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21.05.71 p. c.
Vinnie

Als Ziria mit ihrem Kunstwerk fertig ist, bin ich hellauf begeistert. Ich erkenne mich im Spiegel kaum wieder. Meine Augen wirken größer und strahlender durch die nun langen und dichten Wimpern. Die sonst so fahlen Wangen ziert ein gesundes, frisches Rosa, und volle zartrosa Lippen lächeln mir entgegen. Nichts deutet mehr darauf hin, dass ich mir die halbe Nacht um die Ohren geschlagen habe. Der Junge, den ich in zwei Stunden kennenlernen werde, wird mich auf der Stelle lieben und vom Fleck weg heiraten wollen, für einen kurzen Augenblick bin ich mir vollkommen sicher. So lange habe ich von diesem Tag geträumt und jetzt fühle ich mich noch besser, als ich es mir je hätte ausdenken können. Ich schlüpfe aus meinem Pyjama und ziehe mir das graue Kleid an, darauf achtend, mir die Frisur und das Make-up nicht zu zerstören.

»Danke, Ziria«, hauche ich begeistert mit einem Seitenblick auf den Spiegel. Ich kann selbst nicht die Augen von mir lassen, wie sollte es dann mein Mann können?

»Ich sah noch nie so schön aus.«

»Du siehst immer schön aus«, antwortet Ziria sanft. »Ich habe nur geholfen, diese Schönheit zu unterstreichen.«

Wir gehen in die Küche, um Mutter bei den Vorbereitungen zu helfen. Sie und Vater überschütten mich mit Komplimenten und ich kann sehen, wie Mutter sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischt.

»Unsere kleine Vinnie wird erwachsen«, schluchzt sie. »Kaum zu glauben, dass du nächsten Monat heiraten wirst. Es kommt mir so vor, als wäre es erst gestern gewesen, als ich dich auf meinen Armen durch das Wohnzimmer trug und in den Schlaf wiegte.« Mit einer theatralischen Geste streicht sie mir über das Haar und ich muss befürchten, dass sie mir die aufwändige Frisur ruiniert.

»Mutter, lass das!«, schimpfe ich und schiebe ihre Hand beiseite. »Du tust gerade so, als würden wir uns nie wiedersehen, sobald ich mal vermählt bin! Ich werde alle paar Tage hier sein, allein, um Ziria zu besuchen.«

Ziria strahlt mich an, doch meine Eltern werfen sich einen kurzen, wissenden Blick zu, so als würden sie mir nicht glauben, was ich sage.

»Wenn du erst einmal verheiratet bist«, sagt meine Mutter liebevoll, »hast du ein neues Leben. Dein Mann wird dann deine Familie sein. Er wird es sein, um den sich dein Leben fortan drehen wird und sicher werdet ihr auch bald Kinder bekommen. Dann wirst du keine Zeit mehr haben, um Dummheiten mit deiner Schwester auszuhecken.«
Sie zwinkert mir zu und tätschelt mir über das Haar, so als wäre ich noch immer ihr kleines Mädchen.

Ich verdrehe die Augen, werfe einen Blick zu Ziria und schüttle ganz leicht den Kopf, um ihr zu verdeutlichen, dass wir uns garantiert trotz meiner Ehe noch regelmäßig sehen werden. Sie grinst. Natürlich weiß ich, dass die meisten Frauen, sobald sie einmal verheiratet sind, anderes zu tun haben, als den lieben langen Tag mit ihren Freundinnen oder Schwestern zu tratschen. Aber Ziria und ich, wir sind nicht wie die anderen Frauen. Wir lieben uns über alles.

Zumindest bis wir Kinder haben, werden wir viel Zeit miteinander verbringen, und danach treffen wir uns zu viert oder zu fünft oder zu sechst. Ich stelle mir vor, wie Ziria und ich wunderschöne Nachmittage zusammen in einem großen Garten verbringen, Tee trinken und lachen und unseren Kindern beim Spielen auf einer grünen Wiese zusehen. Und an den warmen Sommerabenden, wenn unsere Männer zuhause sind, werden wir gemeinsam auf einer Terrasse zu Abend essen, unter einer von Weinreben umrankten Pergola, während das lauterwerdende Surren der Drohnen die hereinbrechende Nacht ankündigt. Vielleicht ist es unüblich, aber wir werden eine große, glückliche Familie werden und für immer zusammenbleiben, da bin ich mir absolut sicher.

Ziria liest meine Gedanken und zwinkert mir zu.

Unser Gast ist für die Mittagszeit angekündigt. Wir helfen Mutter bei der Vorbereitung des Essens und decken den Tisch. Um halb zwölf beginnt mein Herz so laut zu schlagen, dass ich befürchte, jeder in ganz New Washington Lex könnte es hören. Ich weiß nichts von meinem zukünftigen Mann, außer seinen Namen: Pax, wie Frieden. Ich finde ihn wunderschön.

Wir waren frei (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt