Betätigen des Autoschlüssels erklang, verriegelte er seinen schwarzen Jaguar F-Pace. "Ich wette mit dir, die Red Sox werden 4:9 gewinnen", versuchte Renees Dad eine Konversation zu starten und der Schlüssel verschwand in seiner Jackentasche.  

"Um was wetten wir?", antwortete das Mädchen. 

"Entweder ich zahle dir deinen nächsten Shopping-Trip oder ich komme fürs Pizza-Essen bei Salvatore auf." 

Renee harkte nach: "Und was ist nochmal dein Gewinn, Dad?"
Das sie gar nicht so gerne shoppen ging, wie er annahm, verschwieg das Mädchen lieber. Sie besuchte nur wenn nötig die Läden, um neue Kleidungsstücke in ihren Schrank einräumen zu können oder sie bestellte einfach online und das obwohl Renee in einem Raum, der nur so von Klamotten überquall, jobbte.

"Natürlich für unsere Salamipizza mit extra viel Käse", erklärte er seiner Tochter. "Wenn wir zusammen essen gehen."

"Jeder andere hätte jetzt gewettet, dass ich für den Rest meines Lebens mein Zimmer aufräumen müsste", meinte Renee. "Sowas in der Art." Sie schüttelte belustigt den Kopf.

"Aber ich bin nicht so wie jeder andere"

Mit mäßiger Begeisterung steuerte das Mädchen mit ihrem Vater das Stadion an. Das weisse Schild mit der roten Aufschrift Fenway Park machte ihnen klar, dass sie an der richtigen Adresse waren. Ihre grünen Augen fixierten die amerikanische Flagge, die oberhalb des Stadions angebracht war. So bekam sie erst mit, dass Mr. Gilmore ihnen zwei Baseballkappen besorgt hatte, als er ihr eine davon aufsetzte.  

"Danke", sagte Renee und drehte sich diese falsch herum. Sie durchliefen den Schalter und betraten sofort die Tribüne, um sich ihre Plätze zu suchen. Seine Tochter hatte grosse Mühe den dunkelhaarigen Mann mit den selben braun-grünen Augen, zu folgen, auch wenn er noch so riesig war. Sie schwankte durch den Pulk aus Menschen, als befände sie sich auf einem Boot bei hohen Seegang. Renee musste einen Zahn zu legen, wenn sie ihren Dad nicht verlieren wollte.
"Ups", machte sie, als sie jemanden auf den Fuss trat, aber das war wohl nicht von grosser Bedeutung. Es fiel nicht auf, als würde eine Maus über einen Elefanten stolpern. Ausser Puste liess sie sich auf einen der Sitze plumpsen.

Kiss Cam [nh]Where stories live. Discover now