Kapitel 36

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9 Jahre später...

Marahs Sicht:

Ich kritzle auf der Pappe meines Schreibblocks herum und höre dem Unterricht nur halbherzig zu. Ich höre, wie die hinteren Reihen kichern und irgendwelches Zeug in den Raum rufen, aber das ignoriere ich. "Hannah, kannst du das bitte lassen?", seufzt Frau Jackson genervt und sieht nach hinten zu Hannah, die schon wieder irgendwas macht. Ich höre, wie Hannah genervt stöhnt. Heute ist sie wieder unausstehlich. "Max! Lass das sein!", ruft Frau Jackson, doch Max ignoriert sie. Frau Jackson hat es nicht einfach in unserer Klasse. Naja, eigentlich hat es keiner der Lehrer in dieser Klasse einfach. Die normalen sitzen in der ersten Reihe, die obercoolen Maulaufreißer in der letzten und die Opfer irgendwo in der Mitte. Tja, und ich gehöre zur mittleren Fraktion. Ich bin das Opfer. Aber eigentlich ist mir das auch egal, denn ich bin es nicht anders gewohnt. Dumme Beleidigungen auf dem Schulhof oder im Flur höre ich gar nicht, da ich eigentlich immer meine Kopfhörer in den Ohren habe. Musik ist alles für mich. Mein Papa sagt immer, dass ich Mamas Gene habe. Sie singt auch sehr schön. Mein großer Bruder ebenfalls. Aber das war's auch. Meine Zwillingsschwester und meine kleinen Geschwister sollten besser nicht singen. Hannah tut immer so, als könne sie singen aber wie gesagt: sie sollte es lieber lassen. "Marah?" Ich sehe hoch. Frau Jackson sieht mich abwartend an. "Entschuldigung, ich habe nicht zugehört.", gebe ich ehrlich zu. "Uuh! Socken-Marah war wieder in Gedanken bei ihrem Imaginären Sexfreund.", ruft Max lachend. Ich verziehe das Gesicht und schlage die Beine übereinander. Mein Blick schweift an die Tafel, wo das Integral über die Funktion x zum Quadrat plus x plus fünf nach dx steht. Ich seufze leise. "Ein Drittel x hoch drei plus ein Halb x zum Quadrat plus fünf x." Frau Jackson nickt und schreibt die Lösung an. Integrale sind mit das einfachste im Matheunterricht. "Streber.", kichert Jenny. Lieber Streber als nur Fünfen und versetzungsgefährdet. Es klingelt und ich packe meine Sachen zusammen. Heute fällt Training leider aus, weshalb es für mich jetzt direkt nach Hause geht. Ich hoffe, dass Dad Zuhause ist. "Ey, hast du noch Geld hier?", fragt Hannah und hält ihre Hand auf. "Nein, habe ich nicht. Ich habe es dir gestern schon gegeben." Hannah verdreht die Augen. "Was kann ich dafür, wenn Dad uns zu wenig Taschengeld gibt? Du solltest deins auch mal für Make Up ausgeben." Ich presse die Lippen aufeinander. "Habe ich nicht nötig.", "Und wie nötig du es hast.", lacht Jenny und stellt sich neben Hannah. "Lass uns gehen. Sie hat nichts mehr. Müssen wir eben irgendwen anders fragen." Hannah und Jenny laufen Max hinterher, der gerade den Raum verlässt und reden weiter darüber, wen sie sonst noch so abziehen können. Ich schnappe mir meinen Rucksack und mein Londboard und verlasse endlich den Klassenraum. Draußen vor dem Schulhof stecke ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und lasse mein Longboard auf den Boden fallen, um drauf zu steigen und den Gehweg entlang zu düsen. Ich liebe es damit zu fahren und nebenbei Musik zu hören. Das ist mindestens genauso gut wie Fußball spielen oder Tanzen.

Zuhause angekommen hebe ich das Board auf und gehe rein. Das Auto meines Bruders steht vor der Tür, was mich tierisch freut. "Bin zuhause!", rufe ich laut und kicke meine Vans in die Ecke. "Schön für dich!", ruft Lenni zurück. Ich grinse und gehe in die Küche, wo er mit Mama am Tisch sitzt und mir aber den Rücken zugedreht hat. "Hallo großer Brudi.", quietsche ich übertrieben und schlinge von hinten ganz fest meine Arme um seinen Hals. "Ey, du Stinktier, lass das. Soll ich drauf gehen?", "Ja.", antworte ich und setze mich neben ihn auf einen Stuhl. "Hey, Schätzchen, wie war es in der Schule?" Ich zucke mit den Schultern. "Wie immer. War gut." Lenni beäugt mich skeptisch, während Mama nickt. "Du lügst doch. Hau raus!", murmelt Lenni. Ich schüttle den Kopf. "In der Schule ist alles gut. Wie immer.", beharre ich. Lenni presst die Lippen aufeinander. Er weiß, dass ich in der Schule nicht gerade die Beliebteste bin und immer Socken-Marah genannt werde. Was kann ich denn dafür? Mein Stil ist es eben Kniestrümpfe anzuziehen. Und zwar welche, die auch bis über die Knie reichen. Meine Freund rennen alle so rum. Naja, außer die Jungs. Aber an meiner Schule bin ich eben die einzige, die so herumläuft und das scheint die anderen dann halt zu stören. Ist mir aber auch egal, denn ich habe außerhalb der Schule genug Freunde, die meinen Style heiß, sexy, cool, oder was auch immer finden. "Was machst du heute noch?", fragt Mama. "Ich weiß nicht. Training fällt ja aus, weshalb ich wahrscheinlich in den Park zu den anderen gehen werde." Mama nickt und trinkt einen Schluck Kaffee. "Deine coolen Skater-Freunde?", spottet mein Bruder. "Ja, genau zu meinen coolen Skater-Freunden. Sind immer noch besser als die Bitches von Hannah." Lenni lacht schallend, während Mama mich vielsagend ansieht. Wenn sie wüsste, dass Hannahs Freunde mich tagtäglich mobben, dann würde sie auch so denken. Das kann ich ihr aber nicht sagen. Mama ist einfach viel zu sensibel in letzter Zeit. Keiner weiß, weshalb. "Hast du da einen Freund?", fragt Lenni vorsichtig. Ich grinse. "Ja, und er hat einen richtig großen und geilen Schwanz, mit dem er es mir regelmäßig so richtig besorgen kann." Mama verschluckt sich an ihrem Kaffee und Lenni lacht wieder laut los. "Gut gekontert. Aber mal ehrlich: hast du einen?" Ich schüttle den Kopf. "Nein, ich habe keine Lust auf einen Kerl der meine Aufmerksamkeit verlangt. Ist mir zu anstrengend.", "Besser ist auch. Ich muss dem nämlich sonst das Genick brechen." Ich verdrehe die Augen. "Klar, sonst noch was?" Mama seufzt, woraufhin ich meinen Blick zu ihr schweifen lasse. "Ihr beiden seid auch göttlich." Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Als Lenni vor sechs Jahren ausgezogen ist, hat Mama ganz schön geweint. Und ich ebenfalls. Ich wollte nicht ohne meinen großen Bruder bleiben. Am liebsten wäre ich mit ihm gegangen, aber das ging ja nicht. Ich war schließlich erst elf. "Guten Tag, ältester Sohn, lässt du dich auch mal wieder blicken?", ruft Papa und packt Lenni von hinten an die Schultern. Lenni zieht den Kopf ein und verzieht das Gesicht. "Lass das, das ist voll mies." Papa lacht nur und geht um den Tisch herum, um Mama mit einem Kuss zu begrüßen. Anschließend holt er sich eine Tasse aus dem Schrank und stellt sie unter die Kaffeemaschine. "Wie kommen wir zu der Ehre?" Lenni verdreht die Augen. "Tu nicht so. Ich bin doch ständig hier." Papa sieht ihn schmunzelnd an. "Aber es gibt tatsächlich etwas, was ich euch sagen möchte." Mama, Papa und ich sehen Lenni gespannt an, während Mama und Papa einen Schluck aus ihrer Tasse trinken. "Ihr werdet Großeltern." Wie im Film verschlucken sich Mama und Papa gleichzeitig am heißen Kaffee und husten um die Wette. "Hättest du nicht warten können, bis sie die Tassen wieder hingestellt haben? Du bringst sie noch um." Lenni winkt ab. "Die sind hart im Leben. Schließlich haben sie dich als Tochter.", "Und dich als Sohn, du Vollpfosten." Lenni grinst. "Okay, stopp! Wie war das?", fragt Mama nun. "Kat ist schwanger. In der siebten Woche." Mama beginnt zu strahlen. "Das ist ja wundervoll. Aber garantiert nicht geplant, oder?" Lenni schüttelt den Kopf. "Nicht so richtig. Eigentlich wollten wir bis lange nach der Hochzeit warten, wegen der Kohle und so." Papas Gesichtszüge werden ganz weich. "Darüber machst du dir Sorgen? Du weißt ganz genau, dass wir gesagt haben, dass wir einen Teil der Hochzeit bezahlen." Lenni nickt. "Ich komme mir dabei aber saukomisch vor. Das ist scheiße." Mama schüttelt den Kopf. "Ist es nicht. Nimm das Angebot an. Gerade jetzt, wenn ihr auch noch zusätzlich für ein Baby sparen müsst." Lenni hat Kat letztes Jahr an Weihnachten einen Antrag gemacht und nun wollen sie dieses Jahr am 12. Dezember heiraten. Also in knapp drei Monaten. Kat hat noch immer kein Kleid und Lenni hat noch immer keinen Anzug. Eine Torte ist ebenfalls noch nicht bestellt und das Essen auch nicht. Dafür, dass sie aber in weniger als drei Monaten vor dem Altar stehen wollen, sind sie ziemlich knapp dran. Aber mit Geld geht alles. Und davon hat mein Vater mehr als genug. Kein Wunder, dass er und Mom so viele Kinder wollten. Für irgendwas muss das ganze Geld ja ausgegeben werden. "Mach dir mal keine Sorgen, Lenni. Wir machen das schon." Lenni nickt dankbar und erhebt sich. "Ich muss jetzt aber wieder los. Die Arbeit ruft. Marah? Soll ich dich mit zum Park nehmen?" Ich nicke und springe auf. "In den Park? Schon wieder?", fragt Dad. "Ja.", antworte ich nur. "Ist die Hose dafür nicht zu kurz?" Er deutet auf meine Jeas Hotpant. "Nein." Dad verzieht das Gesicht. Wo ist sein Problem? Ich habe doch immer noch die schwarze durchsichtige Strumpfhose und die schwarzen Kniestrümpfe an! Er wird sich nie an meinen Style gewöhnen. "Na schön. Hau bloß ab, bevor ich es mir anders überlege." Ich grinse und gehe um den Tisch herum, um ihm und Mama einen Kuss auf die Wange zu drücken und anschließend Lenni nach draußen zu folgen.

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Bild: Marahs Kleidungsstil und so stelle ich mir auch ihre Figur und Aussehen vor. Von der Figur und dem Aussehen her trifft das auch auf Hannah zu. Nur der Style eben nicht.
Quelle: http://imworld.aufeminin.com/story/20150528/kniestrumpfe-kombinieren-lassig-mit-sneakers-und-jeansjacke-675387_w650.jpg

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