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Kapitel Eins

„Mann, Avery. Ich werde dich so hier vermissen. Mit wem soll ich denn jetzt bloß heimlich Abführmittel in das Wasser von Mr. Brown kippen?" Meine beste Freundin Hannah seufzte schwer und sah mich fragend an.

Ich lachte traurig und wischte mir die Träne weg, die meinem Augenwinkel entrann. Krampfhaft versuchte ich, nicht daran zu denken, dass ich in wenigen Stunden in einem Flieger weg von allem, das mir bekannt und lieb war, sitzen würde. Nie wieder blöde Streiche mit meinen Freunden, kein Rumalbern mehr mit meinem kleinen Bruder Zack und keine nächtlichen Ausbrüche mehr, um mit Hannah in dem alten Combi ihrer Eltern zu sitzen und die nächtliche Stille zu genießen - so wie jetzt gerade.

„Ich will nicht gehen, Hannah. Allein bei der Vorstellung..." Ich schniefte.

Meine Eltern, von denen ich mir sicher war, dass sie jetzt vollkommen durchdrehten, hatten mir heute morgen eröffnet, dass sie mich ins Viertausend Meilen entfernte England in ein Internat schicken wollten. Ich hatte zwar kein schlechtes, aber auch nicht ein umbedingt überragendes Verhältnis zu meinen Eltern, weshalb es ein wenig weh tat, dass sie mich jetzt anscheinend tatsächlich loswerden wollten. Und das auch noch in einem anderen Kontinent.

Ich blickte zu Hannah, die nachdenklich nach vorne blickte und seufzte.

Was am allerschlimmsten am Ganzen war, war dass ich nicht mal die Chance hatte irgendetwas dagegen zu tun. Natürlich, ich könnte mich mit meinen Eltern weiterhin streiten und einen riesigen Aufstand darum machen, jedoch würde jegliche Art von Protest gleich enden. Nämlich mit mir, sitzend in einem Flugzeug in Richtung England.

„Das wird schon irgendwie", sagte Hannah dann auf einmal, „Wir schreiben uns jeden Tag und telefonieren mindestens drei mal die Woche, okay?"

Ich lächelte traurig. „Versprochen."

Gedankenverloren richtete ich meinen Blick aus dem Fenster und betrachtete die im Wind sich sachte schaukelnde Gras.

Wie immer, wenn Hannah bemerkte, dass ich stille Gesellschaft brauchte, war sie mit mir auf den alten Parkplatz des ehemaligen Autokinos gefahren. Denn dort, wo einst die große Leinwand gestanden hatte, sah man nun die vielen Lichter der Innenstadt von Pittsbourgh in der Ferne leuchten und deshalb hatten wir diesen Platz zu unserem Lieblingsort erkoren.

Meine Gedanken schweiften zu Jayden. Er war ein guter Freund von mir und auch Teil unserer Freundesgruppe. Schon seitdem wir uns vor zwei Jahren angefreundet hatten, hatte ich etwas für ihn übrig gehabt und wie sich vor kurzem herausgestellt hatte, empfand er dasselbe für mich.

Ich dachte zurück an unser erstes richtiges Date und musste unwillkürlich lächeln. Wir waren einfach nur stundenlang durch die Parks der Stadt gelaufen und hatten uns über Gott und die Welt unterhalten. Mit ihm hatte alles so unbeschwert erschienen, wobei ich mir nicht sicher war, ob es daran gelegen hatte, dass wir eine lange Zeit nur Freunde gewesen waren oder daran, dass wir beide Gefühle füreinander hegten. Vielleicht beides. Und vielleicht waren die ständigen Küsse gen Ende unseres Dates die besten gewesen, die ich jemals hatte.

Wieder musste ich seufzen.

Toll. Gerade, wo ich dachte, dass es bergauf ging, mussten meine Eltern mir einen Strich durch die Rechnung machen.

Andererseits musste ich tatsächlich zugeben, dass ich viel Unsinn gemacht hatte, ganz egal wie oft meine Mom mir deswegen Predigten gehalten hatte. Beispielweise hatten wir die Schrauben sämtlicher Lehrerstühle in unserer Etage gelockert oder waren nachts auf das Schulgelände eingebrochen und hatten alles erdenkliche mit Absperrband unzugänglich gemacht. Und ein anderes Mal hatten wir die Hühner eines benachbarten Bauernhofs auf die Flure unserer Schule losgelassen. Bei der Erinnerung an meinen Schulleiter, der mit hochrotem Kopf den Hühnern hinterhergejagt war, um sie einzufangen, musste ich schmunzeln.

Beauty and the BeastWhere stories live. Discover now